Beschäftigung steigt – Bevölkerung sinkt
Großstadtsog bedroht Boomregionen in Niedersachsen – Wilhelmshaven und Wesermarsch betroffen
In zehn Kreisen und Städten ist die Diskrepanz besonders groß. Experten warnen vor einer Abwärtsspirale.
VON ALEKSANDRA BAKMAZ UND JÖRG SCHÜRMEYER
Trotz guter Jobchancen schrumpfen einer Erhebung zufolge in Niedersachsen mehrere Regionen, weil junge Leute lieber in Großstädte ziehen. In zehn deutschen Städten und Kreisen ist demnach die Diskrepanz zwischen schwächerer Bevölkerungsentwicklung und positiver Beschäftigungsdynamik besonders groß – sechs davon liegen in Niedersachsen. Bisher waren vor allem ländliche und strukturschwache Orte von einer Abwanderung betroffen, wie es in der Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln hieß.
Die Studie rückt nun in Niedersachsen unter anderem Wilhelmshaven und den Landkreis Wesermarsch in den Fokus. Der Erhebung zufolge nahm in Wilhelmshaven zwischen 2007 und 2015 die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung um fast 14,7 Prozent zu, während die Bevölkerung um 7,5 Prozent zurückging. In der Wesermarsch stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 14,6 Prozent, während die Bevölkerung um 3,7 Prozent schrumpfte. Ähnliche Werte hatten in Niedersachsen auch die Landkreise Helmstedt, Göttingen, Nienburg und Uelzen.
Und es drohen Folgen: „Langfristig kann es dadurch zu einer Abwärtsspirale kommen: Firmen wandern ab, weil sie keine Fachkräfte finden, die Regionen werden unattraktiver und verlieren weiter an Einwohnern“, sagte IWForscher Hubertus Bardt.
In Wilhelmshaven sei der Arbeitsmarkt jedoch noch nicht so stark angespannt wie anderswo, da es dort im Vergleich zu anderen Regionen eine höhere Arbeitslosigkeit gebe, hieß es in der Studie. Deutscher Spitzenreiter bei dem Trend ist der IW-Studie zufolge Würzburg in Bayern.
Für die Wesermarsch ist nach Ansicht der Forscher u.a. problematisch, dass die Altersgruppe zwischen 20 und 30 nur schwach besetzt ist. Dies mache sich bereits in einem überdurchschnittlich hohen Anteil unbesetzter Ausbildungsplätze bemerkbar.
Gerade für Städte sei es sehr schwierig, aus so einer Abwärtsspirale herauszukommen, erklärte Ökonomin Silvia Stiller vom Hamburger Institut ETR, die seit Jahren regionalwirtschaftliche Trends analysiert. Neben dem Ruhrgebiet gebe es genug andere Beispiele. Leipzig und Dresden dagegen hätten den Absprung geschafft und sich sehr positiv entwickelt.
Die Regionen stünden nicht nur in Konkurrenz zu Metropolen wie München, Hamburg oder Berlin. „Die kleineren und mittelgroßen Städte stehen auch im Wettbewerb zueinander“, so Stiller. Der Fachkräftemangel sei auf dem Arbeitsmarkt ein generelles Problem. Für den Zuzug von Fachkräften in kleinere Städte spreche: „Die Lebenshaltungskosten sind dort in der Regel niedriger und die Orte sind oft familienfreundlich.“
Dass Firmen wegen Engpässen auf dem lokalen Arbeitsmarkt ihre Standorte schließen oder ins Ausland verlegen, könne zwar passieren, so Stiller. „Aber dass dies in den nächsten Jahr im großen Stil passiert ist eher unwahrscheinlich.“Große Firmen könnten sich nur mit hohen Kosten verlagern lassen.