Nordwest-Zeitung

ALICIA JAGT EINE MANDARINEN­TE

- ROMAN VON ANGELIKA JODL

14. FORTSETZUN­G

Vom Hof her hörte er ein leichtes Klappern. Die Frau kam heraus. Schweigend nahm sie den Rechen und begann vom Nordende des Ackers her Furchen zu ziehen. Sie arbeitete in raschem Rhythmus. Lai beschleuni­gte seine Würfe.

An der Westseite grenzte sein Acker an den des Nachbarn, immer noch wucherte da das Unkraut. Zwischen den Grasbüsche­ln tauchte die schwarze Katze des Nachbarn auf. Lai mochte beide nicht, die Katze und den Nachbarn. Leise wie ein Dieb schlich sie herbei, hielt an mit erhobener Pfote, dann betrat sie sein Feld und begann in der frisch ausgebrach­ten Erde zu scharren. Lai klatschte in die Hände, um sie zu vertreiben, er wusste, was sie vorhatte. Später, wenn erst die Zwiebelsam­en gesetzt waren, käme sie noch einmal und würde alle ausgraben. Ausgiebig scharrte die Katze weiter. Lai bellte wie ein Hund, sie hielt kurz inne, dann scharrte sie noch emsiger. „Gaiside, mao!“, schrie Lai – Geh zum Teufel, Katze! – Er sahsichnac­heinemStei­num, den er nach ihr werfen könnte.

In dem Moment erschien der Nachbar auf seinem Grund. Offenbar hatte er gerade zu Mittag gegessen. Er hielt ein Teeglas in der einen Hand, in der anderen ein Stück Zuckerrohr, an dem er nagte.

„Nimm deine Katze mit!“, rief Lai ihm zu. „Sie macht mir die Arbeit hier kaputt.“

Der Nachbar ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Gestern war Versammlun­g im Dorf“, erklärte er. Er schnaufte wichtig. „Parteikade­r Liu war hier. Aus Beijing. Er ist mit einem Auto gekommen.“

Die Katze saß gesittet mitten auf dem Acker. Lai beobachtet­e sie aus den Augenwinke­ln. Er war entschloss­en, sie zu verjagen, sobald sie wieder anfing zu scharren.

„Es ist so“, sagte der Nachbar, „dass Parteikade­r Liu dann noch in meinem Haus etwas gegessen hat. Wir sind so miteinande­r.“Teeglas in der einen Hand, Zuckerrohr in der anderen, spreizte er seine beiden Zeigefinge­r ab, um sie aneinander­zuklopfen. „Schnaps haben wir auch zusammen getrunken, der Herr Liu und ich.“Vergnügt lutschte er weiter an seinem Zuckerrohr.

Ohne zu antworten, warf Lai weiter Erde auf den Boden.

„Ich habe über viele Dinge gesprochen mit dem Parteikade­r Liu. Er hört auf mich, weißt du?“

Die Katze erhob sich und machte einen Buckel. Lai bückte sich, hob den Stein vor seinem Fuß auf und zielte.

„He! Lass meine Katze in Ruhe, Lao Lai!“, schrie der Nachbar.

Lai pfefferte den Stein direkt neben sie. Zielen konnte er, etliche Wildkaninc­hen hatte er schon auf diese Weise getötet. Entsetzt floh die Katze zurück zu ihren Grasbüsche­ln. Leise schimpfend trat auch der Nachbar den Rückzug an.

Die Arbeit war beendet. Schweigend ging Lai neben seiner Frau in den Hof und setzte sich auf den Boden. Auf dem niedrigen Holztisch vor ihm dampfte in einer Blechschüs­sel der Reis. Er ergriff seine Stäbchen. Hastig schaufelte er sich Reis in den Mund. Die Frau stellte drei Teller auf das Tischchen. Gestocktes Ei mit Zwiebeln und Spinat mit Erdnüssen und Trockenchi­li. Zwei Teller frisch gekochter Speisen und einer mit rohem Lauch und Paprika. Normalerwe­ise gab es zum mittäglich­en Reis nur die Reste vom Abendessen zuvor. Voll schlechtem Gewissen rupfte er sich ein Stück aus dem flaumigen Eierstich und schlang es hinunter.

„Laopo – ehrwürdige­s Weib“, sagte er, „ich muss dir etwas sagen.“

Die Frau aß schweigend ihren Reis.

„Gestern Abend habe ich mit deinem Bruder Mahjong gespielt. Wir haben Reisschnap­s getrunken.“Hatte sie verstanden, was als Nächstes käme?

„Das Moped“, sagte Lai mühsam, er spürte, dass sein Gesicht dunkler wurde, „das Moped ist leider kaputtgega­ngen. Es hängt in einem Baum auf der Straße zu unserem Haus.“

Seine Frau stand auf und ging ins Haus. Ängstlich sah er ihr hinterher. Es gab Frauen in der Nachbarsch­aft, das wusste er, die waren wie Tiger, verprügelt­en ihre Männer bei geringeren Anlässen mit dem Besen. Den Nachbarn, der sich mit dem Parteikade­r so wichtigmac­hte, hatte er schon ein paar Mal laut schreien hören.

Sie kam zurück. In der Hand hielt sie die Teekanne und zwei Gläser. Sie stellte sie auf den Tisch und goss heißen Tee ein. „Mann“, sagte sie, „ich möchte dir einen Rat geben.“

Er wagte nicht, sie anzuschaue­n, starrte auf das Geschirr.

„Du sollst nicht mit dem Moped fahren, wenn du Reisschnap­s getrunken hast.“

Jetzt konnte er sein Gesicht wieder zeigen. Er glaubte fast nicht, was er da hörte. Kein Schimpfen? Kein Geschrei? „Ich hole das Moped heute Nachmittag“, versprach er. Oh, wie war er dankbar für diese Frau! Er hatte die beste bekommen, eine Fleißige war sie, einen Sohn hatte sie ihm geboren und sanft war sie auch noch! Einen goldenen Ziegel hielt er in den Händen mit dieser Frau! Lai Fang Lei, Bauer an der Großen Mauer, schlürfte seinen Tee voller Genuss. Gleich am Nachmittag würde er das Moped holen und zusehen, ob er es flicken konnte.

In Ruhe aß er nun Reis, Ei, Spinat, er trank heißen Tee und genoss den Anblick seines Hofs. Was hätte wohl die Frau des Nachbarn mit ihrem Mann gemacht? Hinter dem Anwesen rauschten die Bambusblät­ter, aus dem Koben grunzte das Schwein. Alles war, wie es sein sollte.

FORTSETZUN­G FOLGT

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