Die Schüler wie Vieh behandeln
Thomas Bernhards „Die Ursache“als Comic im Buchformat – Erschütternde Erinnerungen
,ie sogenannte Graphic Novel erscheint in diesen Tagen. Lukas Kummer hat die Autobiografie des österreichischen Autors und Nobelpreisanwärters Bernhard zeichnerisch genial umgesetzt.
SALZBURG/OLDENBURG – Wer nicht geschunden wird, wird nicht erzogen.
Nicht nur Goethe zitierte einmal diese angebliche Weisheit. Allein am Beispiel Thomas Bernhard wird klar: An dem Satz stimmt nichts. Bernhard wurde geschunden und dabei kein bisschen erzogen. Bis heute ist diese riesige Wunde des 1989 gestorbenen großen österreichischen Schriftstellers zur Besichtigung freigegeben: durch das Buch „Die Ursache“, dem ersten Teil seiner grandiosen Jugenderinnerungen.
Bernhard wurde in seiner Jugend in ein Salzburger Internat gesteckt, das von Nazis geführt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste er nach kurzer Pause wieder in dieses Internat, das nun von Katholiken geleitet wurde – für Bernhard war das kein Unterschied. Statt Hitler hing nur ein Kreuz an der Wand. Sonst änderte sich nichts.
Das Buch „Die Ursache“ist eines der stärksten Bücher der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Bis heute liest man es – auch aufgrund des Fehlens von Absätzen – atemlos. Und nun ist es in Bildern als sogenannte Graphic Novel zu bestaunen. Künstler Lukas Kummer hat eine, man muss mal aus tiefstem Herzen sagen: kongeniale Bebilderung für die Leiden des jungen Bernhard gefunden. Und der Salzburger Residenz Verlag, in dem Bernhards Werke erscheinen, hat das ganz in traurigem Schwarz-Weiß gedruckte Comicbuch nun auf den Markt gebracht.
Es schildert eine Hölle auf Erden, die das selbstmordgefährdete Kind durchleben musste. Das Werk zeigt, wie Bernhard durch die Qualen der verbitterte, zornige Mann wurde, der später jeden vor den Kopf stieß. Die Schüler des Internats werden geschlagen und wie versammeltes Vieh behandelt. Auf den Bildern sind sie gesichtslos, nur Schemen. Die Architektur ist stumpf – und stumpf wird das auch abgebildet. Zeichner Lukas Kummer scheut sich nicht, eine schäbige Tür auf einer ganzen Buchseite achtmal mit nur leicht schattigen Veränderungen zu zeigen. Besser lässt sich Trostlosigkeit kaum dokumentieren.
Das Interessante am „Ursachen“-Autor: Thomas Bernhard sah sich selbst eher komisch, die meisten nahmen ihn allerdings ernst. So schwankt das Bild des Österreichers bis heute. Die einen betrachten den Autor als dumpfen Alpenraunzer und üblen Nestbeschmutzer, die anderen feiern ihn als abgedrehten Humoristen.
Bernhard wurde im holländischen Kloster Heerlen als uneheliches Kind geboren. Die Mutter gab ihn zeitweilig weg. Später wuchs er bei den geliebten Großeltern auf, in Österreich und in Oberbayern. Bernhard besuchte dann, wie geschildert, ein Salzburger Internat. Den Torturen der Erziehungsanstalt, den Strafen und der Gleichmacherei, entkam er 1947. Ende der 50er Jahre begann er zu veröf- fentlichen – Dramen, Lyrik, Erzählungen, dicke Romane.
Das besondere Kennzeichen? Nicht endende Sätze, dauerndes Nörgeln, ewiges Provozieren, finsterste Schilderungen. Bernhard zog über Bosheit und Geschmacklosigkeit, Vorurteile und Überheblichkeit, Niedertracht und alle Ungerechtigkeit her.
Kurzum, er fühlte sich nur wohl, wenn er auch ordentlich hassen konnte. Bernhard griff generell das große Thema der Verlorenen und Unterdrückten auf. Und er hasste das Land der Spießer. Zum Glück meinte er damit Österreich. Konsequent ärgerte er zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens. Die fühlten sich gerade in Wien parodiert und verunglimpft. Und sie wurden tatsächlich parodiert und verunglimpft.
Premieren seiner Stücke, darunter der berühmte „Heldenplatz“, lösten regelmäßig Skandale aus – was für Zeiten. „Alle Menschen sind Monster, sobald sie ihren Panzer lüften“, sagte er einmal dunkel. Er liebte die Kaffeehäuser und wohnte auf einem österreichischen Bauernhof, der mit seinen dicken Mauern einer alten Festung glich. Und wäre er nicht 1989 mit gerade einmal 58 Jahren einem Herzversagen erlegen, er hätte gewiss Chancen auf den Nobelpreis für Literatur gehabt.
Allein das aus dem Nachlass veröffentlichte Büchlein „Meine Preise“bezeugt seine Größe. Man lese nur das Kapitel über den Empfang des Bremer Literaturpreises – ein köstliches Stück Literatur. Zweimaliges Lesen des kleinen Sammelwerks hilft gegen jede schlechte Laune.
Der Büchner-Preisträger Bernhard ist bis heute einer der größten deutschsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts. Man muss ihn unbedingt wieder lesen und auf unseren Bühnen spielen. Ein kleiner Schritt zu einer Renaissance ist diese Graphic Novel, ein Büchlein, das man nur empfehlen kann. So wie das Original „Die Ursache“, denn der Text des Edelcomics ist naturgemäß eingekürzt.