Gericht will Prozess gegen Dincklage einstellen
Landgericht für Einstellung ohne Auflage und ohne Schuldfeststellung
OLDENBURG/WILHELMSHAVEN/ JWE – Der Untreue-Prozess gegen den ehemaligen Wilhelmshavener Polizeichef Hans-Henning von Dincklage steht womöglich vor einem plötzlichen Ende. Im Rahmen einer rechtlichen Zwischenbilanz hat das Gericht am Dienstag vorgeschlagen, das Gesamtverfahren ohne jede Auflage und ohne Schuldfeststellung einzustellen. Damit der Vorschlag wirksam werden kann, müssen ihm Staatsanwaltschaft und Verteidigung zustimmen.
Mit dem Vorschlag des Gerichts ist das mit einem Riesenaufwand betriebene Untreue-Verfahren in sich zusammengebrochen. Von Dincklage war vorgeworfen worden, Dienstwagen der Polizei zu Privatfahrten missbraucht zu haben.
Nachdem zunächst knapp 900 Fahrten untersucht worden waren, ging es in der Anklage um 90 Fahrten.
OLDENBURG/WILHELMSHAVEN – Jetzt könnte doch alles sehr schnell gehen. Vorsorglich waren vom Oldenburger Landgericht Verhandlungstermine bis kurz vor Weihnachten festgelegt worden, um die Untreue-Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Wilhelmshavener Polizeichef Hans-Henning von Dincklage zu untersuchen.
Am Montag verkündete das Gericht dann den Vorschlag, das Gesamtverfahren ohne jede Auflage und ohne Schuldfeststellung einzustellen. Nachdem in den vergangenen sechs Wochen die wichtigsten Zeugen gehört worden waren und sowohl Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte ihre jeweilige Sichtweise dargelegt hatten, kam die 2. Große Strafkammer zu der Ansicht, dass die allermeisten Anklagepunkte gestrichen werden müssten.
Der übrig gebliebene Rest sei so geringfügig, dass es zu einer kompletten Einstellung des Gesamtverfahrens kommen könne, schlug Ralf Busch als Vorsitzender Richter vor. Wirksam kann der Vorschlag werden, wenn Anklage und Verteidigung ihre Zustimmung erklären. Beide Seiten kündigten eine Prüfung an,
sodass spätestens am nächsten Verhandlungstermin am 5. Oktober feststehen dürfte, ob das Mammutverfahren dann ohne Urteilsspruch beendet werden kann.
Die Eckdaten des Verfahrens sind gewaltig. 50 Aktenordner sind mit den Prozessunterlagen gefüllt, unzählige Ermittlerstunden wurden absolviert, insgesamt mehr als
160 Zeugen vernommen. Ein Großteil erst, nachdem das Gericht die Vernehmung angeordnet hatte, nachdem es die erste Fassung der Anklageschrift nicht akzeptiert und zur Nacharbeit an die Staatsanwaltschaft zurückgeschickt hatte.
Ausgangspunkt war ein polizeiinternes Gerücht, wonach von Dincklage regelmä- ßig Privatfahrten im Dienstwagen mit Fahrer absolviere. Der jetzige Polizeipräsident Johann Kühme, damals Leiter der Polizeiinspektion Oldenburg/Ammerland, sah sich im Frühjahr 2013 dann in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Gerüchtelage aufgeklärt wurde.
Er ließ dem stellvertretenden Wilhelmshavener Inspektionsleiter ausrichten: „Wenn du in der Sache nicht tätig wirst, muss ich das tun.“
Was dann in Gang gesetzt wurde, ähnelt dem Vorgehen gegen Schwerstkriminalität. Die Lüneburger Sonderermittler, die ansonsten für den Kampf gegen organisiertes Bandentum zuständig waren, zogen alle Register. Knapp 900 Dienstfahrten von Dincklages wurden penibel untersucht, Fahrtenbücher, Dienstpläne und Kalender ausgewertet, seine Fahrer bis zu sieben Mal verhört – und zwar so, dass einer als Zeuge berichtete, er sei derart unter Druck gesetzt worden, dass er am Ende sogar Städtenamen wie Nienburg und Cloppenburg verwechselt habe.
Allerdings, so der Vorwurf der Verteidigung, habe man es unterlassen, auch entlastendes Material zu bewerten. Diesen Mangel habe jetzt das Landgericht ausgleichen müssen.