Dieser furchtbar schöne Sommer
Über Klimawandel, Grenzen des Tourismus und die Ferienstarre
Dieser Sommer war zum Fürchten schön. Ich war hin- und hergerissen. Dauerhaft schöne sonnige Tage, Nord-und Ostsee hatten fast vergessene angenehme Temperaturen, laue Nächte, Biergartenwetter. Und der stille Wunsch, dieses süße und leicht angeschwitzte Leben möge doch bitte so weitergehen. Ein Königreich für einen Ventilator oder eine Kühlbox. Diese mitleidigen Blicke des Verkaufspersonals werde ich so schnell nicht vergessen. Saisonware halt. Obwohl für mich gerade Saison war. Dann halt eben nächstes Jahr.
Doch wenn man den Kopf dann in diesem Sommer länger im Schatten hatte, kamen auch andere Gedanken: die Hitze, die Dürre, der Klimawandel. Geht das in den nächsten Jahren so weiter? Was ist in 50 Jahren?
Viele von uns Niedersachsen sind in diesem Sommer verreist oder werden es noch (einmal) tun. In alle Welt. In Zeiten von Ryanair und Easyjet wird der Landes- oder Kontinentwechsel immer erschwinglicher. Der ferne Strand ist so nahe. Dabei haben viele von uns zähneknirschend die unendlich langen Wartezeiten am Flughafen mit den zum Teil unmenschlichen Sicherheitskontrollen und damit ein verspätetes Ankommen am Urlaubsort in Kauf genommen. Wenn der Flug nicht überbucht war. Aber der Weg ist ja schließlich das Ziel. Was man sich so alles bieten lässt. Im Ernst: Das geht so nicht weiter an den Flughäfen. Das muss man sich nicht bieten lassen.
Und die Alternativen? Man kann mit der Bahn – immerhin umweltfreundlicher – reisen, weiß aber auch seit Jahrzehnten, dass man enttäuscht wird, weil nicht verlässlich. Sie fährt einfach kontinuierlich ihrem Fahrplan hinterher. Mit dem Auto – und mit ihm im Reisebus – steht man garantiert irgendwo im Stau, schließlich gibt es genug Baustellen.
Der Strand ist indes nur noch knapp bei der Mehrheit der Deutschen das ersehnte Ziel. Kreuzfahrt- und Städtereisen boomen wie verrückt. Was diese Riesenschiffe an Energie verbrauchen und aus den Schornsteinen auspusten, ist wirklich atemberaubend. Und die Städte-Touristen, auf der Suche nach dem Ursprünglichen, treffen kaum noch auf Einheimische und das Ursprüngliche, weil diese sich das Leben dort nicht mehr leisten können und ihre Wohnungen gewinnbringender an Touristen vermietet werden können. Die Tugend der Gastfreundschaft wird vernichtet. Die Fremden sind Eindringlinge und Bedrohung für die kulturelle Identität der einheimischen Bevölkerung.
Das Reisen ist vom Luxuszum Allgemeingut geworden, der Billigboom und das Internet haben der Tourismusbranche zusätzliche Kundenschichten erschlossen. Aber ist die Infrastruktur dem Ansturm der Reisenden noch gewachsen? Nein. Die Reisebranche scheint an ihrem Erfolg zu ersticken. Sie ist zwar, was die Buchungszahlen betrifft, auf Rekordhöhe, aber die Zahl der Ärgernisse wächst.
Aber müssen alle – wie in Frankreich (eine furchtbare Vorstellung) – kollektiv in Urlaub fahren? Nein. In Deutschland wäre das ganz anders zu regeln, man müsste nur den Mut haben, die Südländer Bayern und BadenWürttemberg in die Schranken zu weisen, dass sie eben nicht selbstverständlich immer zur selben Zeit Ferien haben. Ein Hinweis sei dazu erlaubt: Erntezeit ist auch woanders und die Kinderarbeit abgeschafft.
Die Kultusministerkonferenz hat festgelegt, dass zwischen dem 1. Ferientag in einem Bundesland und dem letzten in einem anderen ein Korridor von bis zu 90 Tagen möglich ist.
Ein Weg zu mehr Flexibilität ist es, die Ferienzeiten der Länder stärker zu entzerren. Die 90-Tage-Spanne sollte unbedingt ausgenutzt werden. Einen weiteren Weg zur Flexibilisierung bieten in anderen Ländern sogenannte Jokertage. Hier gehen die Schweizer beispielhaft voran. Eltern können in vielen Kantonen für ihre Kinder zwei bis fünf freie Tage pro Schuljahr ziehen, ohne Begründung, um andere Termine wahrzunehmen oder eben eine Reise flexibler anzutreten. Es gibt Konzepte, um die Ferienstarre in Deutschland zu beseitigen. Man muss nur wollen.