Nordwest-Zeitung

Geschichte eines Charmeurs und Chauvis

Vor 20 Jahren starb Showmaster Hans-Joachim Kulenkampf­f – Auch als Schauspiel­er aktiv

- VON ALEXANDER BRÜGGEMANN

Wenn „Kuli“kam, saß die Familie vor der Glotze. Kaum einer ahnte, dass da eigene Traumata weggewitze­lt wurden. Am 14. August 1998 ist Kulenkampf­f gestorben.

BREMEN/BERLIN – Was war der Mann charmant! Natürlich, ein bisschen machte er sich auch lustig über seine einfältige­n Gäste, und vor allem über die jungen Damen. Aber bitte: Das waren doch die 50er, 60er Jahre – und bei diesem Lächeln und diesem Augenaufsc­hlag. – Vor 20 Jahren, am 14. August 1998, starb Hans-Joachim Kulenkampf­f, einer der Stars des frühen bundesrepu­blikanisch­en Unterhaltu­ngsfernseh­ens. Ein Charmeur, ein Chauvi – aber auch ein Traumatisi­erter der deutschen Katastroph­e.

Geboren wurde Kulenkampf­f im April 1921 in eine uralte Familie des Bremer Bürgeradel­s, die sich bis ins 15. Jahrhunder­t zurückverf­olgen lässt. Vielfach familiär musisch vorbelaste­t, musste der junge Theaterstu­dent mit gerade mal gut 20 Jahren an die Ostfront. Natürlich, ja, er sprach kaum darüber; die Sache war immerhin bekannt. Aber erst die jüngst ausgestrah­lte, frappieren­de ARDDoku „Kulenkampf­fs Schuhe“hat wohl die wirklichen Dimensione­n dessen erfasst, was sich vor den Augen der ahnungslos­en Zuschauer abspielte: Unterhaltu­ngsfernseh­en, um an „das andere“nicht denken zu müssen.

Immer wieder machte Kulenkampf­f in seinen Sendungen vor der halben Bundesrepu­blik verkappte Witze über den Krieg; kleine, harmlose Scherze oder Gesten – während er im Privaten die einsetzend­e Konfrontat­ion der Deutschen durch Kriegsfilm­e nicht aushalten konnte. Er floh buchstäbli­ch aus dem Raum, wenn er ansehen sollte, was er selbst durchlitte­n hatte.

Die Verluste im RusslandFe­ldzug. „Jeden Morgen neben mir einige Kameraden tot und steifgefro­ren.“Er selbst schnitt sich mit dem Taschenmes­ser eigenhändi­g vier erfrorene Zehen ab. In der Samstagabe­ndsendung der Adenauer-Ära: immer gute Laune. Wodka? – „Der einzige Grund, dass ich nicht bereue, in Russland gewesen zu sein.“

1944, nach zwei Jahren, in denen er für kriegsunta­uglich erklärt worden war, musste Kulenkampf­f wieder an die Front. Jetzt nach Hannover; das letzte Aufgebot. In seinen Erinnerung­en beschreibt er, wie dort junge Frauen von Bombentref­fern zerfetzt wurden: „eine furchtbare Sauerei – wo ich doch Mädchen so gerne hatte“.

Nach der Kriegsgefa­ngenschaft ging er zum Theater nach Frankfurt, machte schnell Rundfunk-, Fernsehund sogar Filmkarrie­re; blieb auch immer dem Theater treu. Ja, das Fernsehen war eher der gut bezahlte Nebeninter­national job für das schlecht bezahlte Theater. Wegen seiner Jugend war Kulenkampf­f nicht von der Entnazifiz­ierung betroffen. Seine Sendeforma­te freilich wurden nur teilweise Erfolge. Er selbst, der gebildete Charmeur und Possenreiß­er, war immer einer. „Der Kuli“war eine Marke, eine feste Größe.

Sein größter Erfolg blieb „Einer wird gewinnen“, kurz EWG. Eurovision­shymne, aufgestell­t. Menschen aus anderen europäisch­en Ländern wurden hier eingeladen und vorgestell­t; lässig, smart, ironisch, mittelresp­ektvoll. Es waren andere Zeiten. Kaum einer wusste oder ahnte, wer im Hintergrun­d agierte.

Produzent der Sendung – übrigens auch für Heinz Schenks „Blauen Bock“und Bernhard Grzimeks „Ein Platz für Tiere“– war Martin Jente, der auch als ewiger Butler selbst vor die Kamera trat, um Kulenkampf­f nach einem knappen Dialog rituell Frack, Hut und Schirm zum Abgang zu reichen. Hat der sensible Showmaster eine Ahnung gehabt, dass Jente seit 1933 SSMitglied war, später SSHauptsch­arführer und Adjutant im Führerhaup­tquartier? All seine Insignien, die Telegramme des Führers, fand man nach seinem Tod in seiner Wohnung.

Für die Bundesbürg­er blieb Kulenkampf­f noch für eine andere Sendung unvergessl­ich: „Nachtgedan­ken“(1985–1990). Ein Gute-NachtForma­t, nach dem die Nationalhy­mne gefiedelt wurde. Danach: Sendeschlu­ss. Kulenkampf­f, im Ohrensesse­l, las Auszüge aus Literatur und Philosophi­e. Dann setzte er weise seine Brille ab, linste schelmisch in die Kamera und wünschte eine „Gute Nacht!“.

Vor 20 Jahren, am 14. August 1998, holte ihn in seiner österreich­ischen Wahlheimat Seeham der Bauchspeic­heldrüsenk­rebs. Er starb mit nur sechs Zehen.

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DPA-BILD: WOLFGANG WEIHS Szene aus dem Jahr 1968: Kulenkampf­f in der Quiz-Sendung „Einer wird gewinnen“

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