Pflegekräfte im Dauerstress
Wie ein Tarifvertrag jetzt für bessere Arbeitsbedingungen sorgen soll
Schon lange sind Klagen von Alten- und Krankenpflegern über die Zustände in ihre4 Berufsalltag zu höhren. Nun gibt es dazu eine Studie.
BERLIN – Zu viel Stress, zu wenig Personal: Die Arbeitsbedingungen in der Alten- und Krankenpflege sind weitaus häufiger von Zeitdruck geprägt als im Durchschnitt anderer Berufsgruppen. Das zeigt eine repräsentative Umfrage unter 1858 Beschäftigten aus den Jahren 2012 bis 2017 zu den Arbeitsbedingungen in der Alten- und Krankenpflege, die die Gewerkschaft „Verdi“und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) am Freitag in Berlin vorstellten. Wie belastend ist der Beruf? Die Fakten zur Umfrage:
■ Hohe Identifikation, miese Bedingungen: Die Umfrage zeigt: Die Beschäftigten identifizieren sich stark mit ihrem Beruf, fühlen sich bisweilen aber ausgenutzt, überfordert und emotional unter Druck gesetzt. 94 Prozent der Pflegefachkräfte finden, dass sie einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten – was sonst nur 67 Prozent der Beschäftigten bundesweit denken. Zugleich sagen 73 Prozent der Pflegefachkräfte, dass sie nicht leistungsgerecht entlohnt werden (alle Berufsgruppen: 48 Prozent). Der Job ist hart und dicht getaktet: Zwei von drei Pflegekräften fühlen sich bei der Arbeit oft gehetzt, bei den Krankenpflegern sind es sogar vier von fünf. Zum Vergleich: Im Durchschnitt sagt das nur jeder zweite Arbeitnehmer in Deutschland. Der Anteil der Pflegefachkräfte, die „häufig Abstriche bei der Qualität ihrer Arbeit machen, um die Arbeitsmenge bewältigen zu können“, liegt bei 46 Prozent. Pflegefachkräfte müssen zudem oft oder sehr häufig schwer körperlich arbeiten (73 Prozent, alle Berufe: 30 Prozent), in Schichten arbeiten (64 zu 16 Prozent) oder am Wochenende ran (73 zu 28 Prozent). So erschöpft sind die Alten- und Krankenpfle„Konzertierten Eine Pflegekraft geht mit einer älteren Dame über einen Korridor. Für solche Tätigkeiten fehlt im Alltag oft die Feit. Viele Pflegekräfte fühlen sich gehetzt.
ger, dass 71 Prozent sagen, sie können ihren Beruf nicht bis zum Rentenalter ausführen. „Wir werden immer weniger Kollegen, aber wir haben immer mehr Patienten zu betreuen“, sagt die Berliner Intensiv-Krankenschwester Dana Lützkendorf, 41, selbst „Verdi“-Mitglied. „Man denkt im Stationsalltag darüber nach, welche Arbeit man jetzt liegen lassen kann, damit man das Wichtigste am Patienten tun kann.“
■ Rettung Tarifvertrag: Die Gewerkschaften fordern deutlich höhere Löhne für die Pflegebeschäftigten sowie Tarifverträge mit besseren Urlaubs- und Feiertagsansprüchen. Eine „Verdi“-Tarifkommission zur Altenpflege soll Ende September Forderungen ausarbeiten, sagte
Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler am Freitag. Bislang verweigern sich die privaten Altenpfleger-Anbieter den Gesprächen für Tarifverhandlungen. Mit den kirchlichen Trägern Caritas und Diakonie, die von der Tarifbindung ausgenommen sind, werde ein Sonderweg gesucht, so Bühler. Die Bundesregierung solle den neuen Tarifvertrag dann auf den gesamten Bereich ausdehnen.
■ Die Reaktion der Arbeitgeber: Der Arbeitgeberpräsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), der frühere FDP-Bundestagsfraktionschef Rainer Brüderle, warnte davor, „eine Zwangskollektivierung über einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag durchzuboxen“. Vor den Gesprächen zur Aktion Pflege“mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dürfe es keine Vorfestlegungen geben. Zudem hätten die Gewerkschaften nur sehr wenige Mitglieder in den Pflegeheimen und damit „schlicht kein Verhandlungsmandat“. Ohnehin seien die Gehälter für Pflegefachkräfte 2017 im Mittel um 4,7 Prozent gestiegen, in der Gesamtwirtschaft dagegen nur um 2,5 Prozent. Eine Fachkraft in der Arzthilfe verdiente im Durchschnitt 2240 Euro, in der Physiotherapie 2269 Euro, in der Altenpflege 2744 Euro und in der Krankenpflege 3337 Euro.
■ Die Pläne der Regierung: Mit dem Pflegepersonal-Stärkungs-Gesetz hat Bundesgesundheitsminister Spahn bereits Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern. In der stationären Altenpflege sollen 13 000 Stellen geschaffen werden. Um Krankenpflegekräfte höher zu entlohnen, werden Tarifsteigerungen in Kliniken künftig vollständig von den Kostenträgern refinanziert. Spahn will mit seinem Gesetzentwurf in Klinikstationen auch Personaluntergrenzen einführen. Entsprechende MindestVorgaben gelten ab 2019 in der Intensivmedizin, der Geriatrie, Kardiologie und Unfallchirurgie.
■ Die Kritik der Gewerkschaft: An den Mindest-Vorgaben kam scharfe Kritik von der Gewerkschaft „Verdi“. Für Altenpflegestationen einen Personalschlüssel von einer Fachkraft für 24 Patienten in der Nachtschicht vorzugeben, sei „schlicht fahrlässig“, sagte „Verdi“-Vorstand Bühler. Sie forderte ein unabhängiges, wissenschaftliches Instrument, um den tatsächlichen Pflegebedarf in Stationen zu ermitteln. Auch Susanne Ferschl, stellvertretende Vorsitzende der Linken-Fraktion im Bundestag, bezeichnete es als „unverantwortlich“, wenn Spahn bei Personaluntergrenzen „auf die Arbeitgeberlobby hört“. „Er zementiert und legalisiert den Pflegenotstand.“