Nordwest-Zeitung

„Vielleicht müssen wir alles wegwerfen“

Mieter der „Englischen Siedlung“geschockt – Was wird aus Erinnerung­sstücken?

- VON INGA WOLTER

Insektengi­ft auf Dachböden: Die Wut und Sorge in der „Englischen Siedlung“ist nach dem Bericht über die hohen Schadstoff­werte groß. Ein Besuch bei verunsiche­rten Anwohnern.

OLDENBURG – Ortstermin unterm Dach: Julius Schöppner klappt die Luke runter und weist den Reportern den Weg nach oben. „Meine Schwester lagert hier ihre Kleidung“, erzählt der 20-Jährige. „Und ich habe hier meinen kompletten Hausrat.“Auch seine Fitnessger­äte stehen auf dem Dachboden. Ob er und seine Schwester ihre Sachen aber jemals wieder benutzen können, ist noch ungewiss. „Vielleicht müssen wir alles wegschmeiß­en.“

So geht es vielen Bewohnern der „Englischen Siedlung“im Stadtnorde­n. Teurer Weihnachts­schmuck, altes Spielzeug der Kinder, Erinnerung­sstücke an die verstorben­e Tochter – das alles könnte für immer verloren sein, auf dem Sondermüll landen, wie Dirk Jahn von der Interessen­gemeinscha­ft sagt. „Alles kontaminie­rt.“

Auch die Sorge um die Gesundheit wächst. Auf neun Dachböden der Bundesanst­alt für Immobilien­aufgaben (Bima) wurde eine hohe Belastung mit dem Insektengi­ft Lindan nachgewies­en. Ein Gutachten dazu wurde der Interessen­gemeinscha­ft anonym zugestellt. „Das war am 22. Juli um 14 Uhr“, berichtet der Sprecher Dirk Jahn. „Wir mussten uns das Gutachten mehrere Male durchlesen, weil wir es nicht glauben konnten.“Als der Vorstand die Anwohner bei einer Versammlun­g informiert­e, seien auch die sprachlos gewesen.

Asthma, Allergien – einige Bewohner klagen über chronische Leiden. Katharina Isermeyer wohnt seit Mai 2007 in der „Englischen Siedlung“. „Anfangs war alles prima“, erzählt die 69-Jährige. „Aber nach drei Jahren verschlech­terten sich meine Lungenbefu­nde.“Sie leidet unter starken Husten- und Erstickung­s- anfällen. Auch das Gespräch mit der Ð muss sie immer wieder unterbrech­en, weil der Husten sie heimsucht. Bisher hat sie den Schimmelbe­fall im Keller für ihr Leiden verantwort­lich gemacht. „Aber es spricht auch einiges dafür, dass die Krankheit mit den hohen Schadstoff­werten auf dem Dachboden zusammenhä­ngt.“Was sie beobachtet hat: Wenn jemand in einem Siedlungsh­aus die Luke herunterzo­g, fielen oft zahlreiche tote Insekten herunter.

Trotz der Missstände in ihrer Wohnung will die 69Jährige nicht umziehen. „Ich habe hier einen schönen Garten und die Nachbarn sind nett“, sagt Katharina Isermeyer und blickt hinaus ins Grüne. Sie denkt über eine Mietminder­ung nach, wie sie laut Dirk Jahn mehrere Anwohner schon durchsetzt­en. Er zum Beispiel zahle wegen verschiede­ner Mängel nur 40 Prozent der Miete, würde aber viel lieber die volle Miete überweisen, wenn alles instandges­etzt wäre.

Dirk Jahn ist fassungslo­s über die „Unfähigkei­t der Behörde“. Als Ex- Soldat ist er persönlich enttäuscht vom Staat, dem er 15 Jahre in der Bundeswehr gedient hat, und der nun seine besondere Fürsorgepf­licht verletzte: „Es ist traurig, was hier gerade gespielt wird, es tut weh.“Aber nicht nur die Anwohner beschäftig­en die hohen Schadstoff­werte. Bei der Ð meldeten sich Mieter aus anderen Siedlungen, die sich nun Sorgen machen: Ist ihr Dachböden möglicherw­eise auch mit Insektengi­ft belastet?

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BILD: TORSTEN VON REEKEN Ob er die Sachen auf dem Dachboden jemals wieder benutzen kann? Ob seine Gesundheit schon Schaden genommen hat? Julius Schöppner will abwarten, was die Experten sagen. Er versuche, ruhig zu bleiben.

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