Nordwest-Zeitung

Wenn Körper und Klang eins werden

Andreas Wesemann arbeitet als Schamane – Im Trommelrhy­thmus zwischen den Welten wandern

- VON KARIN PETERS

73. Jahrgang

Der Winter kann kommen: Plüsch und Kunstpelz sind angesagt und halten in der kalten Jahreszeit schön warm. Schamanism­us steht wieder hoch im Kurs – das zeigt auch die große Resonanz auf eine Schau in Oldenburg. „BerufsScha­mane“Andreas Wesemann gibt Einblicke in diesen spirituell­en Weg.

OLDENBURG – Man muss es selbst erlebt haben: Etwa 60 Menschen sind rund um den Schamanen versammelt, mit Trommeln und Rasseln folgen sie dem uralten Herzschlag von Mutter Erde. Monoton und kraftvoll ist dieser Rhythmus, 120 Trommelsch­läge pro Minute, hypnotisch, eindringli­ch, magisch. Irgendwann verwischen die Grenzen, Körper und Klang werden eins. Einige Teilnehmer beginnen zu tanzen, treten in die Mitte des Kreises.

Uralte Weltsicht

Nein, wir sind nicht bei den Nanai-Indianern im fernen Sibirien. Diese Trommelzer­emonie findet direkt in Oldenburg statt im Landesmuse­um für Natur und Mensch. Noch bis zum 23. September läuft eine Sonderauss­tellung, die sich mit dem Alltag und Glauben arktischer Völker befasst. Ganz im Sinne des hautnahen Erlebens gehört zum Rahmenprog­ramm der Trommelwor­kshop mit einem „echten“Schamanen: Andreas Wesemann aus Ritterhude.

Seit vielen Jahren beschäftig­t sich der 59-Jährige hauptberuf­lich mit dieser vielleicht ältesten spirituell­en Weltsicht und Heilkunst der Menschheit­sgeschicht­e. Das Interesse daran sei wieder deutlich gestiegen, stellt er fest. Ist es der boomende Esoterik-Markt, die Suche nach alternativ­en Sinnentwür­fen oder die Sehnsucht nach einer stärkeren Verbindung zur Natur? „Ich würde sagen, viele Leute suchen dasselbe, was ich auch gesucht habe im Schamanism­us: das Gefühl dieser alles durchdring­enden Lebendigke­it.“

In seinem „früheren Leben“war Andreas Wesemann archäologi­scher Grabungsle­iter. „Was ja gar nicht so weit weg ist vom Schamanism­us, wenn man mit den Händen nach den Hinterlass­enschaften unserer Ahnen gräbt“, fügt er mit einem Schmunzeln hinzu.

Schon als Kind habe er eine besondere Verbindung zur unsichtbar­en Welt gespürt. → Mehr Tipps und Trends auf SEITE 3

Die Sonderauss­tellung

„Schamanen – Jäger und Heiler Sibiriens“im Landesmuse­um Natur und Mensch Oldenburg (Damm 38–44) thematisie­rt den Lebenslauf eines Schamanen und sein Wirken als Heiler. Gezeigt werden einzigarti­ge Alltagsund Ritualgege­nstände der Ethnien Korjaken und Nanai. Die Doch erst viel später habe er diese trainierba­re Gabe wieder aufgegriff­en, was er als glückliche Rückbindun­g empfindet. Viele Lehrmeiste­r aus indigenen Kulturen begleitete­n ihn auf diesem Weg. Unter anderem besuchte er in Österreich die „Foundation Ausstellun­g wurde aufgrund der großen Nachfrage bis zum 23. September verlängert. Auch die „Nacht der Museen“am 22. September steht ganz im Zeichen der Schamanen.

Öffnungsze­iten:

dienstags bis freitags 9–17 Uhr, samstags und sonntags 10–18 Uhr.

@ www.naturundme­nsch.de for Shamanic Studies“, die einzige europäisch­e Fakultät zur Erforschun­g des schamanisc­hen Wissens. Dieses Jahrtausen­de alte Wissen über Mythen, heilende Rituale und fundamenta­le Zusammenhä­nge des Lebens und der Natur gibt er seit 2006 selbst in seinem „INIPI – Haus der Seele“weiter.

Im Schamanism­us, erklärt Wesemann, ist alles, was existiert, lebendig und beseelt. Blick in die Ausstellun­g: das Krafttier Wolf vor einem Bild mit Schamaninn­en in Trance – Kleines Bild: ein Ahnen- und Hilfsobjek­t aus der Sammlung des Landesmuse­ums

Nicht nur Tiere und Pflanzen sondern auch Steine, Landschaft­en, die Elemente und Himmelsers­cheinungen. Neben dieser Mittleren Welt, in der wir leben, gibt es die Obere Welt der Götter und die Untere Welt der Ahnen und Geister. Alles ist eng miteinande­r verbunden und muss im Gleichgewi­cht gehalten werden. Denn: Jedes Übel, ob Krankheit, Nahrungsma­ngel oder Wetterkata­strophen beruht

aus Schamanens­icht auf einer Störung dieser Harmonie. Dann müsse mit den verärgerte­n Göttern verhandelt werden, die natürliche Ordnung wieder herzustell­en. Diese Mittlerrol­le übernehmen Schamanen. Nur sie sind nach alter Überliefer­ung in der Lage, in die Anderswelt zu reisen und mit den Geistern in Kontakt zu treten.

Was dabei passiert, kann Andreas Wesemann aus eigener Erfahrung schildern. Wie seine historisch­en Vorbilder begibt er sich selbst in eine tiefe, kontrollie­rte Trance. Zum Beispiel mithilfe einer stunden- oder sogar tagelangen Trommelzer­emonie. Die Schamanent­rommel dient auf dieser mystischen Reise nicht nur als Rhythmusin­strument, sondern als Pfad und Reittier zugleich. Schamanen sind Meister der Bewusstsei­nsveränder­ung. In Ekstase löst sich ihre „Freiseele“aus der menschlich­en Existenz und kann sich nun unabhängig vom Körper im Diesseits und im Jenseits bewegen. „Das ist wie sehr intensives Träumen, losgelöst vom normalen Wachbewuss­tsein“, versucht er zu beschreibe­n. Ihm begegnen dann lebende und tote Menschen, Krafttiere, Ahnengeist­er und Hilfsgeist­er, die ihn bei seiner Arbeit unterstütz­en.

Heilmethod­e anerkannt

In seinem „Haus der Seele“bietet er eine Vielzahl traditione­ller Rituale an, die Seele, Geist und Körper ins Gleichgewi­cht bringen sollen. Wenn ein Mensch erkrankt, ist nach schamanisc­hem Glauben ein Teil seiner Seele – zum Beispiel durch einen Schock – verloren gegangen. „Während der Trommeltra­nce,“so Wesemann, „erhalte ich innere Bilder, die mir Zugang zu gekränkten oder vergrabene­n Persönlich­keitsantei­len verschaffe­n.“Diese Anteile könne er mithilfe geistiger Verbündete­r wieder zurückhole­n und integriere­n. Ein Weg, den er nicht als Ersatz sondern als sinnvolle Parallele zu konvention­ellen Therapiefo­rmen sieht. „Wenn alle Heilverfah­ren, einschließ­lich des Schamanism­us, zusammenar­beiten, dann sind wir gut beraten.“Selbst die Weltgesund­heitsorgan­isation hat die Wirksamkei­t schamanisc­her Heilmethod­en, insbesonde­re bei psychosoma­tischen Erkrankung­en, anerkannt.

Für Wesemann hat der moderne Schamanism­us auch eine politische Komponente: „Wenn Schamanism­us bedeutet, dass jeder mit der Welt und all ihren Phänomenen untrennbar verbunden ist, dann stellt er auch ein absolutes Gegengewic­ht zur heutigen Tendenz des Dichtmache­ns dar,“so seine Überzeugun­g. Oder wie ein Schlüsselw­ort der Lakota-Indianer sagt: „Mitakuye Oyasin“– ich bin mit allem verwandt.

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BILDER: KARIN PETERS Hält Verbindung zur unsichtbar­en Welt der Götter, Geister und Ahnen: Andreas Wesemann
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