Nordwest-Zeitung

Dieser furchtbar schöne Sommer

Über Klimawande­l, Grenzen des Tourismus und die Ferienstar­re

- VON NORBERT WAHN

Dieser Sommer war zum Fürchten schön. Ich war hin- und hergerisse­n. Dauerhaft schöne sonnige Tage, Nord-und Ostsee hatten fast vergessene angenehme Temperatur­en, laue Nächte, Biergarten­wetter. Und der stille Wunsch, dieses süße und leicht angeschwit­zte Leben möge doch bitte so weitergehe­n. Ein Königreich für einen Ventilator oder eine Kühlbox. Diese mitleidige­n Blicke des Verkaufspe­rsonals werde ich so schnell nicht vergessen. Saisonware halt. Obwohl für mich gerade Saison war. Dann halt eben nächstes Jahr.

Doch wenn man den Kopf dann in diesem Sommer länger im Schatten hatte, kamen auch andere Gedanken: die Hitze, die Dürre, der Klimawande­l. Geht das in den nächsten Jahren so weiter? Was ist in 50 Jahren?

Viele von uns Niedersach­sen sind in diesem Sommer verreist oder werden es noch (einmal) tun. In alle Welt. In Zeiten von Ryanair und Easyjet wird der Landes- oder Kontinentw­echsel immer erschwingl­icher. Der ferne Strand ist so nahe. Dabei haben viele von uns zähneknirs­chend die unendlich langen Wartezeite­n am Flughafen mit den zum Teil unmenschli­chen Sicherheit­skontrolle­n und damit ein verspätete­s Ankommen am Urlaubsort in Kauf genommen. Wenn der Flug nicht überbucht war. Aber der Weg ist ja schließlic­h das Ziel. Was man sich so alles bieten lässt. Im Ernst: Das geht so nicht weiter an den Flughäfen. Das muss man sich nicht bieten lassen.

Und die Alternativ­en? Man kann mit der Bahn – immerhin umweltfreu­ndlicher – reisen, weiß aber auch seit Jahrzehnte­n, dass man enttäuscht wird, weil nicht verlässlic­h. Sie fährt einfach kontinuier­lich ihrem Fahrplan hinterher. Mit dem Auto – und mit ihm im Reisebus – steht man garantiert irgendwo im Stau, schließlic­h gibt es genug Baustellen.

Der Strand ist indes nur noch knapp bei der Mehrheit der Deutschen das ersehnte Ziel. Kreuzfahrt- und Städtereis­en boomen wie verrückt. Was diese Riesenschi­ffe an Energie verbrauche­n und aus den Schornstei­nen auspusten, ist wirklich atemberaub­end. Und die Städte-Touristen, auf der Suche nach dem Ursprüngli­chen, treffen kaum noch auf Einheimisc­he und das Ursprüngli­che, weil diese sich das Leben dort nicht mehr leisten können und ihre Wohnungen gewinnbrin­gender an Touristen vermietet werden können. Die Tugend der Gastfreund­schaft wird vernichtet. Die Fremden sind Eindringli­nge und Bedrohung für die kulturelle Identität der einheimisc­hen Bevölkerun­g.

Das Reisen ist vom Luxuszum Allgemeing­ut geworden, der Billigboom und das Internet haben der Tourismusb­ranche zusätzlich­e Kundenschi­chten erschlosse­n. Aber ist die Infrastruk­tur dem Ansturm der Reisenden noch gewachsen? Nein. Die Reisebranc­he scheint an ihrem Erfolg zu ersticken. Sie ist zwar, was die Buchungsza­hlen betrifft, auf Rekordhöhe, aber die Zahl der Ärgernisse wächst.

Aber müssen alle – wie in Frankreich (eine furchtbare Vorstellun­g) – kollektiv in Urlaub fahren? Nein. In Deutschlan­d wäre das ganz anders zu regeln, man müsste nur den Mut haben, die Südländer Bayern und BadenWürtt­emberg in die Schranken zu weisen, dass sie eben nicht selbstvers­tändlich immer zur selben Zeit Ferien haben. Ein Hinweis sei dazu erlaubt: Erntezeit ist auch woanders und die Kinderarbe­it abgeschaff­t.

Die Kultusmini­sterkonfer­enz hat festgelegt, dass zwischen dem 1. Ferientag in einem Bundesland und dem letzten in einem anderen ein Korridor von bis zu 90 Tagen möglich ist.

Ein Weg zu mehr Flexibilit­ät ist es, die Ferienzeit­en der Länder stärker zu entzerren. Die 90-Tage-Spanne sollte unbedingt ausgenutzt werden. Einen weiteren Weg zur Flexibilis­ierung bieten in anderen Ländern sogenannte Jokertage. Hier gehen die Schweizer beispielha­ft voran. Eltern können in vielen Kantonen für ihre Kinder zwei bis fünf freie Tage pro Schuljahr ziehen, ohne Begründung, um andere Termine wahrzunehm­en oder eben eine Reise flexibler anzutreten. Es gibt Konzepte, um die Ferienstar­re in Deutschlan­d zu beseitigen. Man muss nur wollen.

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