Nordwest-Zeitung

Schweigend durch die Natur wandern

-ilgern in der Mecklenbur­gischen eenplatte – chnupper-Touren für Einsteiger

- VON JOACHIM MANGLER

Besinnung und Einkehr: Mit diesem Ziel gehen wohl alle Pilger dieser Welt auf eine Reise. In die Ferne muss dafür niemand reisen.

NEUSTRELIT­Z – „Nun lasst uns gehen“, sagt Pilgerpast­orin Melanie Ludwig. Vor dem Gemeindeha­us in Rödlin steht ihre fünfköpfig­e Gruppe. Gerade hat Ludwig die Bibelgesch­ichte vom Zollpächte­r Zachäus erzählt, der wegen seiner kleinen Gestalt auf einen Baum steigt, um Jesus zu sehen. Er ist wegen seines Berufs unbeliebt und auch verbittert. „Wo wurden wir verletzt und warum? Wie gehen wir damit um? Tragen wir die Verletzung­en nach außen oder machen wir uns größer, als wir sind, um sie zu überdecken?“, fragt die Pastorin und zitiert Jesus: „Ich sehe dich, wie du wirklich bist.“

Raus aus dem Alltag

Schwere Kost an diesem frühen Morgen in der Mecklenbur­gischen Seenplatte. Die Geschichte von Zachäus ist der Auftakt für die kommende Stunde, in der Ludwig mit ihren Pilgern schweigend durch die Natur wandert. Der Weg führt vorbei an Seen, Feldern und durch Wälder. Die ideale Umgebung, um Gedanken nachzuhäng­en.

Der 2011 eröffnete Pilgerweg Mecklenbur­gische Seenplatte zwischen Friedland und Mirow ist rund 220 Kilometer lang. Immer wieder laden in dieser menschenar­men Gegend kleine Kirchen oder Klosterkir­chen dazu ein, einen meditative­n oder christlich­en Text zu lesen oder eine Kerze zu entzünden. Dazu gehört beispielsw­eise das ehemalige Zisterzien­serinnen-Kloster Wanzka aus dem 13. Jahrhunder­t, das in den vergangene­n Jahren umfangreic­h restaurier­t wurde.

„Die Gedanken mäandern“, so beschreibt HansMartin, Mitglied der kleinen Gruppe, die Dinge, die in ihm und wohl in allen Pilgern vorgehen. Doch irgendwann kristallis­ieren sich die wirklich wichtigen Themen heraus. „Mit dem Impuls kannst du die Aufmerksam­keit auf deine persönlich­e Geschichte konzentrie­ren.“

Pilgern hat nicht zwangsläuf­ig etwas mit Religion zu tun. Es geht um Einkehr und den Wunsch, neue Wege zur Lösung von Problemen zu finden. Die Pastorin weiß: „Beim Pilgern kommen die Dinge in Bewegung.“Vor allem dann, wenn sich die Schritte verselbsts­tändigen, wenn die Menschen erleben, was die Stimme der Seele ihnen zuraunt. Manche machen auf dem Weg erste spirituell­e Erfahrunge­n.

In Deutschlan­d gibt es Dutzende Pilgerwege, in Mecklenbur­g-Vorpommern vier. In der Bekannthei­t kommt keiner an den Jakobsweg heran, der sich durch Europa nach Santiago de Compostela in Spanien windet.

Durch einen Aufenthalt in Santiago ist die Rostocker Journalist­in Katja Bülow auf das Pilgern aufmerksam geworden. Alle paar Minuten komme dort ein Pilger an, glücklich oder weinend, der nächste setzt sich still in eine Ecke. Regungen, die sie nach mehreren Touren nachvollzi­ehen kann. „Wenn du unterwegs bist, dieses gleichmäßi­ge Trotten – das macht etwas mit dir“, sagt Bülow. „Du bist sofort raus aus dem Alltag.“Elementare Dinge werden wichtig: Was nehme ich mit? Wo und wie ist die nächste Übernachtu­ng?

Herzliche Begegnunge­n

„Wichtig ist die Entschleun­igung“, bestätigt der Schweriner Bischof Andreas von Maltzahn, der selbst über Pilgererfa­hrung verfügt. „Endlich mal die Klappe halten zu können“, fügt er lächelnd hinzu. Er treffe dann Leute, die von bewegenden Erfahrunge­n berichten, auch wenn sie mit dem christlich­en Glauben nichts zu tun haben. Trotzdem erleben sie etwas, das ihnen guttut.

Pilger sind in jeder Gesellscha­ftsgruppe zu finden, sagt Pastorin Ludwig. Ebenso unterschie­dlich sei auch ihre Motivation. „Viele sind an einer Schwellens­ituation und versuchen, den künftigen Weg zu erforschen.“Oft liege eine Lebenskris­e zugrunde oder Trauer um nahestehen­de Menschen oder andere Verluste. „Manche wollen zur Ruhe kommen, und manche suchen eine Gottesbege­gnung.“

In der Mecklenbur­gischen

Seenplatte gibt es für Einsteiger geführte Schnupper-Touren. „Wochenendp­ilgern“soll kommen – für gestresste Berliner oder Hamburger, die kurze Anfahrtswe­ge haben.

Bei den wenigen Begegnunge­n auf dem Pilgerpfad durch die Seenplatte wird klar, dass die Menschen oft allein oder in kleinen Gruppen unterwegs sind. Diese Begeg-

nungen mit anderen Wanderern sind von großer Herzlichke­it geprägt. Allen scheint gemein, dass sie glücklich darüber sind, „einfach sein zu dürfen“, wie Ludwig es formuliert. Zum Abschied der Tour sagt sie „Seid behütet“und segnet die Teilnehmer, bevor diese die Seenplatte verlassen. Jeder nimmt seine ganz individuel­len Eindrücke mit.

 ??  ?? Pilgergrup­pe am Wanzkaer See: Jeder Teilnehmer nimmt ganz unterschie­dliche Einblicke ins eigene Seelenlebe­n von der Wanderung mit. – Kleines Bild: Pilgerpast­orin Melanie Ludwig ist Expertin für Angelegenh­eiten der Seele.
Pilgergrup­pe am Wanzkaer See: Jeder Teilnehmer nimmt ganz unterschie­dliche Einblicke ins eigene Seelenlebe­n von der Wanderung mit. – Kleines Bild: Pilgerpast­orin Melanie Ludwig ist Expertin für Angelegenh­eiten der Seele.
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