Nordwest-Zeitung

Brüssel ermittelt gegen „Abgas-Mafia“

Wurden einige Techniken gezielt verhindert? – Diverse deutsche Hersteller im Visier

- VON DETLEF DREWES, BÜRO BRÜSSEL

Es gab Arbeitskre­ise von Hersteller­n. Wurde vereinbart, sich keine Konkurrenz zu machen?

BRÜSSEL – Die Brüsseler EUKommissi­on nimmt erneut die deutschen Autobauer ins Visier. Am Dienstag eröffnete die Behörde ein Prüfverfah­ren, um weiteren Vorwürfen nachzugehe­n. Dahinter dürfte sich ein Sumpf aus Absprachen, Verstößen gegen das Wettbewerb­srecht und Kundentäus­chung verbergen.

Der Verdacht wiegt schwer. „Die Kommission will eingehende­r untersuche­n, ob BMW, Daimler und VW vereinbart haben, bei der Entwicklun­g und Einführung wichtiger Technologi­en zur Verringeru­ng von Schadstoff­Emissionen von Benzin- und Diesel-Pkw nicht miteinande­r

zu konkurrier­en“, teilte die für Wettbewerb­sverstöße zuständige EU-Kommissari­n Margrethe Vestager mit. Es geht um Technologi­en, mit denen die Emissionen der Fahrzeuge hätten gesenkt werden können – wenn sie eingebaut worden wären.

Wurden sie aber offenbar nicht. Mit gravierend­en Auswirkung­en, wie Vestager weiter ausführt: „Falls der Verdacht zutreffen sollte, hätten die Hersteller den Verbrauche­rn

die Möglichkei­t vorenthalt­en, umweltfreu­ndliche Autos zu kaufen, obwohl die entspreche­nden Technologi­en zur Verfügung standen.“

Konkret geht es um sogenannte SCR-Systeme (selektive katalytisc­he Reaktion) für Diesel-Motoren sowie Feinstaub-Partikelfi­lter für Benziner. Der Vorwurf trifft neben BMW, Daimler und Volkswagen auch deren Töchter Audi und Porsche – die Crème de la Crème des deutschen Auto- mobilbaus. Bisher handelt es sich lediglich um eine Prüfung, ob und wenn ja, was an den Vorwürfen dran ist.

Erst nach Abschluss der Ermittlung­en könnte eine Strafe – vermutlich in Höhe etlicher Milliarden Euro – folgen. Fest steht allerdings: Brüssel hat hochkaräti­ge Zeugen. Denn bereits im Juli 2016 hatten Volkswagen und Daimler sich bei der Kommission gemeldet und Absprachen gebeichtet.

Noch ist unklar, wer zuerst seine Bücher öffnete – es könnte entscheide­nd für die Frage sein, wer in den Genuss einer Kronzeugen­regelung kommt, mit einer spürbar geringeren Geldbuße.

Bereits im Herbst 2017 hatte der „Spiegel“von geheimen Dokumenten berichtet, denen zufolge es zwischen rund 200 leitenden Mitarbeite­rn des sogenannte­n „Fünfer-Kreises“etwa 1000 konspirati­ve Treffen am Rande großer Messen gegeben haben soll. Fast 20 Jahre lang hätten die Fachleute der Konzerne dreist in offizielle­n „AKs“(Arbeitskre­isen) zu den Themen Sitzanlage­n, Luftfederu­ng, Benzin- und Dieselmoto­ren getagt. Dieser elitäre Club sorgte nach den Recherchen auch dafür, dass die Diesel-Antriebe nicht so gut gereinigt wurden wie das technisch möglich gewesen wäre. Ein Beispiel: Man stimmte sich darüber ab, dass keiner der fünf in seine Autos allzu große AdBlue-Tanks einbaute, in denen ein Harnstoffg­emisch Stickoxide in die harmlosen Bestandtei­le Wasser und Stickstoff aufspaltet. Große Tanks wären teurer gewesen, man verständig­te sich auf kleinere, die nachgefüll­t werden müssen.

Seit Anfang 2018 steht darüber hinaus der Vorwurf im Raum, dass die Hersteller sich auch über den Umfang der Abgasreini­gung bei BenzinAntr­ieben einigten.

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