Ikone mit Schönheitsfehlern
Ahed Tamimi wird als Symbol des palästinensischen Widerstands gefeiert
Ahed Tamimi sieht sehr erschöpft aus. Die 17-jährige Palästinenserin sitzt im Garten ihrer Familie in ihrem Heimatort Nabi Saleh im Westjordanland unter einem Ölbaum. Fast acht Monate Haft in einem israelischen Gefängnis und der – selbstinszenierte – Medienrummel seit ihrer Freilassung haben Spuren hinterlassen. „Ich bin ein bisschen müde“, sagt Tamimi, die ein rotes Hemd mit Spitzenbesatz, Jeans und bunte Turnschuhe trägt. Um den Hals trägt der Teenager eine Kette mit einem silbernen Anhänger – eine Karte des historischen Palästinas ohne Israel.
Tamimi und ihre Mutter Nariman saßen im Gefängnis, seitdem die damals 16-Jährige im Dezember in Nabi Saleh einem israelischen Soldaten ins Gesicht geschlagen und ihn getreten hatte. Videoaufnahmen von dem Vorfall verbreiteten sich damals weltweit in Windeseile in sozialen Medien und machten Tamimi zu einer Ikone des palästinensischen Widerstands.
Viele Israelis sehen das anders. Sie werfen der TamimiFamilie vor, ihre Kinder seit Jahren gezielt für Propaganda und bei Protesten einzusetzen, um die Aufmerksamkeit der Medien zu wecken und Israel in schlechtem Licht darzustellen. Schon 2012 machte ein Bild Tamimis Schlagzeilen. Sie drohte damals Soldaten mit der Faust. Ihr Bru„Ich
der wurde auf Bildern als Steinewerfer bekannt, und ihre Cousine wird unter dem Namen „Janna Jihad“von Palästinenser-Sympathiesanten als „jüngste palästinensische Reporterin“gefeiert.
Tamimi bekam deswegen von Israelis den Spitznamen „Shirley Temper“verpasst – eine Schauspielerin, die in „Pallywood“-Produktionen mitwirke. Mit „Pallywood“werden Bilder und Filme bezeichnet, bei denen mithilfe gestellter Szenen Gewalt von Israelis gegen Palästinenser gezeigt werden soll.
Aheds Vater, Bassem Tamimi, ist in dieser Hinsicht ein gefragter Mann. Gern hilft er Journalisten, wenn es darum geht, eine israelkritische Geschichte zu illustrieren.
Die Jugendliche zeigt bis heute keine Reue für die Tat, die sie als „natürliche Reaktion“auf die israelische Besatzung beschreibt. „Auch wenn ich damals gewusst hätte,
dass der Preis acht Monate im Gefängnis sind, hätte ich es trotzdem getan“, sagt sie.
Im Moment der Attacke auf den Soldaten, der kaum reagierte, sei sie „extrem frustriert“gewesen, erklärt sie. Soldaten seien kurz vorher nach Nabi Saleh eingedrungen und hätten ihren 15-jährigen Cousin mit einem Schuss am Kopf verletzt. Dazu sei die Wut über die Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump gekommen, die USBotschaft nach Jerusalem zu verlegen. An einer Mauer im Garten der Tamimi-Familie in Nabi Saleh hängen zahlreiche Plakate mit Bildern von Tamimi – offenbar sorgfältig vorbereitet für die vielen Journalisten, die das Haus besuchen.
Während ihrer Haft hat Tamimi ihr Abitur abgeschlossen. Sie träumt von einem Jurastudium, „damit ich mein Volk verteidigen kann“. Sie will sich keiner politischen Partei anschließen, sagt aber: werde meinen Weg fortsetzen, bis Palästina befreit ist.“Tamimi kann nicht völlig frei sprechen. Nach Angaben ihrer Familie drohen ihr bis zu drei Jahre Haft, sollte sie Dinge sagen, die Israel als Aufwiegelung ansieht.
Die 17-Jährige träumt von einem Land Palästina ohne Grenzen, in dem Muslime, Juden und Christen friedlich zusammenleben. Sie schwärmt von der Zeit noch vor dem britischen Mandat in Palästina. Das war allerdings die osmanische Zeit, die Herrschaft der Türken. Christen und Juden galten damals als Bürger zweiter Klasse. Im Vorderen Orient gab es immer wieder Massaker, die schließlich 1916 im Armenier-Genozid endeten. Aus israelischer Sicht bedeuten diese Visionen die Zerstörung Israels als jüdische Heimstätte.
Warum ist Tamimi in der palästinensischen Gesellschaft zu einer Ikone geworden? „Das palästinensische Volk sucht immer nach Helden, die ihren Kampf gegen die Besatzung symbolisieren“, erklärt der palästinensische Politologe Ghassan Chatib.
Anders als die meisten Palästinenserinnen in ihrem Alter trägt Tamimi ihr langes, lockiges Haar offen. Damit entspricht die 17-Jährige nicht dem Klischeebild einer Muslima. Ihre helle Haarfarbe sei ungewöhnlich für eine Palästinenserin. Das habe geholfen, das „stereotype Image von den Palästinensern im Westen zu brechen“.