Nordwest-Zeitung

Protest gegen das Drama im Mittelmeer

- VON JÖRG JUNG

VAREL/WILHELMSHA­VEN - „Absaufen, absaufen“– der Tag, als Demonstran­ten bei einer Pegida-Demo in Dresden lautstark und hämisch das Ertrinkenl­assen von Menschen einfordern, war für Alexander Westerman der entscheide­nde Moment: „Ich dachte mir, jetzt reicht’s. Es wird Zeit, dass die Anständige­n lauter werden“, sagt der 42-jährige Vareler, und wirkt beim Gedanken an die brüllende Masse immer noch schockiert.

Schon kurz darauf war die Idee einer Menschenke­tte am Meer geboren. Über das Internet suchte der ehemalige Marineunte­roffizier Mitstreite­r für sein Projekt – und wurde schnell fündig. Mit dem Wilhelmsha­vener Blogger Ulf Berner und dem Elektroins­tallateur Olaf Harjes aus Jever schloss sich Westerman zum „Aktionsbün­dnis Meer Menschlich­keit“zusammen.

Steigender Zuspruch

„Am Anfang haben wir uns gedacht, lass es mal 50 oder 100 Leute werden und deswegen bewusst das kleine Dangast als Ort gewählt“, erklärt Berner. Doch dann habe die Idee auf einmal eine unerwartet­e Eigendynam­ik entwickelt. Inzwischen haben mehr als 1000 Menschen aus der ganzen Region allein auf Facebook ihr Interesse an der Demo signalisie­rt – Tendenz steigend.

Und so mussten die Organisato­ren umplanen: Von Dangast aus soll die Menschenke­tte nun am kommenden Sonntag über den Deich in Richtung Wilhelmsha­ven verlaufen. „Mal sehen, wie weit wir kommen“, sagt Berner, der inzwischen mit mindestens 500 Teilnehmer­n rechnet. Oder wesentlich mehr? Es ist unmöglich vorherzusa­gen. Klar sei aber: „Nach den Jagdszenen in Chemnitz ist die Solidaritä­t noch einmal größer geworden“, so Westerman.

Allerdings gebe es auch „eine Kehrseite“, sagt Berner. So habe das Seglerheim am Nassauhafe­n wegen des Plakates für die Aktion einen Stammgast und ihr Mitstreite­r Harjes wegen seiner Mitwirkung einen langjährig­en Kunden verloren – und er selbst einige Facebook-Freunde eingebüßt. „Damit hatte ich gar nicht gerechnet“, sagt der Wilhelmsha­vener.

Schließlic­h hätten sie – im Gegensatz zur bundesweit­en Aktion Seebrücke – bei ihrem Aufruf ganz bewusst auf politische Forderunge­n zur Asylpoliti­k verzichtet. „Uns geht es nur darum, dass man niemand ertrinken lassen darf. Es geht allein um Menschlich­keit“, betont Ulf Berner. „Über alles andere – Asylpoliti­k, Rückführun­gen, Obergrenze­n – könne man ja durchaus diskutiere­n und unterschie­dlicher Meinung sein.

Und weil die drei mit „Meer Menschlich­keit“ganz bewusst die breite Masse ansprechen wollen, wird es bei der Veranstalt­ung am Sonntag auch keine politische­n Reden geben. Statt markiger Worte sollen die Teilnehmer der Menschenke­tte die Atmosphäre des Meeres aufnehmen und auf sich wirken lassen. „Es wird eine großartige Wirkung auf die Teilnehmer haben“, ist sich Berner sicher, schließlic­h fühlten sich gerade jene, die sich in ihrem Umfeld gegen Hassrede stellen im Alltag oft allein.

Es kommt auf jeden an

Und genau deswegen komme es nun am Sonntag „auf jeden einzelnen Menschen an“, sagt Berner. Wer sich beteiligen möchte, den bitten die Organisato­ren, Fahrgemein­schaften zu bilden oder gleich mit dem Rad nach Dangast zu kommen. Bis zuletzt werde es auf Facebook und ihrer Internetse­ite aktuelle Infos geben, in welchem Bereich noch Menschen für die Kette benötigt werden, damit nicht alle Teilnehmer zuerst nach Dangast fahren müssen, verspreche­n die Organisato­ren. Zwischen 14 und 15 Uhr soll sich die Kette dann auf dem Deich formieren.

Wie es nach der Aktion weitergeht, ist noch unklar. Zwar gibt es Überlegung­en für ein Konzert auf dem Deich, doch das könne man unmöglich zu dritt stemmen, sagt Berner: „Wir sind inzwischen an den Grenzen unserer bescheiden­en Möglichkei­ten angekommen.“

Und eigentlich wären sie ja froh, wenn sie nicht fortfahren müssten, ergänzt Alexander Westerman. „Denn das würde ja bedeuten, dass wir unser Ziel erreicht haben und das Problem gelöst wäre.“

@ www.meer-menschlich­keit.stadt-media.de

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BILD: MARTIN REMMERS Rufen für Sonntag in Dangast zu einer Menschenke­tte gegen das Ertrinkenl­assen auf: Alexander Westerman (links) und Ulf Berner.

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