Spion & Spion
In der EWE-Peilsenderaffäre bespitzelten sich Chef und Ex-Mitarbeiter gegenseitig – Unendliche Geschichte
Ein Chef beschattet seinen Ex-Mitarbeiter, der Ex-Mitarbeiter beschattet den Chef – in der EWE-Spitzelaffäre sind die Täterund Opfer-Rollen munter vermischt. Vor Gericht bekämpfen sich alle beteiligten Parteien bitterlich.
A n einem kühlen Novembertag tritt im Kieler Stadtteil Düsternbrook ein Mann auf eine Wohnstraße: weißes Haar, Jeans, die schwere Freizeitjacke bis oben dichtgezogen. Er merkt nicht, dass er beobachtet wird: Am Straßenrand kauert in einem Auto ein Fotograf, eine große Birke verstellt den Blick auf ihn.
Der Mann, der da heimlich fotografiert wird, ist Nikolaus Behr. Damals, im November 2015, ist Behr noch Personalvorstand des Oldenburger Energieversorgers EWE, Jahreseinkommen fast 500 000 Euro. Knapp zehn Monate später wird er von einem Tag auf den anderen das Unternehmen verlassen – unter Druck geraten wegen der sogenannten Spitzelaffäre. Behr hat im April 2016 einen ExMitarbeiter, mit dem die EWE vor Gericht streitet, per Peilsender überwachen lassen. Behr reicht seinen Rücktritt ein, Vorstand und Aufsichtsrat erklären vor der Presse: „Die Überwachung von Mitarbeitern oder anderen Personen verstößt auf elementare Weise gegen von EWE vertretene Werte“.
Was damals niemand weiß: Das Opfer der Spitzelaffäre spitzelte zuvor selbst. Im Auto am Kieler Straßenrand kauert an diesem Novembertag Christian C.: jener Ex-Mitarbeiter, dem ein Detektiv später auf Wunsch von Behr den Peilsender ans Auto schrauben wird. Mindestens 30 Fotos, die C. und ein Bekannter in verschiedenen Städten von Behr aufnahmen, sollen mittlerweile aktenkundig sein. Täter, Opfer – in der EWE-Spitzelaffäre geraten die Rollen gehörig durcheinander.
Erhebliche Beunruhigung
In der an kuriosen Geschichten reichen jüngeren EWE-Vergangenheit ist die doppelte Spitzelaffäre sicherlich die kurioseste. Zum Lachen findet das bei der EWE aber keiner: Die Spitzelaffäre entwickelt sich nämlich zur unendlichen Geschichte.
C. streitet seit 2012 mit der EWE vor Gericht, er reicht immer neue Klagen ein, legt Berufungen ein, stellt Strafanzeigen. Seit 2016 liefert ihm die Peilsender-Überwachung zusätzlich Munition. Täter, Opfer – für C. sind die Rollen klar verteilt. Er fordert von Behr, der EWE und der EWE-Tochterfirma EWE Netz Schmerzensgeld und Schadenersatz; seine Familie habe wegen der Spitzelei unter „einer erheblichen Beunruhigung und Ängsten“zu leiden gehabt.
C. selbst schätzt, dass er bis heute bestimmt schon 20 Gerichtstermine hatte in Sachen EWE und Peilsender. In den Akten findet sich ein Zitat, das C. zugeschrieben wird: „Wissen Sie, einige Menschen haben eine Spielzeugeisenbahn, ich habe die EWE.“Der Rechtsstreit als Hobby? C. streitet nicht ab, den Satz gesagt zu haben – er sagt aber, er sei aus dem Zusammenhang gerissen worden.
Viel Erfolg hatte C. bislang freilich nicht mit seinen Anzeigen und Klagen. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen wegen Ausspähens gegen Behr längst eingestellt. Und gerade erst hat das Landgericht Lübeck eine Schadenersatzklage von C., seiner Ehefrau und seinen drei Kinder abgewiesen.
In ihrer Urteilsbegründung geht die Zivilkammer hart mit C. ins Gericht, absätzelang wirft sie ihm die eigene Spitzelei gegen Behr vor. Nach Meinung der Richter weisen die heimlichen Fotoaufnahmen „eine größere Eingriffsintensität“auf als die Aufzeichnung von Fahrzeug-Bewegungen per GPS-Signal. Die Datenerhebung mittels Peilsender habe „weder die Intim- noch die Privatsphäre“von C. berührt, sondern lediglich dessen „Soziosphäre“; es sei nicht einmal zu erkennen gewesen, wer den Wagen überhaupt gefahren habe.
Ganz anders beurteilt das Gericht C.s Fotoaufnahmen: Die griffen „in durch Persönlichkeitsrechte geschützte Bereiche“von Behr ein und bezögen auch dessen „privates Umfeld“mit ein.
Familie C. wird verurteilt, die Prozesskosten zu tragen. C. sieht sich indes weiterhin im Recht. „Ich hatte ein berechtigtes Interesse“, begründet er die Fotoaufnahmen.
An jenem Novembertag in Kiel will er aufdecken, dass Personalvorstand Behr eine Liebesbeziehung zu einer ExMitarbeiterin der EWE unterhält. Die Frau hatte im Arbeitsgerichtsverfahren als Zeugin gegen C. ausgesagt. Die Fotos sollen nun das Verhältnis und damit die „Parteizugehörigkeit zur EWE“der Ex-Mitarbeiterin beweisen, so C.. (Behr und die Ex-Mitarbeiterin sind tatsächlich ein Paar; laut Behr haben die beiden aus ihrer Beziehung nie ein Geheimnis gemacht.)
Juristische Niederlagen nimmt C. sportlich, so in Lübeck, so auch ziemlich genau eine Woche zuvor vor dem Arbeitsgericht Oldenburg. Dort wies die Kammer eine Klage von C. gegen EWE Netz wegen des Verdachts des Prozessbetrugs ab und brummte ihm auch hier die Verfahrenskosten auf. C. sagt dazu lapidar: Er sei es gewohnt, vor dem Oldenburger Arbeitsgericht zu verlieren. Vor wenigen Tagen hat er Berufung eingelegt gegen das Urteil, um einmal mehr in die nächste Instanz vors Landesarbeitsgericht ziehen zu können.
C. kündigt an: „So lange ich das kann, gebe ich nicht auf. Ich will nicht, dass die damit durchkommen.“Und er macht weiter: Er hat abermals Strafanzeige erstattet, gegen EWE-Manager und EWE-Anwälte, der Vorwurf: Betrug.
Er hat eine Stellungnahme der Landesdatenschutzbeauftragten eingeholt. Darin steht, dass die Peilsender-Überwachung „datenschutzrechtlich unzulässig erfolgte“.
Kommende Woche hat er erneut einen Termin vor dem Arbeitsgericht Oldenburg. Abermals geht es um Schmerzensgeld und Schadenersatz wegen der Peilsender-Überwachung, diesmal streiten die Parteien Christian C. gegen EWE Netz. Das Lübecker Gericht hatte diesen Klageteil abgetrennt und nach Oldenburg verwiesen, wo die Kündigungsschutzverfahren laufen. Trotz seiner negativen Erfahrungen mit dem Oldenburger Gericht, trotz der krachenden Niederlage in Lübeck sieht C. erneut Land: Das Schreiben der Datenschutzbeauftragten sei bei der Lübecker Verhandlung ja noch nicht bekannt gewesen, sagt er.
Unfreiwilliger Rücktritt
In der Oldenburger EWEZentrale reagiert man längst genervt auf Fragen nach den von C. angestrengten Klagen, Anzeigen und Prozessen. Immerhin einen Satz ringt sich EWE-Sprecher Christian Blömer ab mit Blick auf die jüngsten Urteile aus Lübeck und Oldenburg: „Wir nehmen zur Kenntnis, dass Herr C. damit bisher in allen von ihm angestrengten Verfahren gegen EWE unterlegen ist.“
Ob die Spitzelaffäre zur unendlichen Geschichte wird, hängt aber nicht allein an C.s Kondition und an der Langmut seiner Rechtsschutzversicherung. Es liegt auch an Nikolaus Behr.
Denn Behr sagt: „Für mich sind die ehrabschneidenden Vorgänge im Zusammenhang mit meinem unfreiwilligen Rücktritt 2016, die mein gesamtes Leben über den Haufen geworfen haben, keinesfalls erledigt.“Behr bringt sich derzeit gegen die EWE in Stellung – durch das Spitzel-Urteil des Lübecker Landgerichts sieht er sich hinreichend munitioniert.
Laut Behr ging es 2016 bei der GPS-Überwachung darum, mögliche Konkurrenztätigkeiten des gekündigten C. aufzudecken, die in den Arbeitsgerichtsverfahren eine Rolle spielen könnten. Die Überwachung flog aber auf; es gelang C. sogar, mittels einer Wildkamera ein Foto von dem Detektiv zu schießen, der den Peilsender ans Auto schraubte. Damit endete nicht nur Behrs Karriere als EWE-Vorstand, im Internet finden sich seither Zeitungsartikel mit Titeln wie: „Wie ein EWE-Vorstand einen Mitarbeiter bespitzeln ließ.“Behr sagt: „Ich war für Monate am Boden, regelrecht ausgeknockt.“
Dann aber erklärt er: „Ich hab’ nichts total Irres gemacht“. Er zieht gegen die Anwaltskanzlei Hogan Lovells vor Gericht, der Vorwurf: Die Juristen hätten ihn in Sachen Peilsender falsch beraten. Das Verfahren läuft noch. Und jetzt soll es gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber gehen: „Wir werden nun die durch die EWE erfolgte schwere Beschädigung meiner Reputation juristisch beleuchten und öffentlich aufklären“, kündigt Behr an.
Er wehrt sich vor allem gegen die 2016 verbreitete Lesart, er habe C. aus persönlichen Motiven beschatten lassen und dabei heimlich und ohne Wissen der EWE gehandelt. Das sei „abstrus“, sagt Behr – und das Lübecker Gericht folgt ihm dabei. Es nennt Behrs Ausführungen „glaubhaft“und sieht keine „schuldhafte Anordnung der Überwachungsmaßnahme“, weil nicht festzustellen sei, ob Behr „deren Rechtswidrigkeit bewusst war und er den dahingehenden Irrtum vermeiden konnte“.
Für Behr steht fest: „Dieses Gerichtsurteil spricht klar für meine Unschuld.“
Spionierende Streithähne
Zwei Männer, die vor Gericht miteinander im Streit liegen, bespitzeln sich gegenseitig – ist das ein einmaliger und besonders absurder Krimi? Auf Seite 7 des Lübecker Spitzel-Urteils, Aktenzeichen 4 O 125/17, liest sich das so: „Grundsätzlich stellt jedoch eine solche Beobachtung eines Prozessgegners (...) durch einen Privatdetektiv zwecks Informationsgewinnung einen zwar nicht üblichen, aber zumindest nicht selten durchgeführten (...) Vorgang dar.“