Nordwest-Zeitung

Szenen und Bilder einer modernen Ehe

Bremer Ausstellun­g vereint das Maler-Paar Paula Modersohn-Becker und Otto Modersohn

- VON REGINA JERICHOW

Die Schau in den Museen Böttcherst­raße zeigt fast 80 Exponate. Anlass ist ein jüngst veröffentl­ichter Briefwechs­el, der beweist, dass über diese Beziehung viel Falsches geschriebe­n wurde.

BREMEN/WORPSWEDE – Otto Modersohn schwankt zwischen Erstaunen und Entzücken, zwischen Ehrgeiz und gekränkter Eitelkeit: „Diese kleine Deern soll besser malen wie du, der Deubel. Das wäre doch!“

Elf Jahre trennten den arrivierte­n Worpsweder Landschaft­smaler (1865–1943) und Paula Becker (1876–1907), die Anfängerin an der Staffelei, die schon bald als „Pionierin der Moderne“ein Werk von europäisch­em Rang schaffen sollte. Sechs Jahre lang waren sie verheirate­t, und ihr jüngst veröffentl­ichter Briefwechs­el verrät, dass bisher ein ziemlich schiefes Bild von ihrer Ehe gezeichnet wurde.

„Da wurde einiges missinterp­retiert“, sagt Frank Schmidt, seit zweieinhal­b Jahren Direktor der Museen Böttcherst­raße in Bremen. Demnach galt es als ausgemacht, dass Otto Modersohn die Kunst seiner Frau nicht verstanden und sie eher am Malen gehindert hat. Und dass sie sich von ihm trennen wollte, weil er sie angeblich nicht unterstütz­te. Alles falsch. „Das sind Vorurteile“, betont Schmidt. Aber sie ziehen sich seit Jahrzehnte­n durch die Kunstgesch­ichte.

Eigenes Atelier

Vorurteile, die Modersohn in seinen Aufzeichnu­ngen selbst widerlegt: „Sie ist eine echte Künstlerin, wie es wenige gibt in der Welt, sie hat etwas ganz Seltenes“, schreibt er etwa 1902 über seine Frau. Und ein weiteres seiner Zitate fasst die Beziehung der beiden, die gemeinsam Ausstellun­gen besuchten, kunsthisto­rische Abhandlung­en lasen und die sich abends ihre Bilder zeigten, wohl am besten zusammen: „In der Grundansch­auung verwandt – kunstdurch­glühtes Leben – in den Äußerungen verschiede­n.“

„Er hat sie geschätzt und gefördert“, betont Schmidt. Für die damalige Zeit sei es durchaus ungewöhnli­ch gewesen, dass eine verheirate­te Frau, auch wenn sie Künstlerin war, ein eigenes Atelier außer Haus besaß. Paula Modersohn-Becker hatte auch eine Haushälter­in und konnte sich mittags an den gedeckten Tisch setzen, sie malte von früh bis spät. „Sonst wären niemals diese 750 Gemälde entstanden“, schlussfol­gert der Museumsdir­ektor.

Obendrein hat sie insgesamt fast 16 Monate allein in der damaligen Kunstmetro­pole Paris verbracht – in den Jahren 1900, 1903, 1905 und 1906. Finanziert wurden diese Aufenthalt­e von ihrem Mann Otto Modersohn. Selbst als sie 1906 Worpswede und ihn für immer verlassen wollte, um in Paris zu bleiben, erfüllte er ihre Bitte um das Geld für die Miete. „Man könnte sagen, dass das eine sehr offene, moderne Ehe war“, fasst Schmidt zusammen.

Der Rest der Geschichte ist bekannt: 1906 folgte Otto Modersohn seiner Frau nach Paris und verbrachte dort mit ihr den Winter. Sie fanden wieder zusammen, und im März 1907 kehrte das Paar gemeinsam nach Worpswede zurück, wo Paula am 2. November nach einer schwierige­n Geburt eine Tochter zur Welt brachte. Am 20. November, als sie erstmals wieder aufstehen durfte, starb die Malerin an einer Embolie – im Alter von 31 Jahren.

Zum ersten Mal stellt nun das Bremer Paula-Modersohn-Becker-Museum die beiden Maler ins Zentrum einer Ausstellun­g – der größten dieses Jahres – mit rund 80 Gemälden und Zeichnunge­n, darunter bisher selten oder noch nie ausgestell­te Werke. Der Briefwechs­el ist der Anlass, die Kunstwerke – sofern sich beide mit demselben Mo- tiv auseinande­rgesetzt haben – direkt gegenüberz­ustellen. So kann der Besucher vor den Gemälden überprüfen, ob Otto Modersohn mit seiner Ansicht recht hatte: „Sie bildet ein glückliche­s Gegengewic­ht zu mir, und ich zu ihr.“

Bild-Paare

„Wir fangen an mit Landschaft­sbildern“, erläutert Schmidt, also mit Ottos Domäne. Die große Nähe zu ihrem Mann sei in den Bildern der jungen Malerin gut erkennbar, aber 1902/03 begann sie, sich auf ihr eigentlich­es Thema zu konzentrie­ren – auf die menschlich­e Figur. Allmählich entfernten sich die beiden künstleris­ch voneinande­r. Auch dies ist an den Bildern abzulesen.

So porträtier­ten beide Elsbeth im Garten, Otto Modersohns Tochter aus erster Ehe. Doch während er kleinteili­g und intim bleibt, feine Blüten im Beet und Rüschen am Kleid des Kindes hintupft, malt sie bereits in großzügige­n, abstrahier­enden Formen – nicht lieblich, sondern roh. Die Glaskugel ist zwar auch bei Otto größer als die kleine Elsbeth, aber immer noch Teil des Gartens, bei Paula jedoch wirkt sie monumental, isoliert und fast bedrohlich neben dem verschwomm­enen Gesicht des Mädchens.

Von solchen Bild-Paaren gibt es viele in der Ausstellun­g. Manche Motive wurden von beiden Künstlern am selben Tag gemalt – schlanke Birken, das Mädchen am Baumstamm oder ein Schützenfe­st.

Und so ist die Ausstellun­g vor allem eines: eine Schule des Sehens.

 ??  ?? Zweisamkei­t im Garten: Otto Modersohn und Paula Modersohn-Becker (1904)
Zweisamkei­t im Garten: Otto Modersohn und Paula Modersohn-Becker (1904)
 ?? BILDER: PAULA-MODERSOHN-BECKER-STIFTUNG ?? Ein Motiv, zwei Stile: „Elsbeth im Garten mit Glaskugel“– gemalt von Paula Modersohn-Becker (1902/links) und Otto Modersohn (1903)
BILDER: PAULA-MODERSOHN-BECKER-STIFTUNG Ein Motiv, zwei Stile: „Elsbeth im Garten mit Glaskugel“– gemalt von Paula Modersohn-Becker (1902/links) und Otto Modersohn (1903)
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany