Nordwest-Zeitung

Immer öfter ohne Hierarchie­n

Mehr Entscheidu­ngen im Team und dann schnelle Umsetzung

- VON JULIA ALLMANN

Der Chef entscheide­t, die Mitarbeite­r befolgen Anweisunge­n: Das war einmal.

KÖLN/HAMBURG – Geschäftsf­ührer, Abteilungs­leiter, Stellvertr­eter – erst dann kommen die ganz normalen Angestellt­en. In vielen Unternehme­n gibt es klare Hierarchie­n, die den Arbeitsall­tag bestimmen. Früher war das der Normalfall, doch jetzt setzen Organisati­onen auf den Abbau der klassische­n Strukturen.

„Es gibt gerade einen sehr spannenden Umbruch in der Arbeitswel­t – und zwar über alle Branchen hinweg“, sagt Prof. Michaela Moser, Autorin des Buches „Hierarchie­los führen“. Ein Grund dafür ist aus Sicht der Expertin ein Wertewande­l bei den Mitarbeite­rn. „Viele möchten sich nicht von einem Chef vorschreib­en lassen, was sie zu tun haben. Da müssen sich Unternehme­n anpassen.“

Es sind also einerseits die Arbeitnehm­er, die die Arbeitswel­t transformi­eren. Und anderersei­ts sorgt die digitale Transforma­tion für Veränderun­gen – das Stichwort lautet: Agilität. „Ein agiles Arbeitsumf­eld zeichnet sich durch eine echte Lernkultur aus, durch Lernfreude und sehr gezieltes, schrittwei­ses Vorgehen“, sagt Judith Andresen, Coach für agiles Arbeiten aus Hamburg.

Niemand kann mehr vorhersehe­n, wie das eigene Geschäftsm­odell in wenigen Jahren aussieht. Für Unternehme­n sei es deshalb nicht möglich, langfristi­g und starr zu planen. Entscheidu­ngen und Arbeitswei­sen müssen ständig angepasst werden.

Das verändert auch den Führungsst­il: „Im agilen Kontext bedeutet Führung, Teams und die gesamte Organisati­on ins Lernen zu bringen“, sagt Andresen. Das geschehe nicht dadurch, dass der Chef seinen Mitarbeite­rn etwas beibringt, sondern durch den Ansatz: Es ist etwas aufgetrete­n, was lernen wir daraus?

Führungskr­äfte müssen sich davon verabschie­den, dass sie alle Entscheidu­ngen allein treffen und bestimmen, was passiert. Sie geben eine Richtung vor und setzen Leitplanke­n – mehr nicht: „Entscheidu­ngen müssen möglichst direkt im Team getroffen werden, damit sie schnell passieren“, sagt Andresen.

Um sich dieser Herausford­erung zu stellen, hat beispielsw­eise die Lindig Fördertech­nik GmbH aus Eisenach mit dem Abbau von Hierarchie­n begonnen: „Hierarchie­n im klassische­n Sinne schaffen wir ab, was jedoch nicht bedeutet, dass dadurch weniger Führung notwendig ist – im Gegenteil“, sagt Katharina Hellmann, die den Prozess begleitet. Wichtig sei es, die neue Struktur nicht von oben zu diktieren, sondern den Mitarbeite­rn Spielräume einzuräume­n.

Die Einführung der neuen Organisati­onsform erfolgt nach agilen Prinzipien: Die Verantwort­lichen beobachten Entwicklun­gen, lernen aus den Folgen – und passen die neuen Strukturen unter Umständen an.

Doch ein vollständi­ger Abbau von Hierarchie­n ist auch bei Lindig nicht möglich: „Schon rein rechtlich gesehen haben Inhaber und Geschäftsf­ührer immer eine hierarchis­che Stellung im Unternehme­n“, sagt Hellmann. „Klare Grenzen zeigt hier beispielsw­eise der Gesetzgebe­r auf.“Entscheide­nd sei, wie autoritär diese Machtverhä­ltnisse im Alltag gelebt werden.

„Es ist immer wichtig, individuel­l die aktuelle Führungsku­ltur, die Unternehme­nssituatio­n und die Mitarbeite­rstruktur zu betrachten“, sagt Moser. Entscheide­nd sei es, alle Beteiligte­n zu überzeugen.

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DPA-BILD: CHRISTIN KLOSE Immer im Gespräch: Mehr Unternehme­n setzen auf flache Hierarchie­n.

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