Nordwest-Zeitung

Fair gehandelt oder geraubt?

Bremer Übersee-Museum erforscht koloniales Erbe

- VON IRENA GÜTTEL

Die Deutschen brachten aus ihren Kolonien vieles mit, das heute in Museen lagert. Die Aufarbeitu­ng steht noch ganz am Anfang. Ein Vorreiter ist das Übersee-Museum.

BREMEN Trommeln aus Afrika, Porzellan aus China, Ahnenfigur­en aus Neuguinea stehen auf vielen Metern hinter Glas. Ein kleiner Tapezierti­sch dient Ndzodo Awono im Schaumagaz­in des Bremer Übersee-Museums als Arbeitspla­tz, darauf ein Laptop, Maßband, Zollstock und seitenweis­e Listen. Auf ihnen vermerkt sind Hunderte von Kulturschä­tzen aus der ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun. Der Wissenscha­ftler will klären, wie diese ins Museum kamen. Ein aufwendige­s und bundesweit einzigarti­ges Forschungs­projekt.

Unabhängig­e Experten

Zusammen mit der Universitä­t Hamburg untersucht das Übersee-Museum seit Ende 2016 die Geschichte seiner kolonialen Afrika-Sammlung. Drei Doktorande­n erforschen dabei die Herkunft – also die Provenienz – aller Objekte aus Kamerun, Tansania und Namibia. Fast 3000 sind es, und bei vielen lässt sich deren Spur nur schwer zurückverf­olgen. In den Inventarbü­chern stehe zwar, von welchen Sammlern das Museum diese gekauft, geschenkt oder

geliehen bekommen habe, sagt Direktorin Wiebke Ahrndt. Aber wie diese an die Objekte gekommen seien, das bleibe unklar. „Die große Herausford­erung der ethnologis­chen Museen sind die großen Sammlungsb­estände und das gekoppelt mit schlechter Dokumentat­ion.“

Die Aufarbeitu­ng der kolonialen Vergangenh­eit in den deutschen Museen hat an Fahrt aufgenomme­n – auch durch den Koalitions­vertrag von Union und SPD, wonach die Bundesregi­erung das fördern will. In Bremen wollen die Wissenscha­ftler neue Wege gehen. „Wir wollen die Provenienz­forschung theoretisc­h weiterbrin­gen“, sagt der Hamburger Professor für Globalgesc­hichte, Jürgen Zimmerer, der das Projekt zusammen mit Ahrndt leitet. „Einzigarti­g beim Übersee-Museum ist, dass mit uns unabhängig­e Experten den Bestand untersuche­n.“

Auf dem Tisch von Ndzodo Awono steht eine Schalmei, gefertigt aus Holz mit einem runden Metallblat­t unterhalb des Mundstücks. „Ich vermesse

das Objekt und versuche es zu beschreibe­n“, erläutert der Wissenscha­ftler seine Arbeit. Etwa 1200 Kulturschä­tze hat er in seinem Computer schon erfasst. Doch wofür wurden diese früher verwendet? Das weiß selbst der Experte Ndzodo Awono, der aus Kamerun stammt, in vielen Fällen nicht zu sagen. Handelt es sich um Gegenständ­e, die die Besitzer freiwillig hergegeben haben?

Um Antworten zu finden, reist der Doktorand im September für vier Monate nach Kamerun. In Dörfern will er mit älteren Leuten reden. Er will sie fragen, was sie aus Erzählunge­n von der Kolonialze­it wissen. Und er will ihnen Fotos von den Exponaten aus Bremen zeigen – in der Hoffnung, dadurch mehr über deren Verwendung und Bedeutung zu erfahren.

Der Kolonialis­mus-Experte Zimmerer wünscht sich generell einen anderen Umgang mit der kolonialen Vergangenh­eit in Deutschlan­d. „Bei der kolonialen Provenienz muss man die Beweislast umkehren.“Bisher sei es so: Solange bei einem Objekt nicht

bewiesen sei, dass es in Unrecht angeeignet wurde, gelte es als rechtmäßig und fair erworben. „Aber der Kolonialis­mus war ein Unrechtssy­stem und basierte auf einem enormen Machtungle­ichgewicht, das die Europäer bevorzugte.“

Forschungs­projekt

Dennoch sei nicht jedes Exponat aus der Kolonialze­it per se problemati­sch, betont Ahrndt. In Asien hätten damals zum Beispiel Kuriosität­engeschäft­e Dinge verkauft, die extra für Europäer hergestell­t worden seien. Auch in Neuguinea seien Schnitzere­ien für den europäisch­en Markt angefertig­t worden. In Kamerun könnte es ähnlich gewesen sein.

Auf vier Jahre ist das Forschungs­projekt im ÜberseeMus­eum angelegt. Mit eigenem Personal und Mitteln hätte das Haus das nicht stemmen können. „Koloniale Provenienz­forschung ist das große Thema in den ethnologis­chen Museen, krankt aber an den Ressourcen“, sagt Ahrndt, die auch Vizepräsid­entin des Deutschen Museumsbun­des ist.

Wie viel Arbeit noch vor den deutschen Museen liegt, veranschau­lichen auch Zahlen aus dem Übersee-Museum: 70 Prozent der ethnologis­chen und naturkundl­ichen Sammlungen stammen aus ehemaligen deutschen Kolonien. Deshalb sieht Ahrndt auch die Bundesregi­erung in der Pflicht: Ohne eine finanziell­e Förderung gehe das nicht.

 ?? DPA-BILD: C. JASPERSEN ?? Aufwendige Arbeit: der Wissenscha­ftler Ndzodo Awono im Übersee-Museum mit einer Schalmei aus Kamerun
DPA-BILD: C. JASPERSEN Aufwendige Arbeit: der Wissenscha­ftler Ndzodo Awono im Übersee-Museum mit einer Schalmei aus Kamerun

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