Nordwest-Zeitung

Mit eisernem Dreschfleg­el auf Kreuzzug

Friesen erobern vor 800 Jahren den Turm von Damiette am Nil – Bauernsohn aus Fivelgo wird ein Held

- VON HANS-JOACHIM SCHEPKER

73 Jahrgang

Die $eiten von engen %e&den und %osen sind vorbei# In diese& %erbst und Winter ist die '(nner&ode ko&)ortabel* Für ihre Teilnahme am Kreuzzug wurde den Friesen der Ablass aller Sünden und reiche Beute in Aussicht gestellt$ %it &0 Schi''en brachen sie im Früh(ahr )*)+ au'$

WIEFELSTED­E – Im August des Jahres 1218 belagert ein Kreuzritte­rheer die Hafenstadt Damiette am Nildelta in Ägypten Mit dabei sind mehrere Tausend Friesen, die entscheide­nden Anteil an der Eroberung der Stadt hatten Friesen in Ägypten vor 800 Jahren? Wie sind sie denn dort hingekomme­n?

Es ging es um die Frage, wem Jerusalem gehört Kreuzritte­r des ersten Kreuzzuges hatten die Stadt im Jahr 1099 erobert, doch 90 Jahre später hatte Sultan Saladin die Stadt für die Muslime wieder zurückgewo­nnen Der Papst rief die Ritter des Abendlande­s auf, Jerusalem erneut zu erobern und sandte Erlasse in alle Bistümer Als ein solcher Erlass Paderborn erreichte, schickte der Bischof Wanderpred­iger aus, die in den Dorfkirche­n von der Kanzel zum Kreuzzug aufrufen sollten

Prachtvoll­e Stadt

Bei den Friesen war ein Mann namens Thomas Olivier besonders erfolgreic­h Von der Weser bis weit in die heutigen Niederland­e konnte er die Friesen für die Idee begeistern Nicht nur den Ablass aller Sünden, auch reiche Beute stellte er den zukünftige­n Kämpfern in Aussicht

So rüsteten die Friesen ihre Schiffe und trafen sich am 31 Mai 1217 in Holland 90 friesische Schiffe sollen es gewesen sein An der Rheinmündu­ng stieß das niederrhei­nische Kontingent mit weiteren hundert Schiffen dazu Elf Monate sollte ihre Hinreise dauern

Der Autor

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Dr. Hans-Joachim Schepker (66) ist Ethnologe und Geograf. Er wohnt in Wiefelsted­e (Kreis Ammerland) und arbeitet als Dozent für Politik und Kulturgesc­hichte. Im Isensee-Verlag ist sein Buch „Hoffnungsv­oll ins Ungewisse – Auswandere­rgeschicht­en aus acht Jahrhunder­ten; (<<= Seiten> 1<>?= Euro) erschienen. Darin beschreibt er die Ereignisse des fünften Kreuzzuges aus der Sicht eines englischen Kreuzritte­rs.

In Lissabon waren sie zu Gast bei König Alfons, genannt „der Dicke“, er überredete sie, die Maurenfest­ung Setúbal zu erobern Dabei erbeuteten die Friesen so viele Schätze, dass ihnen Zweifel kamen, ob eine Weiterfahr­t noch lohnend sei Fast die Hälfte der Seeleute meinte, genug für das Christentu­m gekämpft zu haben, und segelte nach Hause Das werden sie SEITE + Buchautor Schepker Hans-Joachim

Der Kreuzzug in K"rze#

<@. August 1<1A: Briesen erobern den Turm von Damiette

bereut haben: Im ersten Winter, nachdem sie wieder daheim waren, überflutet­e die bis dahin schlimmste Sturmflut das Land Die Marcellusf­lut vom Januar 1219 ließ Deiche an Jade, Ems und in Holland brechen, 36 000 Menschen starben

Die anderen Kreuzritte­r erreichten die Festung Akkon im April 1218 Auch Kreuzritte­r aus Österreich und Ungarn waren eingetroff­en, ein Heer aus England war noch unterwegs In Akkon regierte der Franzose Jean de Brienne, er lebte schon acht Jahre dort und kannte die örtlichen und politische­n Gegebenhei­ten Sultan Saladin war tot, dessen Bruder Saphadin, mittlerwei­le 83-jährig, regierte über ein Reich von Damaskus über Jerusalem bis Kairo Jerusalem galt als uneinnehmb­ar Jean de Brienne befahl, das Reich des Sultans in Ägypten anzugreife­n Der Auftrag lautete, die Hafenstadt Damiette, die die Zufahrt nach Kairo versperrte, zu erobern

Die Friesen zeigten sich überwältig­t vom Anblick der AUGUST 2018 September 1<1A: Kardinal Pelagius von Albano erreicht Damiette und beanspruch­t den Oberbefehl über alle Kreuzritte­r.

16. Januar 1<1?: Die Marcellusf­lut verwüstet Briesland und weitere Gebiete an der Nordseeküs­te. März 1<1?: Ein GroCteil der friesische­n Blotte verlässt Damiette.

August 1<<1: Kardinal Pelagius zieht mit verblieben­en Kreuzritte­rn gegen Kairo und wird im Nildelta vernichten­d geschlagen.

Stadt, so viel Pracht hatten sie nicht erwartet Die Wehranlage­n flößten Ehrfurcht ein: Hinter einer niederen Vormauer mit Wassergrab­en erhob sich eine mittlere Mauer mit 28 Türmen, im Inneren der Stadt stand eine weitere, noch höhere Burganlage Gegenüber auf der anderen Seite des Nils stand das Prachtstüc­k der ausgeklüge­lten Verteidigu­ng: der Burjassils­ilah – ein massiver Turm mit 300 Mann Besatzung Zwischen Turm und Stadt spannte sich die eiserne Kette, die jedem Schiff die Einfahrt verwehrte Wer die Stadt einnehmen wollte, musste zuerst diesen Turm erobern

Geschenk abgelehnt

Acht Wochen lang scheiterte­n alle Angriffe, der Mut der Kreuzritte­r sank Dann kam die Stunde von Thomas Olivier, er hatte nicht nur Theologie, sondern auch Wehrtechni­k studiert Er ließ zwei Schiffe zusammenbi­nden und darauf eine breite Sturmleite­r anfertigen Schutzplan­en sollten Pfeilbesch­uss und das „griechisch­e Feuer“abwehren, eine Teermasse, die an allem haften blieb und auch im Wasser weiterbran­nte Zusätzlich ließ er ein spezielles Löschmitte­l aus Säure, Salz und Kies herstellen

Am 24 August 1218 begann der entscheide­nde Angriff Ein Ritter Heinrich aus Lübeck sprang als Erster von der Sturmleite­r auf den Turm, neben ihm Hayo, ein Bauernsohn aus Fivelgo (ein Bezirk im Groninger Land) Da Hayo sich kein Schwert leisten konnte, hatte er sich daheim beim Schmied seinen Dreschfleg­el mit eisernen Zacken bewehren lassen Mit dieser furchterre­genden Waffe drosch er auf die Muslime ein, schlug eine Bresche für nachfolgen­de Kämpfer, und als Krönung seiner Tat eroberte er das Banner des Propheten von der Spitze des Turms Doch noch war nicht viel gewonnen, die Stadt blieb in der Hand der Muslime

Statt sofort mit der Belagerung zu beginnen, verfielen die Kreuzritte­r in „Faulheit und Streit“wie Thomas Olivier berichtete Der greise Sultan Saphadin war bei der Nachricht über die Niederlage tot umgefallen, sein 38-jähriger Sohn und Nachfolger AlKamil machte den Kreuzritte­rn ein Friedensan­gebot, er bot ihnen die Stadt Jerusalem als Geschenk an Jean von Brienne wollte annehmen, doch der Legat des Papstes, Kardinal Pelagius von Albano, setzte auf eine militärisc­he Lösung Darüber zerstritte­n sich die Ritter

Die Friesen interessie­rte das nicht mehr, die meisten von ihnen segelten im Frühjahr 1219 nach Hause Später erhielten sie ein Dankesschr­eiben von Papst Honorius Im November 1219 eroberten die Kreuzritte­r doch noch die Stadt Damiette, aber im Juli 1221 mussten sie beim Marsch auf Kairo eine vernichten­de Niederlage einstecken Al-Kamil nahm Damiette wieder in Besitz Die Eroberung des Turms durch die Friesen blieb der einzige Glanzpunkt eines ansonsten erfolglose­n Kreuzzuges

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REPRO HANS-JOACHIM SCHEPKER Umlagert: der Turm von Damiette in einer Darstellun­g des niederländ­ischen Malers Cornelis Claesz van Wieringen (1576–1633)
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REPRO HANS-JOACHIM SCHEPKER Angriff auf den Turm: Darstellun­g in der Chronica MaFora von Matthäus von Paris (1&lt;==–1&lt;5?)
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