KULT IST, WAS DER WIRT DRAUS MACHT
Nackte Tatsachen, Darts und reichlich Charme sollen Publikum locken und halten
in ganzer Stadtteil steckt mitten im Wandel. in ganzer? Nein! Die Porzellan-Pinkelrinne in der Klingenberg Klause bleibt – so wie sie ist.
VON MARC GESCHONKE
Eins vorweg: Die Mutter von Niki Lauda heißt Elisabeth. Das mag den Oldenburger im Allgemeinen nicht unbedingt interessieren, ist für die gut zwei Dutzend Gäste in der Klingenberg Klause an diesem Abend aber durchaus von Bedeutung. Doch Moment, Klingenberg Klause? Diese Spelunke, da hinten in Kreyenbrück? Jawohl, ziemlich genau die. Wenngleich sich „Kultkneipe“mittlerweile als sehr viel passendere Formulierung anschickt. Nicht nur, weil es nach dem großen Kneipensterben in den 2000ern durch Nichtraucherschutzgesetz und Euro-Anpassung hierzulande bekanntlich etwas an Auswahl mangelt. Nicht nur, weil hier in diesem GSG-Bau die wohl letzte Porzellan-Pinkelrinne der Stadt zu finden ist. Und sicher ebenso wenig aufgrund der Tatsache, dass hier Freunde jeglichen Geschlechts und Nationalität zu Ballermann-Hits ihr Leben und das der Umstehenden zelebrieren …
In Kreyenbrück begrüßt man sich nicht mit „Moin“, sondern mit „Aloha!“– zumindest an diesem Samstag. Neuankömmlinge werden am Alten Postweg mit hawaiianischer Blumenkette markiert, Herren im weißen T-Shirt wohlwollend mit einem „Ooooh, super!“empfangen. Von modischer Wertschätzung aber keine Spur – vielmehr wittern die vor allem weiblichen Gäste einen Augenschmaus zu späterer Stunde – schließlich wird hier und heute „Mr Wet Shirt“gesucht und prämiert. Der Preis für den feuchten Gewinner: Freigetränke bis zum Umfallen.
Das lohnt sich letztlich auch für Daniel Hemp. Der 44-Jährige ist seit Ende 2016 Pächter – und hat sehr vieles sehr viel anders gemacht als seine Vorgänger. Die Klingenberg Klause galt dem Vernehsagt.
men nach viele Jahre lang nicht gerade als „Place to be“– also ein Ort, den man gesehen haben muss. Auch Hemp hatte mit Gattin Beate lange gehadert, den Erfolgsplan genauestens durchkalkuliert, als ihm die Kneipe vor zwei Jahren angeboten wurde.
Hier wird sich geduzt!
Er sagte zu. In einer Zeit, da rundum alles im Wandel war und ist: Der Abriss der alten AEG-Hallen gegenüber. Die Komplettsanierung des Klingenbergplatzes nebenan. Supermarkt und Wohnhäuser 100 Meter weiter, das neue Kreyenbrücker Zentrum visa-vis. Mächtig viel Veränderung. Und dann will er sich dieses wenig erbauliche Schaufensterkneipendings wirklich ans Bein hängen? Ja. Er will. Langfristig. Zumindest länger als all die Pächter, die sich in den vergangenen zwanzig Jahren an der Klause versucht hatten.
Gäste kamen, Gäste gingen. Einige wenige waren ihrem Stuhl vorm Tresen treu geblieben. Es ist halt ihre Kneipe, ihr Anlaufpunkt im Stadtteil. Für die guten Abende wie die schlechten. Für all die Zeiten, in denen man
nicht reden und in denen man dringend angesprochen werden möchte. Für Momente, in denen alles egal ist, und jene Augenblicke, die man mit anderen teilen will. An diesem Abend mag beides zutreffen.
„Ist das nicht toll?“, stupst Antje dem Swen in die Seite und verweist dann mit dem Kinn in Richtung Tresenbereich, wo gerade die „Beach Party“zum dritten Mal in der letzten halben Stunde hochkocht. Ein DJ vom Online-„Radio Good Sound“liefert den Sommersoundtrack – direkt vor Ort und via Livestream im Netz. Im Clubraum – dort, wo sonst Dartsausrüstung für nunmehr fünf Gruppen (plus Steel Darts Team) steht – hat Hemp zweieinhalb Tonnen Sand rangekarrt und eine schlichte Cocktailbar mit Schirmchen aufgebaut.
„Persönlichkeit!“, sagt Hemp da auf die Frage, was denn heutzutage eine Kneipe braucht, um funktionieren zu können, „wir versuchen hier, für eine familiäre Atmosphäre zu sorgen. Hier wird sich geduzt – und wohlgefühlt.“Was in der Klause passiert, bleibt zwar in der Klause. Allerdings will der 44-Jährige manchem Glück auch auf die Sprünge helfen – vom Zufall hält er nix. So wie am heutigen Abend. Da hat er für anfänglich verschüchterte Herren noch ein paar weiße T-Shirts gekauft. Man weiß ja nie. Fürs Hinterzimmer hat er neben dem
Sand noch andere Dinge rangekarrt. Kokospalmen. Sandspielzeug. All sowas. Vor Dartscheiben und unter dunklen Deckenlamellen wirkt das schon sehr speziell. Aber das macht die Klause ja auch von außen. Ruhrpott-Charme in Oldenburg – das trifft es wohl recht gut. Architektonisch wie charakterlich. „Uns ist völlig egal, wer du bist und woher du kommst“, ruft eine Dame im besten Alter rein, „hier setzt du dich an einen Tisch oder wir setzen uns zu dir – als Neuling bist du immer willkommen.“Ihre Tischnachbarin formuliert es deutlich kürzer so: „Aaaausziiiiehn!!“
Bis die Schwester kommt
Tatsächlich geht’s nun los. Drei Männer gehobenen Alters steuern mehr oder minder freiwillig das sandige Podest an, darunter auch Michi. Begleiterin Nicole konnte das offenbar kaum erwarten. Sie greift zum Eimer, schießt ihm den Inhalt entgegen und stürzt sich danach lachend auf ihn – während Sturzbäche von Decke und Rückwand tropfen. „Kein Problem“, sagt Hemp da, „der Clubraum wird nächste Woche ohnehin renoviert.“
So wie das lockerleichte Pächterpärchen schon einige Dinge überarbeitet hat: Linoleum raus, Terrasse gepflastert, Zaun gestrichen, Licht ins Dunkel gebracht, Energiekosten „um 80 Prozent gesenkt“, wie er Die GSG wolle sich zeitnah der 60er Jahre Sanitäranlagen mit Zugspülung annehmen, die Pinkelrinne aus Porzellan im Herrennassbereich aber wird bleiben. „Die gehört einfach hier hin“, sagt er.
Spielabende wurden eingeführt, 24-Stunden-Musikmarathons, auch eine „CSD After Party“. All das lockte neues Publikum. Weiteres soll folgen. „Ob es was wird, weiß ich nicht. Aber wenn ich so etwas nicht anbiete, erfahre ich es auch nicht.“Plötzlich stürzt sich die Chefin in den Pool an der Straße, während Chef sich – außer Konkurrenz – drin das getränkte weiße Shirt zerreißt. Schnell ist klar: Die Raucherschenke ist auf dem besten WegzumKreyenbrückerKultkneipchen an der Ecke.
Gerade einmal 100 Meter weiter konnten Liebhaber exotischer Trinkhallenkunst bis vor Kurzem noch ins „le petite“einkehren, das aber ist verschwunden. Einen Fuß-Kilometer entfernt liegt die „Brandung“. Echte Kneipenatmosphäre wie diese findet man hier in der Nachbarschaft kaum mehr. Vielleicht erlebt die Klause ja auch deswegen eine Renaissance. Und wer weiß, was noch passiert, wenn das neue Zentrum erst einmal steht. Noch kommen die rumänischen Arbeiter von gegenüber zum Feierabend rein, künftig aber erwartet Hemp auch Zulauf vom Schwesternwohnheim, das die Männer gerade in die Höhe ziehen. Die hiesige Mischung würd’s nicht stören – das Publikum ist mit einer Spanne von 20 bis 70 Jahren ohnehin bunt gemischt.
Wie die Mutter von Niki Lauda heißt, wissen sie hier zwar noch immer nicht, brüllen den Mallorca-Hit („Mama Laudaaa“) dennoch inbrünstig mit. Und eigentlich ist’s ja auch völlig schnurz. Wer du bist, woher du kommst, wer dich kennt und wen du kennst – all das ist hier draußen in Kreyenbrück egal. Wichtig ist nur, dass du da bist. In deiner etwas aus Zeit und Raum gefallenen Kneipe um die Ecke.