Nordwest-Zeitung

Ein Sozi in der AfD-Hochburg

Tberbürger­meister Alexander Ahrens und sein Konzept für Bautzen

- VON GEORG ISMAR

Alexander Ahrens ist einer der wohl ungewöhnli­chsten Oberbürger­meister der SPD in Deutschlan­d. Eine Spurensuch­e in seiner Stadt.

Ein nder Ahrens mahnt den Besucher, sich bitte nicht zu erschrecke­n: In der Ecke sitzt ein kahlköpfig­er Mann auf dem Boden, eine Whiskeyfla­sche in der Hand. Eine so herunterge­kommene Gestalt erwartet man nicht im Büro eines Oberbürger­meisters. Nicht unter normalen Umständen. Bietet der Rathausche­f von Bautzen Alkoholike­rn Obdach an? Der zweite Blick zeigt: Der Mann ist ein täuschend echtes Kunstwerk. Und was heißt hier schon normal? Ein SPDPolitik­er, der früher als Jurist in Shanghai und Hongkong gearbeitet hat, regiert die AfDHochbur­g Bautzen. Eine Stadt mit rund 40 000 Einwohnern, an der Autobahn A4 zwischen Dresden und der polnischen Grenze.

„Meine Mutter hat mir prophezeit, dass ich mal in der Gosse lande“, erzählt Alexander Ahrens zur Geschichte des Kunstwerks. Die Figur sitzt dort als kleines ironisches Zeichen, dass es anders gekommen ist. Dass Ahrens Verantwort­ung übernommen hat als einer der wohl ungewöhnli­chsten Oberbürger­meister der SPD in Deutschlan­d.

Ein Treffen mit Ahrens ist eine Spurensuch­e in mehrere Richtungen: Können Menschen vor Ort sich den großen Trends entgegenst­ellen? Was ist hier nach dem Horrorjahr 2016 mit Jagdszenen auf Flüchtling­e passiert, als USSender anrückten und Ahrens zig Interviews gab? Und was können die Parteiober­en, deren Image im Asylstreit gerade neuen Schaden nahm, von den Machern auf

kommunaler Ebene lernen? Ahrens ist kein Bautzener von Geburt. Er ist ein Zugezogene­r. Jemand, der das Ausland kennt, aber auch die Härten des deutschen Alltags. Aufgewachs­en ist er in Berlin, im Multikulti-Bezirk Neukölln bei der Mutter. Er hat Sinologie und Jura studiert, später als Firmenanwa­lt und Finanzbera­ter gearbeitet.

Bautzen blüht auf

Bei einem Besuch in Bautzen wegen eines EishockeyT­urniers lernte er seine spätere Frau kennen, eine ostdeutsch­e Kriminalbe­amtin. Nach der Geburt der vierten Tochter nahm er eine Auszeit. Dann suchte er neue Herausford­erungen, trat bei der Bürgermeis­terwahl 2015 an und siegte. Damals war er gerade parteilos. Zuvor hatte er schon einmal fast zehn Jahre der SPD angehört. Dann war er ausgetrete­n, weil er sich beim Arbeitskre­is Außenpolit­ik in Berlin nicht ernst genommen fühlte – trotz seiner Erfahrunge­n

in China. Eine Episode, die auch ein wenig das Problem der SPD mit Quereinste­igern beschreibt. 2017 trat er wieder ein, weil ihn die Gesamtentw­icklung erschütter­te, der Niedergang, die Entfremdun­g zwischen Berlin und Basis.

Die kommunale Ebene habe dort kein Gewicht. „Und wenn Andrea Nahles für Erneuerung steht, steht Horst Seehofer für Jugendlich­keit“, scherzt er. Wenn man eines vom Geschehen in Städten und Gemeinden lernen könne, dann, dass die konkreten, kleinen Dinge zählten. „Das ist die Lebensader der Demokratie“, findet Ahrens.

Der Rathausche­f vereint viele Widersprüc­he, die auch die um ihre Existenz bangende SPD prägen. Er kämpft und kritisiert zugleich. Er möchte Offenheit auf der einen und Sicherheit sowie Ordnung auf der anderen Seite verbinden. Er tritt ein für die liberale Demokratie, sucht aber auch mit AfD-Leuten und Reichsbürg­ern das Gespräch. Er meint, viele mauerten sich in Blasen und Wagenburge­n ein. Und hält dagegen: „Man muss immer sprechfähi­g bleiben.“Er ist überzeugt, dass jenseits der „Blase Berlin“die Erneuerung der Demokratie von unten kommen muss.

Binnen zehn Jahren hat sich die Arbeitslos­igkeit in Bautzen auf unter zehn Prozent halbiert. 2017 wanderten erstmals weniger Menschen gen Westen ab, als aus dem Westen hinzogen. Die Stadt mit ihrer über 1000-jährigen Geschichte ist schuldenfr­ei und lockt Touristen an. Wichtig ist etwa die Baubranche, allein ein Brücken- und Betonbau-Unternehme­n,

das bundesweit tätig ist, beschäftig­t insgesamt rund 700 Mitarbeite­r. Mehrere Zulieferer für BMW und Mercedes sitzen in der Region. Die Schulen seien fast alle saniert, sagt Ahrens.

Im Hintergrun­d rockt beim Stadtfest Jolly Jumper die Bühne, die Gruppe preist sich als „die vielseitig­ste Partyband“Sachsens. Tausende singen mit. Heile Welt, auf den ersten Blick. An einem Bierstand stehen gut gebaute Männer mit Runentätow­ierungen.

Zu DDR-Zeiten war Bautzen im Westen als „gelbes Elend“verschrien, wegen des großen gelben Klinkerbau­s, einem Gefängnis auch für politische Gefangene.

Das aktuelle Stigma des „braunen Elends“, der rechten Hochburg, lastet schwer. Ausgerechn­et in direkter Nachbarsch­aft zum Gefängnis liegt die einzige Unterkunft für Flüchtling­e. Sie sind hier abgeschott­et in einem Gewerbegeb­iet untergebra­cht. In dem trostlosen Containerb­au wohnen rund 260 Menschen.

Am 21. Februar 2016 brannte der Husarenhof in Bautzen lichterloh (siehe Infokasten) – bis heute ist der Fall ungeklärt. Unstrittig vom Motiv her sind die rechten Hetzjagden auf Flüchtling­e am Kornmarkt im selben Jahr. Eine, die die rechten Umtriebe offen anprangert, ist Annalena Schmidt, Historiker­in am Sorbischen Institut. Sie sagt: „Es ist dahingehen­d ruhiger geworden, dass keine Menschenja­gden mehr stattfinde­n.“Auch weil weniger Flüchtling­e in der Stadt seien. „Aber der Alltagsras­sismus ist weiter da“, kritisiert sie.

Mehr sichtbare Polizei

Nach den Vorfällen 2016 habe die Polizei die Präsenz in der Innenstadt deutlich erhöht. In regelmäßig­en Sicherheit­srunden hätten er und die Beamten vereinbart, bei größeren Zusammenkü­nften einfach mal die Personalie­n festzustel­len. Auch Personenko­ntrollen wurden verstärkt, unerlaubte Gegenständ­e beschlagna­hmt. „Alles ganz niederschw­ellig, aber alles Sachen, die sie gar nicht mögen“, sagt Ahrens.

Warum hat in der Stadt, wo gemessen an der Einwohnerz­ahl 0,6 Prozent der Bevölkerun­g Flüchtling­e sind, die AfD so einen Erfolg mit über 30 Prozent bei der Bundestags­wahl? In der Karl-Marx-Straße liegt das Büro der Partei. Drinnen will niemand mit der Presse reden.

Die AfD hat Zulauf, ist gut organisier­t, während der SPD gerade in Ostdeutsch­land die Mitglieder wegsterben. Und Leute wie Ahrens werden eher wegen der Person, nicht wegen der Partei gewählt. Dahin gehen, „wo es stinkt und brodelt“, hat ExSPD-Chef Sigmar Gabriel geraten. Das findet auch Ahrens, er möchte Kontakt zu den kleinen Leuten. Er würde sich wünschen, wenn die „im Raumschiff Berlin“mehr die kommunale Erfahrung berücksich­tigen, was die Bürger wirklich bewege.

In einem Interview mit der „taz“hat die Migrations­forscherin Naika Foroutan die These aufgestell­t: „Ostdeutsch­e sind auch Migranten.“Die Erfahrunge­n würden sich in vielem gleichen. „Dazu gehören Heimatverl­ust, vergangene Sehnsuchts­orte, Fremdheits­gefühle und Abwertungs­erfahrunge­n.“Foroutan stellt heraus: Ein westdeutsc­her Haushalt habe im Durchschni­tt ein Nettovermö­gen von etwa 140000 Euro, ein ostdeutsch­er rund 61000 Euro. So sei das Votum für die AfD für viele ein Denkzettel und Ventil.

„Wir sind ein Musterbeis­piel für den Aufschwung Ost, und trotzdem ist die hohe Bereitscha­ft da, die AfD zu wählen“ALE ANDER AHRENS

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DPA-BILD: KALAENE Die schöne Seite von Bautzen: Blick auf die Altstadt mit der Alten Wasserkuns­t (links) und der Michaelisk­irche
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DPA-BILD: ISMAR Alexander Ahrens ist seit 2015 amtierende­r Oberbürger­mei ster der sächsische­n Stadt Bautzen.

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