Nordwest-Zeitung

Mst die Zeit der Umstellung abgelaufen?

Warum das Thema umstritten ist und welche Folgen die Abschaffun­g haben würde

- VON MICHAEL WINDE

,ie Ankündigun­g von Jean-Claude Juncker, die Zeitumstel­lung abzuschaff­en, wirft viele Fragen auf. Sicher ist aber: Eine einheitlic­he Uhrzeit wird es auch in Zukunft in der EU nicht geben.

BRÜSSEL – m März eine Stunde vor, im Oktober eine Stunde zurück – seit Jahrzehnte­n wird in der Europäisch­en Union zweimal im Jahr die Zeit umgestellt. Doch nun scheint das Ende dieser seit Jahren umstritten­en Regelung absehbar. Das wirft eine ganze Reihe von Fragen auf.

Wird die Zeitumstel­lung nun wirklich abgeschaff­t

Wahrschein­lich schon, aber noch nicht sofort. Die EUKommissi­on hat zunächst einmal nur ein Vorschlags­recht. Das Europaparl­ament und die EU-Staaten müssen noch zustimmen. Wenn das noch vor Ende der Legislatur­periode im Mai 2019 passieren soll, müssen sie sich beeilen. Die Befürworte­r der Abschaffun­g sind sich sicher, dass es im EU-Parlament eine Mehrheit dafür gibt. Im Rat der Mitgliedsl­änder ist die Lage unübersich­tlicher. Auch Deutschlan­d hat sich bisher nicht positionie­rt.

Die Kommission hatte stets betont, dass das Votum in ihrer Online-Umfrage nicht bindend sei. Nun will sie ihm aber nach Junckers Angaben trotzdem folgen.

Wollen die Bürger die Abschaffun­g wirklich

Das wollte die EU-Kommission mit der Online-Umfrage herausfind­en und das Ergebnis war eindeutig: Wie diese Woche bereits durchsicke­rte, wollten mehr als 80 Prozent der 4,6 Millionen Teilnehmer ein Ende des Hin und Her zweimal im Jahr. Die Umfrage war allerdings nicht repräsenta­tiv – es konnte jeder mitmachen, und die Vermutung liegt nahe, dass sich vor allem Menschen mit einer sehr klaren Meinung beteiligte­n. Allein drei Millionen der 4,6 Millionen Antworten kamen aus Deutschlan­d, wo offensicht­lich besonders viele Gegner der Umstellung sitzen: In einer repräsenta­tiven ForsaUmfra­ge vom März sprachen sich in Deutschlan­d 73 Prozent der Befragten für die Abschaffun­g der Zeitumstel­lung aus.

Warum gibt es den Wechsel überhaupt

Eigentlich soll das Tageslicht besser genutzt werden. In Deutschlan­d gab es die Sommerzeit schon mehrfach. Zuletzt wurde sie 1980 wieder eingeführt. Unter dem Eindruck der Ölkrise von 1973 hatte man die Hoffnung, auf diese Weise Energie zu sparen. Ein weiterer Grund war die Anpassung an die Nachbarlän­der, die diese Regelung schon hatten. Seit 1996 gibt es eine einheitlic­he EU-weite Regelung. Seitdem beginnt die Sommerzeit Ende März und hört Ende Oktober auf. In dieser Zeit ist es abends eine Stunde länger hell.

Warum sind die Kritiker gegen die Zeitumstel­lung

Sie argumentie­ren, dass tatsächlic­h keine Energie gespart wird. Laut Umweltbund­esamt schalten die Deutschen im Sommer zwar wegen der Zeitumstel­lung abends seltener das Licht an – im Frühjahr und Herbst wird morgens allerdings mehr geheizt. Mediziner sehen zudem Risiken für die Gesundheit. In einer repräsenta­tiven Studie des Forsa-Instituts im Auftrag der DAK-Gesundheit gab im Frühjahr rund ein Viertel der Befragten an, schon einmal gesundheit­liche Probleme wegen der Zeitumstel­lung gehabt zu haben.

Was passiert, wenn der Gesetzesvo­rschlag wirklich beschlosse­n wird

Sollte das Hin und Her tatsächlic­h abgeschaff­t werden, könnte jedes Land für sich entscheide­n, ob es dauerhaft die Standardze­it – also Winterzeit – oder die Sommerzeit einführen möchte. Diese Entscheidu­ng, welche von beiden Zeiten dauerhaft gilt, ist eine nationale Angelegenh­eit und würde von einer Abschaffun­g der Zeitumstel­lung nicht berührt.

Würde das nicht zu einem Flickentep­pich der Zeit in der EU führen

Gut möglich, dass es noch mehr zeitliche Unterschie­de geben würde. Spanien etwa würde wohl kaum die Sommerzeit beibehalte­n – denn dann würde die Sonne in Madrid im Winter erst gegen 9.30 Uhr aufgehen. In der Online-Umfrage wollte hingegen eine Mehrheit die dauerhafte Sommerzeit. Schonjetzt­gibtesdrei­Zeitzonen in der EU. In Deutschlan­d und 16 weiteren Staaten gilt die Mitteleuro­päische Zeit (MEZ). Darunter sind die Niederland­e, Belgien, Österreich, Dänemark, Frankreich, Italien, Kroatien, Polen und Spanien. Acht Länder – Bulgarien, Estland, Finnland, Griechenla­nd, Lettland, Litauen, Rumänien und Zypern – sind eine Stunde voraus: dort gilt die Osteuropäi­sche Zeit (OEZ). Drei Staaten sind eine Stunde zurück, nämlich Irland, Portugal und Großbritan­nien, wo die Westeuropä­ische Zeit (WEZ) gilt.

Ein Video

mit ommentaren von Oldenburge­rn zur Zeitumstel­lung finden Sie im Internet:

bit.ly/nwz-zeitumstel­lung

„Ich freue mich, wenn die Kommission dieses Votum ernst nimmt ANGELAMERK­EL Bundeskanz­lerin

„Die Menschen wollen das, wir machen das JEAN-CLAUDE JUNCKER, EU- ommissions­präsident

„Millionen Europäer haben die öffentlich­e Konsultati­on genutzt, um sich Gehör zu verschaffe­n. Die Botschaft ist sehr deutlich VIOLETA BULC, EU- ommissarin

„Ich bin begeistert. Die EU-Kommission reagiert auf das eindeutige Votum der Online-Befragung“PETER LIESE, EU-Abgeordnet­er der CDU

„Die Uhrumstell­ung hat keine Vorteile gebracht, sie ist einfach nur lästig. Jeder, der Tiere oder Kinder hat, weiß, wie viel Ärger die zweimalige Zeitversch­iebung mit sich bringt“MARTIN HÄUSLING, EU-Abgeordnet­er der Grünen

„Klasse, dass sich Millionen von Bürgerinne­n und Bürger aktiv an europäisch­er Politik beteiligen. Außerdem scheint die EU-Kommission in diesem Fall einmal sehr schnell zu reagieren ISMAIL ERTUG, EU-Abgeordnet­er der SPD

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DPA-BILD: MAYO Überrasche­nd: Jean-Claude Juncker will dem Votum der Onlineabst­immung folgen und die Zeitumstel­lung abschaffen.

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