Nordwest-Zeitung

Ikone mit Schönheits­fehlern

Ahed Tamimi wird als Symbol des palästinen­sischen Widerstand­s gefeiert

- VON SARA LEMEL UND ALEXANDER WILL

Ahed Tamimi sieht sehr erschöpft aus. Die 17-jährige Palästinen­serin sitzt im Garten ihrer Familie in ihrem Heimatort Nabi Saleh im Westjordan­land unter einem Ölbaum. Fast acht Monate Haft in einem israelisch­en Gefängnis und der – selbstinsz­enierte – Medienrumm­el seit ihrer Freilassun­g haben Spuren hinterlass­en. „Ich bin ein bisschen müde“, sagt Tamimi, die ein rotes Hemd mit Spitzenbes­atz, Jeans und bunte Turnschuhe trägt. Um den Hals trägt der Teenager eine Kette mit einem silbernen Anhänger – eine Karte des historisch­en Palästinas ohne Israel.

Tamimi und ihre Mutter Nariman saßen im Gefängnis, seitdem die damals 16-Jährige im Dezember in Nabi Saleh einem israelisch­en Soldaten ins Gesicht geschlagen und ihn getreten hatte. Videoaufna­hmen von dem Vorfall verbreitet­en sich damals weltweit in Windeseile in sozialen Medien und machten Tamimi zu einer Ikone des palästinen­sischen Widerstand­s.

Viele Israelis sehen das anders. Sie werfen der TamimiFami­lie vor, ihre Kinder seit Jahren gezielt für Propaganda und bei Protesten einzusetze­n, um die Aufmerksam­keit der Medien zu wecken und Israel in schlechtem Licht darzustell­en. Schon 2012 machte ein Bild Tamimis Schlagzeil­en. Sie drohte damals Soldaten mit der Faust. Ihr Bru„Ich

der wurde auf Bildern als Steinewerf­er bekannt, und ihre Cousine wird unter dem Namen „Janna Jihad“von Palästinen­ser-Sympathies­anten als „jüngste palästinen­sische Reporterin“gefeiert.

Tamimi bekam deswegen von Israelis den Spitznamen „Shirley Temper“verpasst – eine Schauspiel­erin, die in „Pallywood“-Produktion­en mitwirke. Mit „Pallywood“werden Bilder und Filme bezeichnet, bei denen mithilfe gestellter Szenen Gewalt von Israelis gegen Palästinen­ser gezeigt werden soll.

Aheds Vater, Bassem Tamimi, ist in dieser Hinsicht ein gefragter Mann. Gern hilft er Journalist­en, wenn es darum geht, eine israelkrit­ische Geschichte zu illustrier­en.

Die Jugendlich­e zeigt bis heute keine Reue für die Tat, die sie als „natürliche Reaktion“auf die israelisch­e Besatzung beschreibt. „Auch wenn ich damals gewusst hätte,

dass der Preis acht Monate im Gefängnis sind, hätte ich es trotzdem getan“, sagt sie.

Im Moment der Attacke auf den Soldaten, der kaum reagierte, sei sie „extrem frustriert“gewesen, erklärt sie. Soldaten seien kurz vorher nach Nabi Saleh eingedrung­en und hätten ihren 15-jährigen Cousin mit einem Schuss am Kopf verletzt. Dazu sei die Wut über die Entscheidu­ng des US-Präsidente­n Donald Trump gekommen, die USBotschaf­t nach Jerusalem zu verlegen. An einer Mauer im Garten der Tamimi-Familie in Nabi Saleh hängen zahlreiche Plakate mit Bildern von Tamimi – offenbar sorgfältig vorbereite­t für die vielen Journalist­en, die das Haus besuchen.

Während ihrer Haft hat Tamimi ihr Abitur abgeschlos­sen. Sie träumt von einem Jurastudiu­m, „damit ich mein Volk verteidige­n kann“. Sie will sich keiner politische­n Partei anschließe­n, sagt aber: werde meinen Weg fortsetzen, bis Palästina befreit ist.“Tamimi kann nicht völlig frei sprechen. Nach Angaben ihrer Familie drohen ihr bis zu drei Jahre Haft, sollte sie Dinge sagen, die Israel als Aufwiegelu­ng ansieht.

Die 17-Jährige träumt von einem Land Palästina ohne Grenzen, in dem Muslime, Juden und Christen friedlich zusammenle­ben. Sie schwärmt von der Zeit noch vor dem britischen Mandat in Palästina. Das war allerdings die osmanische Zeit, die Herrschaft der Türken. Christen und Juden galten damals als Bürger zweiter Klasse. Im Vorderen Orient gab es immer wieder Massaker, die schließlic­h 1916 im Armenier-Genozid endeten. Aus israelisch­er Sicht bedeuten diese Visionen die Zerstörung Israels als jüdische Heimstätte.

Warum ist Tamimi in der palästinen­sischen Gesellscha­ft zu einer Ikone geworden? „Das palästinen­sische Volk sucht immer nach Helden, die ihren Kampf gegen die Besatzung symbolisie­ren“, erklärt der palästinen­sische Politologe Ghassan Chatib.

Anders als die meisten Palästinen­serinnen in ihrem Alter trägt Tamimi ihr langes, lockiges Haar offen. Damit entspricht die 17-Jährige nicht dem Klischeebi­ld einer Muslima. Ihre helle Haarfarbe sei ungewöhnli­ch für eine Palästinen­serin. Das habe geholfen, das „stereotype Image von den Palästinen­sern im Westen zu brechen“.

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DPA-BILD: LEMEL Ahed Tamimi sitzt im Garten ihrer Familie. Fast acht Monate war sie in einem israelisch­en Gefängnis.

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