Ein Sozi in der AfD-Hochburg
Tberbürgermeister Alexander Ahrens und sein Konzept für Bautzen
Alexander Ahrens ist einer der wohl ungewöhnlichsten Oberbürgermeister der SPD in Deutschland. Eine Spurensuche in seiner Stadt.
Ein nder Ahrens mahnt den Besucher, sich bitte nicht zu erschrecken: In der Ecke sitzt ein kahlköpfiger Mann auf dem Boden, eine Whiskeyflasche in der Hand. Eine so heruntergekommene Gestalt erwartet man nicht im Büro eines Oberbürgermeisters. Nicht unter normalen Umständen. Bietet der Rathauschef von Bautzen Alkoholikern Obdach an? Der zweite Blick zeigt: Der Mann ist ein täuschend echtes Kunstwerk. Und was heißt hier schon normal? Ein SPDPolitiker, der früher als Jurist in Shanghai und Hongkong gearbeitet hat, regiert die AfDHochburg Bautzen. Eine Stadt mit rund 40 000 Einwohnern, an der Autobahn A4 zwischen Dresden und der polnischen Grenze.
„Meine Mutter hat mir prophezeit, dass ich mal in der Gosse lande“, erzählt Alexander Ahrens zur Geschichte des Kunstwerks. Die Figur sitzt dort als kleines ironisches Zeichen, dass es anders gekommen ist. Dass Ahrens Verantwortung übernommen hat als einer der wohl ungewöhnlichsten Oberbürgermeister der SPD in Deutschland.
Ein Treffen mit Ahrens ist eine Spurensuche in mehrere Richtungen: Können Menschen vor Ort sich den großen Trends entgegenstellen? Was ist hier nach dem Horrorjahr 2016 mit Jagdszenen auf Flüchtlinge passiert, als USSender anrückten und Ahrens zig Interviews gab? Und was können die Parteioberen, deren Image im Asylstreit gerade neuen Schaden nahm, von den Machern auf
kommunaler Ebene lernen? Ahrens ist kein Bautzener von Geburt. Er ist ein Zugezogener. Jemand, der das Ausland kennt, aber auch die Härten des deutschen Alltags. Aufgewachsen ist er in Berlin, im Multikulti-Bezirk Neukölln bei der Mutter. Er hat Sinologie und Jura studiert, später als Firmenanwalt und Finanzberater gearbeitet.
Bautzen blüht auf
Bei einem Besuch in Bautzen wegen eines EishockeyTurniers lernte er seine spätere Frau kennen, eine ostdeutsche Kriminalbeamtin. Nach der Geburt der vierten Tochter nahm er eine Auszeit. Dann suchte er neue Herausforderungen, trat bei der Bürgermeisterwahl 2015 an und siegte. Damals war er gerade parteilos. Zuvor hatte er schon einmal fast zehn Jahre der SPD angehört. Dann war er ausgetreten, weil er sich beim Arbeitskreis Außenpolitik in Berlin nicht ernst genommen fühlte – trotz seiner Erfahrungen
in China. Eine Episode, die auch ein wenig das Problem der SPD mit Quereinsteigern beschreibt. 2017 trat er wieder ein, weil ihn die Gesamtentwicklung erschütterte, der Niedergang, die Entfremdung zwischen Berlin und Basis.
Die kommunale Ebene habe dort kein Gewicht. „Und wenn Andrea Nahles für Erneuerung steht, steht Horst Seehofer für Jugendlichkeit“, scherzt er. Wenn man eines vom Geschehen in Städten und Gemeinden lernen könne, dann, dass die konkreten, kleinen Dinge zählten. „Das ist die Lebensader der Demokratie“, findet Ahrens.
Der Rathauschef vereint viele Widersprüche, die auch die um ihre Existenz bangende SPD prägen. Er kämpft und kritisiert zugleich. Er möchte Offenheit auf der einen und Sicherheit sowie Ordnung auf der anderen Seite verbinden. Er tritt ein für die liberale Demokratie, sucht aber auch mit AfD-Leuten und Reichsbürgern das Gespräch. Er meint, viele mauerten sich in Blasen und Wagenburgen ein. Und hält dagegen: „Man muss immer sprechfähig bleiben.“Er ist überzeugt, dass jenseits der „Blase Berlin“die Erneuerung der Demokratie von unten kommen muss.
Binnen zehn Jahren hat sich die Arbeitslosigkeit in Bautzen auf unter zehn Prozent halbiert. 2017 wanderten erstmals weniger Menschen gen Westen ab, als aus dem Westen hinzogen. Die Stadt mit ihrer über 1000-jährigen Geschichte ist schuldenfrei und lockt Touristen an. Wichtig ist etwa die Baubranche, allein ein Brücken- und Betonbau-Unternehmen,
das bundesweit tätig ist, beschäftigt insgesamt rund 700 Mitarbeiter. Mehrere Zulieferer für BMW und Mercedes sitzen in der Region. Die Schulen seien fast alle saniert, sagt Ahrens.
Im Hintergrund rockt beim Stadtfest Jolly Jumper die Bühne, die Gruppe preist sich als „die vielseitigste Partyband“Sachsens. Tausende singen mit. Heile Welt, auf den ersten Blick. An einem Bierstand stehen gut gebaute Männer mit Runentätowierungen.
Zu DDR-Zeiten war Bautzen im Westen als „gelbes Elend“verschrien, wegen des großen gelben Klinkerbaus, einem Gefängnis auch für politische Gefangene.
Das aktuelle Stigma des „braunen Elends“, der rechten Hochburg, lastet schwer. Ausgerechnet in direkter Nachbarschaft zum Gefängnis liegt die einzige Unterkunft für Flüchtlinge. Sie sind hier abgeschottet in einem Gewerbegebiet untergebracht. In dem trostlosen Containerbau wohnen rund 260 Menschen.
Am 21. Februar 2016 brannte der Husarenhof in Bautzen lichterloh (siehe Infokasten) – bis heute ist der Fall ungeklärt. Unstrittig vom Motiv her sind die rechten Hetzjagden auf Flüchtlinge am Kornmarkt im selben Jahr. Eine, die die rechten Umtriebe offen anprangert, ist Annalena Schmidt, Historikerin am Sorbischen Institut. Sie sagt: „Es ist dahingehend ruhiger geworden, dass keine Menschenjagden mehr stattfinden.“Auch weil weniger Flüchtlinge in der Stadt seien. „Aber der Alltagsrassismus ist weiter da“, kritisiert sie.
Mehr sichtbare Polizei
Nach den Vorfällen 2016 habe die Polizei die Präsenz in der Innenstadt deutlich erhöht. In regelmäßigen Sicherheitsrunden hätten er und die Beamten vereinbart, bei größeren Zusammenkünften einfach mal die Personalien festzustellen. Auch Personenkontrollen wurden verstärkt, unerlaubte Gegenstände beschlagnahmt. „Alles ganz niederschwellig, aber alles Sachen, die sie gar nicht mögen“, sagt Ahrens.
Warum hat in der Stadt, wo gemessen an der Einwohnerzahl 0,6 Prozent der Bevölkerung Flüchtlinge sind, die AfD so einen Erfolg mit über 30 Prozent bei der Bundestagswahl? In der Karl-Marx-Straße liegt das Büro der Partei. Drinnen will niemand mit der Presse reden.
Die AfD hat Zulauf, ist gut organisiert, während der SPD gerade in Ostdeutschland die Mitglieder wegsterben. Und Leute wie Ahrens werden eher wegen der Person, nicht wegen der Partei gewählt. Dahin gehen, „wo es stinkt und brodelt“, hat ExSPD-Chef Sigmar Gabriel geraten. Das findet auch Ahrens, er möchte Kontakt zu den kleinen Leuten. Er würde sich wünschen, wenn die „im Raumschiff Berlin“mehr die kommunale Erfahrung berücksichtigen, was die Bürger wirklich bewege.
In einem Interview mit der „taz“hat die Migrationsforscherin Naika Foroutan die These aufgestellt: „Ostdeutsche sind auch Migranten.“Die Erfahrungen würden sich in vielem gleichen. „Dazu gehören Heimatverlust, vergangene Sehnsuchtsorte, Fremdheitsgefühle und Abwertungserfahrungen.“Foroutan stellt heraus: Ein westdeutscher Haushalt habe im Durchschnitt ein Nettovermögen von etwa 140000 Euro, ein ostdeutscher rund 61000 Euro. So sei das Votum für die AfD für viele ein Denkzettel und Ventil.
„Wir sind ein Musterbeispiel für den Aufschwung Ost, und trotzdem ist die hohe Bereitschaft da, die AfD zu wählen“ALE ANDER AHRENS