Nordwest-Zeitung

Wende im Prozess um IS-Deutschlan­dchef

Wichtiger Belastungs­zeuge soll nach der Sommerpaus­e gegen Abu Walaa aussagen

- VON MICHAEL EVERS

Cer Zeuge ist einer der Täter des Anschlags auf den Essener Sikh-Tempel. Doch schon vor seinem Gerichtsau­ftritt in Celle gibt es ein Problem.

CELLE Die Verhaftung des mutmaßlich­en Deutschlan­dchefs der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS), Abu Walaa, und vier seiner möglichen Gefolgsleu­te vor über eineinhalb Jahren war ein Paukenschl­ag. Endlich hatten die Fahnder offenbar genug in der Hand, um den Iraker festzusetz­en, der als „Mann ohne Gesicht“oder „Scheich von Hildesheim“in der islamistis­chen Szene von sich reden machte.

Vor zehn Monaten begann der Prozess gegen den Prediger und seine vier Gesinnungs­genossen, denen die Anklage das Rekrutiere­n von IS-Kämpfern insbesonde­re im Ruhrgebiet und in Niedersach­sen anlastet. Inzwischen aber stockt das Verfahren.

Die Anklage und der Prozess am Oberlandes­gericht

Celle nämlich stützen sich vor allem auf den Hauptbelas­tungszeuge­n Anil O., einen Deutschtür­ken aus Gelsenkirc­hen, der als Jugendlich­er in islamistis­che Kreise geriet.

Nach seiner Schilderun­g vor Gericht reiste er mithilfe von Abu Walaas Netzwerk nach Syrien aus. Später wandte er sich vom IS ab und kooperiert­e mit den Behörden. Mit seinen „fantastisc­hen Ge- schichten“habe er sich in Deutschlan­d ein mildes Urteil ermöglicht, kritisiert­e die Verteidigu­ng. Zwar gab O. in tagelangen Zeugenvern­ehmungen einen detailreic­hen Einblick in das menschenve­rachtende Tun des IS, in Bezug auf Abu Walaa blieb aber manche belastende Angabe wackelig.

Darüber hinaus stützt sich der Celler Prozess auf einen VMann des Landeskrim­inalamtes Nordrhein-Westfalen, der seit Langem in der islamistis­chen Szene im Einsatz ist und Abu Walaa auf den Fersen war. Weil die Bundesanwa­ltschaft „Murat“vor Prozessbeg­inn hinsichtli­ch seiner Identität Vertraulic­hkeit zusicherte, durfte er in Celle nicht vor Gericht befragt werden. Nur die Düsseldorf­er LKABeamten, die „Murat“anleiteten, sagten aus und wiederum ließen sich etliche belastende Angaben nicht hieb- und stichfest belegen. Die Verteidigu­ng erhob zudem den Vorwurf, „Murat“habe selbst zu Anschlägen in Deutschlan­d angestache­lt. Darauf deuteten auch Aussagen von Kronzeuge O. hin. Das LKA aber wies das vor Gericht zurück.

Für so wackelig hielt die Verteidigu­ng die Beweisführ­ung, dass sie zwischenze­itlich beantragte, Abu Walaa aus der Untersuchu­ngshaft zu entlassen, es gebe keinen dringenden Tatverdach­t. Anil O., der Mann, auf den sich die Anklage maßgeblich stützt, sei unglaubwür­dig.

Gerade richtig kam da für die Ankläger im April die Nachricht, dass sich ein weiterer Belastungs­zeuge bei den Behörden gemeldet hat, der nun am 7. August aussagen soll. Der Prozess geht nach der Sommerpaus­e mit der Befragung eines Polizisten bereits an diesem Mittwoch weiter.

Bei dem neuen, wichtigen Zeugen handelt es sich um einen der verurteilt­en jugendlich­en Täter des Anschlags auf einen Tempel der Sikh-Religion in Essen 2016 mit drei Verletzten. Die mutmaßlich­en Terrordrah­tzieher sollen in Hildesheim und dem Ruhrgebiet über Anschläge, Gewalttate­n und die Ausreise von „Brüdern“beraten haben. Der 18-Jährige meldete sich schließlic­h aus der Haft heraus bei den Behörden mit dem Wunsch, zu den in Celle angeklagte­n mutmaßlich­en Terrordrah­tziehern auszusagen. In seinen Aussagen belastet er offenbar alle Angeklagte­n.

Doch kurz vor Fortsetzun­g des Prozesses heißt es: Der wichtige Zeuge will schweigen. „Im Prozess gegen Abu Walaa wird mein Mandant von seinem Aussagever­weigerungs­recht Gebrauch machen“, zitiert die „Neue Presse“den Anwalt des Zeugen, Burkhard Benecken. Der Grund dafür sei, dass er sich getäuscht fühlt. Beamte des LKA hätten den 18-Jährigen zwar über Abu Walaa und Co. ausgehorch­t, ihm aber gleichzeit­ig verschwieg­en, dass weitere Terror-Ermittlung­en gegen ihn selbst laufen.

HMein Mandant wird von seinem Recht Gebrauch machen, die Aussa e zu verwei ern“ANWALT BENECKEN

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DPA-BILD: STRATENSCH­ULTE Der wegen Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g angeklagte Abu Walaa verdeckt sein Gesicht hinter Akten.

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