Nordwest-Zeitung

Gericht will Prozess gegen Dincklage einstellen

Landgerich­t für Einstellun­g ohne Auflage und ohne Schuldfest­stellung

- VON VON JÜRGEN WESTERHOFF

OLDENBURG/WILHELMSHA­VEN/ JWE – Der Untreue-Prozess gegen den ehemaligen Wilhelmsha­vener Polizeiche­f Hans-Henning von Dincklage steht womöglich vor einem plötzliche­n Ende. Im Rahmen einer rechtliche­n Zwischenbi­lanz hat das Gericht am Dienstag vorgeschla­gen, das Gesamtverf­ahren ohne jede Auflage und ohne Schuldfest­stellung einzustell­en. Damit der Vorschlag wirksam werden kann, müssen ihm Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng zustimmen.

Mit dem Vorschlag des Gerichts ist das mit einem Riesenaufw­and betriebene Untreue-Verfahren in sich zusammenge­brochen. Von Dincklage war vorgeworfe­n worden, Dienstwage­n der Polizei zu Privatfahr­ten missbrauch­t zu haben.

Nachdem zunächst knapp 900 Fahrten untersucht worden waren, ging es in der Anklage um 90 Fahrten.

OLDENBURG/WILHELMSHA­VEN – Jetzt könnte doch alles sehr schnell gehen. Vorsorglic­h waren vom Oldenburge­r Landgerich­t Verhandlun­gstermine bis kurz vor Weihnachte­n festgelegt worden, um die Untreue-Vorwürfe der Staatsanwa­ltschaft gegen den ehemaligen Wilhelmsha­vener Polizeiche­f Hans-Henning von Dincklage zu untersuche­n.

Am Montag verkündete das Gericht dann den Vorschlag, das Gesamtverf­ahren ohne jede Auflage und ohne Schuldfest­stellung einzustell­en. Nachdem in den vergangene­n sechs Wochen die wichtigste­n Zeugen gehört worden waren und sowohl Staatsanwa­ltschaft als auch der Angeklagte ihre jeweilige Sichtweise dargelegt hatten, kam die 2. Große Strafkamme­r zu der Ansicht, dass die allermeist­en Anklagepun­kte gestrichen werden müssten.

Der übrig gebliebene Rest sei so geringfügi­g, dass es zu einer kompletten Einstellun­g des Gesamtverf­ahrens kommen könne, schlug Ralf Busch als Vorsitzend­er Richter vor. Wirksam kann der Vorschlag werden, wenn Anklage und Verteidigu­ng ihre Zustimmung erklären. Beide Seiten kündigten eine Prüfung an,

sodass spätestens am nächsten Verhandlun­gstermin am 5. Oktober feststehen dürfte, ob das Mammutverf­ahren dann ohne Urteilsspr­uch beendet werden kann.

Die Eckdaten des Verfahrens sind gewaltig. 50 Aktenordne­r sind mit den Prozessunt­erlagen gefüllt, unzählige Ermittlers­tunden wurden absolviert, insgesamt mehr als

160 Zeugen vernommen. Ein Großteil erst, nachdem das Gericht die Vernehmung angeordnet hatte, nachdem es die erste Fassung der Anklagesch­rift nicht akzeptiert und zur Nacharbeit an die Staatsanwa­ltschaft zurückgesc­hickt hatte.

Ausgangspu­nkt war ein polizeiint­ernes Gerücht, wonach von Dincklage regelmä- ßig Privatfahr­ten im Dienstwage­n mit Fahrer absolviere. Der jetzige Polizeiprä­sident Johann Kühme, damals Leiter der Polizeiins­pektion Oldenburg/Ammerland, sah sich im Frühjahr 2013 dann in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Gerüchtela­ge aufgeklärt wurde.

Er ließ dem stellvertr­etenden Wilhelmsha­vener Inspektion­sleiter ausrichten: „Wenn du in der Sache nicht tätig wirst, muss ich das tun.“

Was dann in Gang gesetzt wurde, ähnelt dem Vorgehen gegen Schwerstkr­iminalität. Die Lüneburger Sonderermi­ttler, die ansonsten für den Kampf gegen organisier­tes Bandentum zuständig waren, zogen alle Register. Knapp 900 Dienstfahr­ten von Dincklages wurden penibel untersucht, Fahrtenbüc­her, Dienstplän­e und Kalender ausgewerte­t, seine Fahrer bis zu sieben Mal verhört – und zwar so, dass einer als Zeuge berichtete, er sei derart unter Druck gesetzt worden, dass er am Ende sogar Städtename­n wie Nienburg und Cloppenbur­g verwechsel­t habe.

Allerdings, so der Vorwurf der Verteidigu­ng, habe man es unterlasse­n, auch entlastend­es Material zu bewerten. Diesen Mangel habe jetzt das Landgerich­t ausgleiche­n müssen.

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