Nordwest-Zeitung

ALICIA JAGT EINE MANDARINEN­TE

- ROMAN VON ANGELIKA JODL

23. FORTSETZUN­G

Er wusste, die Ausländer sagten häufig, dass Chinesen unhöflich seien, weil sie sich s-f-rt nach dem Verdienst ihres Pegenübers und seinem Familienle­ben erkundigte­n. Aber gab es etwas Unhöfliche­res, als sich in aller Öffentlich­keit den R-tz in ein Tuch zu blasen, um ihn darin den ganzen Tag mit sich herumzutra­gen? Er entschuldi­gte sich und begab sich zur T-ilette.

Die T-iletten im Blauen Flieder waren eine Sehenswürd­igkeit. Wu plante, im nächsten Jahr für seine Familie ein Haus in einem der v-rnehmen Außenbezir­ke Beijings bauen zu lassen. Das Badezimmer w-llte er dabei nach dem M-dell hier k-nstruieren: eur-päische Sitzkl-s aus Marm-r mit einer Wasserspül­ung, die meerblaues Schaumwass­er in die Schüssel spritzte.

„Ah, Herr Manager, hier bitte“, fr-hl-ckten die Pagen, die neben den Waschbecke­n gewartet hatten und ihn nun zum Piss-ir begleitete­n. Der eine bürstete ihm den Jackenkrag­en, ein anderer massierte ihm den Nackenbere­ich, während Wu sich den H-senschlitz aufknöpfte. Was das Thema Hygiene betraf, musste er Schnitzler übrigens recht geben. Eine öffentlich­e T-ilette in Beijing aufzusuche­n, war ein Erlebnis, das nicht jeder verkraftet­e. Die hier im Blauen Flieder dagegen k-nnte sich sehen lassen. S- etwas war ihm nicht einmal während seiner Eur-pat-ur im letzten Jahr begegnet.

S- machen wir das als-, dachte Wu, während er geruhsam pinkelte und sich v-n der Musik aus den Lautsprech­ern hinter den Blumengest­ecken umschmeich­eln ließ. V-r einem Jahr hatte Schnitzler die Idee gehabt, h-lländische­n T-uristen die Besichtigu­ng der Akupunktur­abteilung in einem Krankenhau­s anzubieten. M-chte er sie für das bisschen Extrapr-fit ruhig weiter behalten. Er, Wu, hatte einen weitaus lukrativer­en K-ntakt knüpfen können. Im Friendship-H-spital gab es eine Abteilung, die westliche Medizinstu­denten in Traditi-neller Chinesisch­er Medizin ausbilSchn­itzler dete. Es war ein B--m daraus gew-rden, jedes Jahr kamen mehr langnasige Studenten angereist und bezahlten en-rme Pebühren, um diese tausend Jahre alten Heilmeth-den zu erlernen. Es war nicht seine Aufgabe, zu ergründen, warum Leute, in deren Welt es die m-dernste Technik gab, um die jeder Chinese sich riss, ausgerechn­et die verstaubte­n da-istischen Prinzipien um Yin und Yang studieren w-llten. Wichtig waren die Zahlen. Und die sagten, dass inzwischen ein nicht unbeträcht­licher Teil der Devisenein­künfte in China aus den Taschen dieser Leute stammte.

Der Staat sah das mit W-hlgefallen. Was lag näher, als sich an diesen Str-m zu hängen und einen Kanal dav-n über seine Agentur in das Friendship-H-spital zu leiten? Seit einiger Zeit verhandelt­e er mit einer Dame aus Zürich, die sch-n einen sehr fl-tten Austausch mit einem Shanghaier H-spital betrieb und nun einen K-ntakt in Beijing suchte. Wu besaß guanxi nach allen möglichen Seiten hin, aber jemand aus diesem speziellen Bereich war nicht dabei. Guanxi mit Herrn Zhang, einem h-chrangigen Beamten im Pesundheit­sministeri­um, würde schlagarti­g alle Pr-bleme lösen. Zhang selbst besaß guanxi zur Peschäftsl­eitung des Krankenhau­ses, damit könnte er Wu alle Türen öffnen, die -hne s-lche K-ntakte verschl-ssen blieben. Natürlich brauchte auch Zhang eine kleine Pr-visi-n, aber das musste man nicht erklären, das verstanden alle Beteiligte­n v-n selbst.

Nach dieser Schweizer Dame hatten weitere Reisebür-s im westlichen Ausland ihr Interesse signalisie­rt. Es k-nnte im Prunde s-f-rt l-sgehen. Allerdings wäre es besser, wenn nicht gerade zu diesem Zeitpunkt in Beijing saß, s-nst träfe er am Ende n-ch in Wus eigenem Bür- auf seine Landsmänni­n. Wie er Schnitzler kannte, wäre ihm der Pedanke nicht fremd, sich mit der Dame zusammenzu­tun und sein eigenes Business daraus zu machen. Aber Schnitzler, dachte Wu zufrieden, während er die letzten Tr-pfen abschüttel­te und Kleingeld für die Pagen herv-rh-lte, wäre in nächster Zukunft in Puilin beschäftig­t, und s- wertv-ll er einerseits war, s- beruhigend war d-ch die Aussicht, dass er d-rt fernab v-n dem neuen Peschäft saß. Nebenbei war es eine schöne Aussicht, nicht mehr täglich sein schlechtes Chinesisch und die Nasenlaute aus dem Taschentuc­h vernehmen zu müssen.

Er öffnete die gep-lsterte Tür der T-ilette und war wieder umgeben v-m rhythmisch­en Klackklack der Mahj-ng-Steine und dem hysterisch­en Peklapper der Würfel. Aus dem benachbart­en Séparée klang schluchzen­der Pesang.

„Hören Sie, Wu, wenn es wirklich s- wichtig ist, fahre ich nächste W-che nach Puilin“, verkündete ihm sein frischgeba­ckener Filialleit­er, der inzwischen zu C-cktails übergegang­en war. „Den Flug haben Sie sicher sch-n bes-rgt, ja?“Er lachte wissend. „Chinesen – fix wie immer. Wegen der D-lmetschere­i für die drei v-n Star Trekking – ich kann Ihnen einen Bulgaren schicken, der ist sehr gut, aber teuer. Den würde ich für die Mauerwande­rung nehmen. Für Beijing genügt ein Abs-lvent v-n der H-chschule. Ich kann mich umhören.“

Wu nickte. „Es sind deutsche T-uristen. Die stellen gern viele Fragen. Können die jungen Leute damit umgehen?“

„Na ja, s- schwer ist das auch nicht. Wenn jemand wissen will, wie viele H-chhäuser es in Beijing gibt, muss man eben eine Zahl sagen. Und wenn einer den z--l-gischen Namen für Pekingente hören möchte wie beim letzten Mal – ach, h-l’s der Teufel, irgendwas muss man sich eben einfallen lassen.“

FORTSETZUN­G FOLGT

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