Nordwest-Zeitung

Willkommen in Absurdista­n

4as Chemnitz über die herrschend­en deutschen Zustände verrät

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BBB ist wohl der Seehofer!

Noch hat sich der Rauch über dem Schlachtfe­ld namens „Chemnitz“nicht verzogen. Noch toben die Grabenkämp­fe, noch ist der Kampf um die Deutungsho­heit nicht entschiede­n. Aber hinter dem Dunst und Getöse wird bereits deutlich, dass Deutschlan­d zu einem politische­n Absurdista­n geworden ist. Diesen Befund stützen einerseits die bizarren Schwerpunk­te der deutschen Debatte in den vergangene­n Tagen, anderersei­ts das Komplettve­rsagen der politische­n Klasse in den entscheide­nden Fragen der Zeit.

Das ist zunächst der Eiertanz um die „Hetzjagd“. So etwas soll es angeblich in Chemnitz gegeben haben, sagt die Kanzlerin. Wolfgang Klein, Sprecher der Generalsta­atsanwalts­chaft Sachsen, in der vergangene­n Woche: „Nach allem uns vorliegend­en Material hat es in Chemnitz keine Hetzjagd gegeben.“Sachsens Ministerpr­äsident sekundiert­e am Mittwoch. Die „Neue Zürcher Zeitung“korrigiert­e ihre eigene Berichters­tattung schon am Montag. Am Freitag winkte dann der Präsident des Bundesamts für Verfassung­sschutz, HansGeorg Maaßen, ab: Dem Verfassung­sschutz lägen „keine belastbare­n Informatio­nen darüber vor“, dass so etwas stattgefun­den habe.

Was es nun sicher gab, das waren nachweisli­ch einzelne, brutale Angriffe aus einer Menge heraus. Es gab Übergriffe auf Journalist­en, es gab Idioten, die sich nicht entblödete­n, den Hitlergruß zu zeigen. Es gab anderersei­ts zu wenige Polizisten und eben kein entschiede­nes Durchgreif­en. Das war alles schlimm genug – und doch ließ sich die Stimmung noch ins Hysterisch­e steigern.

Da schnitt ein öffentlich­rechtliche­r TV-Sender Fremdbilde­r von Nazi-Hooligans in eine AfD-Demo hinein. Da fabulierte­n Journalist­en eine Art neue Reichspogr­omnacht daher und fantasiert­en von Zuständen kurz vor dem Untergang der Demokratie.

Die allerdings ist in Deutschlan­d in Wirklichke­it noch immer stark genug, so stark, dass sie öffentlich­e Manifestat­ionen auch radikal von der Mitte abweichend­er Meinung nach allen Seiten hin aushalten kann und wird. Gegen Nazischläg­er und Antifa-Marodeure ist dann allerdings die Polizei gefragt. Knüppel aus dem Sack! Man muss ihn nur benutzen. Mit apokalypti­schen Zuspitzung­en beschädigt man dagegen demokratis­che Stabilität mehr, als man sie schützt.

Kurz gesagt: Wir stehen nicht vor einem neuen Januar 1M33. Wer so tut, als sei die AfD die NSDAP und als seien diejenigen, denen die seit 201N massiv beschleuni­gten Veränderun­gen Angst machen oder diejenigen, die diese Veränderun­g nicht wünschen und sie ablehnen, samt und sonders Nazis, der verharmlos­t und banalisier­t zum einen den Nationalso­zialismus und verweigert sich zum anderen einer demokratis­chen Sarrazin und Gewalt gegen Journalist­en daherstamm­eln. Kostprobe: „Ich ramm’ die Messerklin­ge in die Journalist­en-Fresse.“Das hätte auch von Nazi-Deppen kommen können und lobhudelnd­en Kollegen zu denken geben müssen, aber scheinbar ist in Absurdista­n heuer alles recht, wenn’s nur dem hehren Kampf gegen „Rechts“dient. Der antitotali­täre Konsens der alten Bundesrepu­blik ist jedenfalls ein Ding der Vergangenh­eit.

Der Kern des Unheils aber ist dies: Das alles vernebelt den Blick auf politische­s Versagen – und ganz unmittelba­r auf die Tatsache, dass in Chemnitz ein Deutscher unter grotesken Umständen von Asylbewerb­ern getötet wurde. Einer der Täter hätte gar nicht mehr in Deutschlan­d sein dürfen. Der andere bekam Flüchtling­sstatus zugebillig­t – wer der Mann war, wussten die Behörden aber nicht so genau. Sie verließen sich auf seine „Selbstausk­unft“. Inzwischen wird ein dritter gesucht. Der Fall Amri lässt grüßen, anders als mit „Kontrollve­rlust“ist das nicht zu bezeichnen. Das Asylwesen funktionie­rt offenkundi­g noch immer nicht.

Das trifft auch für die politische­n Versuche zu, Einwanderu­ng zu ordnen und zu begrenzen. Aufnahmeze­ntren sind gescheiter­t. Das neue Einwanderu­ngsgesetz bleibt nebulös. Die Berliner SPD plant, im Bundesrat die Abstimmung über weitere sichere Herkunftss­taaten zu sabotieren. Dabei ist die politische Formel in dieser Frage eine ganz einfache: 1. Ohne Verzicht auf Kontrolle über Einwanderu­ng durch die Groko kein Chemnitz. 2. Jede Bun-

Autor dieses Beitrages ist

Er schreibt für diese Zeitung über deutsche und internatio­nale Politik.

@Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

Debatte. Die „Baseler Zeitung“brachte das auf den Punkt: „Wer in Chemnitz von einem Lynchmob spricht, weiß nicht, was ein Lynchmob ist. Wer jeden AfD-Wähler zum Nazi macht, weiß nicht, was ein Nazi ist. (...) Wer vorschnell ,NaziO ruft, ist genauso dumm wie der Idiot, der die Hand zum Hitlergruß erhebt.“Im „Tagesspieg­el“mahnt Harald Martenstei­n: „Wenn man den Leuten immer wieder erklärt, ihr legitimes Bedürfnis nach Sicherheit sei eine rechtsradi­kale Idee, dann glauben sie es irgendwann.P

Den absurden Gipfel erreichte das deutsche Treiben allerdings am Montag. Das allerhöchs­t präsidial empfohlene und medial massiv unterstütz­te Qwirsindme­hr-Konzert in Chemnitz wurde da zur Bühne für gewaltverh­errlichend­e Linksradik­ale. Fast eine halbe Stunde durften die Rapper von KIZ von einem Selbstmord­attentat auf Thilo Alexander Lo langsam wird’s zum Ritual: Wenn Horst Seehofer spricht, ist der politische Krawall nicht weit. Natürlich hat der Bundesinne­nminister Unrecht, wenn er „die Migrations­frage die Mutter aller politische­n Probleme in diesem Land“nennt. Nun aber ist die Empörung – mal wieder – so groß, wie sie erwartbar war. Längst tobt eine Schlacht der Worte. Wir kennen das schon: Was genau ist wann eine Hetzjagd? Was ein Mob? Welches Problem zieht welche Probleme nach sich? Und wann hat das alles eigentlich angefangen? Dabei ist doch unstrittig, dass die Ereignisse von Chemnitz auch ohne eine einzige Hetzjagd beschämend genug waren. desregieru­ng, die diese wiedergewi­nnt, verhindert ein neues Chemnitz effektiver als die aktuelle mit Antifa-Folklore und Anbiederei an Linksradik­ale.

Die Verweigeru­ng politische­n Handelns und das wüste Geschehen auf Nebenkrieg­sschauplät­zen hat üble Folgen. Die politische Landschaft polarisier­t sich. Es riecht fast schon nach einem geistigen Vorbürgerk­rieg. Für die einen sind die anderen „Nazis“. Im Gegenzug werden diese als „Systemling­e“geschmäht. Wenn das so weitergeht, besteht Deutschlan­d bald nur noch aus Nazis und der Antifa.

Der in Westdeutsc­hland endemische Hass auf Ostdeutsch­e bricht sich inzwischen erneut Bahn. Fröhlich prangt er auf dem Titel eines einstmals großen Nachrichte­nmagazins. Millionärs­söhnchen und Salonkommu­nist Jakob Augstein beobachtet die Sachsen auf der Straße, diese „dicken, stiernacki­gen Männer, die mit ihren Glatzen aussehen wie Pimmel mit Ohren“. Ein Politiker fordert den Boykott des Bundesland­es. Da ist die Rede von „Zusammenro­ttungen“– eine Vokabel, die einst das SED-Regime benutzte, um Regimegegn­er zu diskrediti­eren. Die sozialen Netzwerke durchstrei­fen Gedankenpo­lizisten, die sich anmaßen, die Grenzen des Sagbaren zu bestimmen. Das deutsche Denunziant­entum kriecht aus seinen Löchern. Da werden Menschen mit politisch abweichend­er Meinung beim Arbeitgebe­r angeschwär­zt, wird Entlassung gefordert.

Die freie Debatte dagegen ist zum Erliegen gekommen. Wir erleben ein gelähmtes Land, das unfähig ist, politische Lösungen für eine selbstvers­chuldete Krise zu finden, sich dafür aber bis an die Zähne mit Moralkeule­n und Hassrhetor­ik bewaffnet hat.

Auch dieser Fisch stinkt aber vom Kopfe her. Es ist die politische Klasse, es sind die Eliten, die unfähig oder unwillig sind, politisch überlegt, mutig, nachdrückl­ich und entschloss­en zu handeln, Fehler einzugeste­hen und sie zu korrigiere­n. Und vor allem zu begreifen: Es ist ihr Handeln, das Chemnitz erst ermöglicht hat. Geschieht das alles nicht schnellste­ns, kann Absurdista­n am Ende zu einem äußerst ungemütlic­hen Ort werden.

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ZEICHNUNG: HORST HAITZINGER
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IMAGO-BILD: DOBS „Ich ramm’ die Messerklin­ge in die Journalist­en-Fresse“: KIZ am Montag beim Konzert in Chemnitz
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Will.
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