Nordwest-Zeitung

Dis Grauen vollständi­g auskosten

„Utøya 22. Juli" verarbeite­t den rechtsradi­kalen Anschlag in Norwegen – <pielfilm startet Donnerstag

- VON ALIKI NASSOUFIS

Cas Massaker von Anders Breivik auf der Insel schockiert­e nicht nur Norwegen. Der Film zeichnet die Geschehnis­se mit einer Protagonis­tin nach – das hat nicht nur Vorteile.

HAMBURG – Den 22. Juli 2011 werden die Menschen in Norwegen lange nicht vergessen. Es ist der Tag, an dem der Rechtsextr­emist Anders Behring Breivik zuerst in Oslo eine Bombe explodiere­n ließ und danach auf der Insel Utøya auf die Jugendlich­en eines Ferienlage­rs schoss.

77 Menschen starben bei den Anschlägen, viele wurden schwer verletzt. Der norwegisch­e Ministerpr­äsident Jens Stoltenber­g erklärte es zur schlimmste­n Katastroph­e in Norwegen seit dem Zweiten Weltkrieg. Nun versucht der norwegisch­e Regisseur Erik Poppe, die Tat zu verstehen und erzählt in „Utøya 22. Juli“von dem Terror.

Wackelnde Kamera

Im Mittelpunk­t steht Kaja, eine 18 Jahre alte Teilnehmer­in des Jugendcamp­s. Sie und ihre Freunde haben gerade von der Explosion in Oslo erfahren und machen sich Sorgen um die Betroffene­n und Gedanken über die Hintergrün­de.

Kaja ist mit ihrer jüngeren Schwester Emilie auf der Insel und hat sich wieder einmal mit ihr gestritten, als der Attentäter das Feuer eröffnet. Von nun an folgt die Kamera Kaja. Wie sie in den Wald flieht, sich hinter einen Erdhügel kauert, auf der Suche nach einem besseren Versteck weiterläuf­t, stolpert und wieder losrennt. Zwischendr­in kehrt sie zurück ins Zeltlager, um ihre Schwester zu suchen, ruft mit dem Handy verzweifel­t ihre Mutter an und steht einem sterbenden Mädchen bei. All dies ist fast dokumentar­isch und mit wackelnder Kamera gefilmt.

72 Minuten dauerte der Horror auf der Insel Utøya. Quasi in Echtzeit erzählt Regisseur Poppe seine Geschichte in einer Mischung aus Drama und Thriller – und spitzt dafür auch die Handlung zu. Denn die Figur der Kaja gab es so nicht, sie ist Fiktion. Doch mit der geschaffen­en Kunstfigur hat Poppe die Möglichkei­t, alle Facetten des Schreckens und Leidens gebündelt zu zeigen. Und so treibt er seinen Thriller mit konstanter Bewegung immer weiter voran.

Dadurch wird „Utøya 22. Juli“zwar zu einer „Tour de Force“fürs Kinopublik­um. Gleichzeit­ig sind die Geschichte und die Zuspitzung aber auch die Schwäche des Films. Warum muss ein horrender Anschlag noch überhöht werden? Warum muss man das Grauen erzähleris­ch so ausbeuten? Und warum soll das Kinopublik­um das Fberhaupt mit durchleide­n?

Viel spannender ist da der Ansatz, den der Brite Paul Greengrass kürzlich beim Filmfest Venedig vorstellte. In „22 July“schaut er ebenfalls auf die Anschläge, räumt den Terrorakte­n selbst aber nur wenig Platz ein. Ihn interessie­rt vielmehr, was die Attacken mit den Überlebend­en machen: Wie sie von Erinnerung­en verfolgt werden und ihre Familien das traumatisc­he Erlebnis zu verarbeite­n versuchen.

Furchtbare­r Anschlag

Auch in dieser Hinsicht ist Poppes „Utøya 22. Juli“das schwächere Werk. Am Ende des Films mag man zwar eine Ahnung davon haben, wie furchtbar so ein Anschlag für die Betroffene­n sein mag. Darüber hinaus aber trägt der Regisseur mit „Utøya 22. Juli“nichts Wesentlich­es zum Thema und zur Aufarbeitu­ng bei.

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DPA-BILD: AGNETE BRUN VON eckliches erlebt: Andrea Berntzen als Schülerin Kaya in einer Szene des Films „Utøya 22. Juli"

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