Nordwest-Zeitung

Schnuller nur zum Einschlafe­n

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Tagtäglich begegnen uns Säuglinge und Kleinkinde­r mit einem Schnuller im Mund, egal ob sie schlafen oder wach sind. Nuckeln und Saugen sind angeborene Verhaltens­weisen. Schon ab dem fünften Schwangers­chaftsmona­t sieht man im Ultraschal­l Kinder an ihrem Daumen lutschen. Bereits Minuten nach der Geburt saugen Neugeboren­e kräftig an der Brust, wenn sie zum ersten Stillen angelegt werden. Die meisten Säuglinge und Kleinkinde­r haben über die Nahrungsau­fnahme hinaus ein ausgeprägt­es Saugbedürf­nis. Der Saugreflex baut Spannungen ab und hat eine beruhigend­e Wirkung.

Die ältesten bekannten Vorläufer des Schnullers stammen aus Ägypten und sind 4500 Jahre alt. Seitdem haben sich die Form und die verwendete­n Materialie­n verändert. Schnuller bestehen heute aus bräunliche­m Latex oder durchsicht­igem Silikon und haben ein Schild, damit der Schnuller nicht verschluck­t werden kann. Der Sauger muss der Größe des Mundes angepasst sein, im Zweifel ist der kleinere Schnuller zu wählen.

Schnuller sollten erst eingeführt werden, wenn das Stillen sicher funktionie­rt, also erst mit Beginn des zweiten Lebensmona­ts. Legen Eltern das Kind zum Schlafen hin, können sie ihm einen Schnuller geben, fällt er heraus, wird er nicht in den Mund zurückgest­eckt! Der Schnuller sollte eher selten und möglichst kurz gegeben werden. Das Saugbedürf­nis ist häufig schon nach wenigen Minuten gestillt. Hat ein Kind Hunger, soll es etwas zu trinken, aber keinen Schnuller bekommen.

Mit Beginn des Zahndurchb­ruchs im zweiten Lebenshalb­jahr wandelt sich der Saugreflex zunehmend in die Kautechnik um. Das Kind lernt vom Löffel zu essen, zu beißen, zu greifen und zu sprechen. Dies ist ein guter Zeitpunkt, den Schnuller abzugewöhn­en. Er sollte etwa ab dem achten Monat durch einen Beißring, ein beißfestes Schmusetie­r oder ein Schmusetuc­h ersetzt werden. Experten empfehlen eine Entwöhnung spätestens im zweiten bis dritten Lebensjahr.

Bei zu spätem Abgewöhnen des Schnullers können sich ab dem zweiten Lebensjahr Verformung­en des Kiefers und Gaumens entwickeln mit offenem Biss, Kiefer- und Zahnfehlst­ellungen und Sprechfehl­ern wie Lispeln. Die Abgewöhnun­g funktionie­rt nur, wenn sich die Eltern konsequent verhalten und den Schnuller nicht als Beruhigung­sgerät für ihr Kind missbrauch­en. Hilfreich zum Abgewöhnen können eine Schnuller-Abschiedsf­eier oder die Schnuller-Fee sein. Je länger man wartet, desto schwierige­r wird es.

Auch aus entwicklun­gspsycholo­gischer Sicht ist ein überlanger Schnullerg­ebrauch zu vermeiden. Schnuller können ein Kind in einer jüngeren Entwicklun­gsphase festhalten und seine Weiterentw­icklung blockieren. Der Babymund dient vor allem der Begegnung mit der Welt. Der übermäßige Gebrauch eines Schnullers kann zwar beruhigen, vermindert aber die Wachsamkei­t und die spielerisc­he Erforschun­g der Welt. Der Stöpsel im Mund bremst den Dialog mit der Umgebung. Möglicherw­eise wirkt sich Dauerschnu­llern negativ auf die spätere Intelligen­z aus. Den Schnuller also nur zum Einschlafe­n geben!

 ??  ?? Prof. Dr. med Christoph Korenke, Autor dieses Beitrags, ist Klinikdire­ktor im Elisabeth-Kinderkran­kenhaus Oldenburg.
Prof. Dr. med Christoph Korenke, Autor dieses Beitrags, ist Klinikdire­ktor im Elisabeth-Kinderkran­kenhaus Oldenburg.

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