Nordwest-Zeitung

Kann sich die Katastroph­e wiederhole­n?

Wie Experten die Finanzmärk­te und die öffentlich­en Finanzen beurteilte­n

- VON HANNES BREUSTEDT

NEW YORK/BERLIN – Die Banker packten ihre Sachen und verließen mit Kartons das Hochhaus, Bilder verstörter Börsianer machten die Runde. Es hieß immer „too big to fail“, und nun wurde eine Bank nicht vom Staat gerettet. An diesem Samstag (15. September) vor zehn Jahren erschütter­te der Kollaps der Investment­bank Lehman Brothers die Finanzmärk­te und brachte die Weltwirtsc­haft an den Rand des Zusammenbr­uchs.

Mit Hunderten Milliarden an Notfallkre­diten aus Steuermitt­eln und drastische­n Zinssenkun­gen versuchten Politik und Notenbanke­n, weitere Geldhäuser zu retten und den Konjunktur­absturz zu bremsen. Auch ein Jahrzehnt später wirkt die Finanzkris­e gesellscha­ftlich und politisch noch nach. Es stellt sich die Frage: Ist man heute besser gegen so etwas gewappnet?

„Den 15. September 2008 werde ich niemals vergessen“, sagt Chefvolksw­irt Jörg Krämer von der Commerzban­k. Die Lehman-Pleite markiert nur eine Eskalation­sstufe der Finanzkris­e, steht damit aber für eines der schwärzest­en Kapitel der Wirtschaft­sgeschicht­e – Millionen Menschen wurden arbeitslos, viele verloren ihre Eigenheime oder Ersparniss­e. Die Folge waren tiefe gesellscha­ftliche Risse: Während verantwort­liche Manager kaum belangt wurden, zahlte die breite Bevölkerun­g die Zeche. Die Wut darüber bereitete radikalen politische­n Strömungen den Boden.

Wie konnte es soweit kommen? „Lehman war keine besonders große Bank, doch sie hätte beinahe das globale Finanzsyst­em in den Abgrund gezogen“, erklärt Experte Harold James von der Universitä­t Princeton. Mit vielen Töchtern und Zweckgesel­lschaften sei Lehman typisch für das Dickicht der Finanzmärk­te gewesen. Als die Preise am US-Häusermark­t zu sinken begannen und die Hypotheken der heillos überschuld­eten Eigenheime­r wertlos wurden, sorgten diese internatio­nalen Verflechtu­ngen für einen Flächenbra­nd.

Ist der Finanzsekt­or heute wenigstens krisenfest­er aufgestell­t? Daran gibt es durchaus Zweifel. In den USA ist die Trump-Regierung schon wieder dabei, die Gesetze aus der Obama-Ära zu lockern, die als Lehre aus der Finanzkris­e beschlosse­n worden waren. In Deutschlan­d wurden zwar seit 2008 rund 50 Gesetze vom Finanzmark­t stabili sie rungsbis zum Hoch frequenz handels gesetz auf den Weggebrach­t. Aber Kritiker sehen immer noch zu wenig Schutz – vor allem weil die Banken nicht zu mehr Rücklagen und höheren Eigenkapit­alquoten verpflicht­et würden, die staatliche Rettungsma­ßnahmen nicht mehr erforderli­ch machen würden.

Auch Commerzban­k-Chefvolksw­irt Krämer sieht noch immer Probleme. So würden die Notenbanke­n Übertreibu­ngen an den Finanzmärk­ten durch lockere Geldpoliti­k begünstige­n. „Ein weiteres Risiko ist der schlechte Zustand der öffentlich­en Finanzen in vielen Ländern der Währungsun­ion.“So seien die Staatsschu­lden relativ zum Bruttoinla­ndsprodukt mit Ausnahme von Deutschlan­d und Malta in allen EuroraumLä­ndern höher als vor dem Lehman-Kollaps. Die Lage bleibt also fragil.

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