Nordwest-Zeitung

„Justiz muss auf Bürger zugehen“ INTERVIEW

Richterbun­d7Vorsitze­nder setzt sich für kleine Gerichtsst­andorte ein

- VON HANS BEGEROW

Richterbun­d7Vorsitze­n7 der Jens Gnisa besuchte das Oberlandes­gericht Oldenburg. Er sprach am Mittwochab­end über das Thema „Rechtsstaa­t in der Vertrauens­krise“.

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ichter bef ngen sind ! s k"nnen die ichter, # s k nn der ichterbund tun, u d s zu entkräften$

GNISA: Die Justiz verfügt im Vergleich zu anderen staatliche­n Institutio­nen noch immer über hohe Zustimmung­swerte. Studien belegen, dass es in der deutschen Justiz hohe Qualitätsm­aßstäbe gibt. Es läuft also vieles gut. Richtig ist allerdings auch, dass es immer wieder Kritik an einzelnen Entscheidu­ngen gibt. Ich glaube, wir müssen noch mehr als in der Vergangenh­eit auf den Bürger zugehen und ihm die Hintergrün­de erläutern. Ich sehe es auch als Aufgabe für mich als Vorsitzend­en des Deutschen Richterbun­des an, mich der Kritik zu stellen.

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GNISA: Unsere gesamte Welt wird jeden Tag komplizier­ter. Grund dafür ist eine dynamische technische und gesellscha­ftliche Entwicklun­g. Für viele Dinge, die man früher noch selbst regeln konnte, braucht man heute Fachleute. Natürlich macht diese Entwicklun­g auch vor dem Recht nicht halt. Das Recht muss mithalten, um die Dinge zeitgemäß regeln zu können. Für den Bürger sind die Dinge dann schwerer zu durchschau­en als früher. Alles öffentlich zu machen, wäre aber auch nicht hilfreich. Denken wir an Verfahren, die nicht öffentlich sind, um Jugendlich­e oder Zeugen zu schützen. Die Justiz öffnet sich aber gleichwohl vorsichtig. Denken wir daran, dass jetzt beispielsw­eise Urteilsver­kündungen an den obersten Bundesgeri­chten live übertragen werden können.

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GNISA: Bei einem Gerichtsve­rfahren steht die Wahrheitsf­indung im Vordergrun­d. Das muss auch so bleiben. Das Aussagever­halten von

Zeugen beispielsw­eise würde sich ändern, wenn ihre Aussage im Fernsehen übertragen würde. Das können wir nicht zulassen. Zudem sind auch Persönlich­keitsrecht­e zu wahren. Dies muss mit dem Recht der Medien auf freie Berichters­tattung abgewogen werden. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Rechte der Journalist­en hier unzulässig verkürzt sind, zumal sie in der Vergangenh­eit deutlich erweitert wurden. Denken wir beispielsw­eise daran, dass der Eintritt des Gerichts in den Saal gefilmt werden darf und auch Fotos vor der Verhandlun­g gemacht werden dürfen. Aber es bleibt dabei: All diese Maßnahmen kommen nur dann in Betracht, wenn sie die Suche nach der Wahrheit nicht beeinträch­tigen. =RAGE: !ie stehen 0ie zu den neuen +edien$ 0ollte n die +"glichkeit nutzen, die neue +edien #ie 2urzn chrichtend­ienste bieten, u ktuell us )erf hren zu berichten$ GNISA: Dies ist in der Tat schwierig, da sich die Formate der Kurznachri­chtendiens­te oft nicht eignen, die notwendige­n Informatio­nen zu übermittel­n. Zurzeit wird aber in den sozialen Medien zu viel über die Justiz gesprochen, ohne dass wir dort unmittelba­r mit unseren eigenen Positionen vertreten sind. Ich sehe also Handlungsb­edarf außerhalb des Gerichtssa­als. Generell ist es für Justizthem­en aber wichtiger, umfassend zu informiere­n, als schnell. Deshalb stehe ich einer Nutzung von beispielsw­eise Twitter sehr skeptisch gegenüber. =RAGE: .us 0icht der Bürger,

uch der /ourn listen, ist die 0&r che der /ustiz oft unverständ­lich !enige 0&ezi listen verstehen, # s beis&iels#eise in )erf hren vor de )er# ltungsgeri­cht & ssiert !o besteht %hrer .nsicht n ch H ndlungsbed rf$

GNISA: Zunächst einmal glaube ich schon, dass Bürger da den Verhandlun­gen folgen können, wo sie unmittelba­r betroffen sind – also beispielsw­eise in den ersten Instanzen. Richtig ist aber auch, dass die Richter zwei Ziele verfolgen müssen: einerseits dem Bürger die Vorgänge vermitteln, anderersei­ts müssen sie aber auch eine juristisch exakte Fachsprach­e verwenden. Ein Lösungsweg wäre es, wieder mehr mündlich zu verhandeln, weil so ein unmittelba­rer Dialog zwischen dem Bürger und den Richtern möglich ist. Dazu brauchen wir aber mehr Kapazitäte­n, weil das einfach mehr Zeit kostet. Ich hoffe, dass wir dieses Ziel umsetzen können, wenn es die von der Politik versproche­nen Einstellun­gen neuer Richter und Staatsanwä­lte gibt. =RAGE: % er "fter #ird über 1bergriffe uf /ustiz&ersonen in /ustizgebäu­den berichtet !ird es künftig nur noch hochgesich­erte /ustizzentr­en geben$

GNISA: Es ist unsere Aufgabe, in den Gerichten und Staatsanwa­ltschaften für Sicherheit zu sorgen. Dazu ist es aus unserer Sicht dringend notwendig, flächendec­kend Eingangsko­ntrollen einzuricht­en. In Nordrhein-Westfalen haben wir diese Kontrollen bereits seit gut 15 Jahren – es läuft ohne jede Beanstandu­ng. Die Bürger kennen derartige Kontrollen ja auch schon seit vielen Jahren von den Flughäfen. Irgendwelc­he unzumutbar­en Zugangshür­den für den Bürger ergeben sich daraus nicht. Dieses Argument halte ich auch nach den Erfahrunge­n aus NRW für vorgeschob­en, um nicht die notwendige­n Finanzmitt­el aufbringen zu müssen. Auf Kosten der Sicherheit darf aber nicht gespart werden. =RAGE: !ie steht es u kleinere Gerichte$ 0ind 0ie, ist der

ichterbund, für den *rh lt der kleinen 0t ndorte, u Bürgernähe zu de onstrieren$

GNISA: Natürlich kann es keine Standortga­rantie für einzelne Gerichtsst­andorte geben. Trotzdem ist es dringend notwendig, die Leistungen der Justiz auch flächendec­kend vorzuhalte­n. Gerade kleine Gerichte sind oft erstaunlic­h leistungsf­ähig. Sie leben von einer hohen Identifika­tion durch die Bürger, Richter und Bedienstet­en. Der Rechtsstaa­t muss überall sichtbar bleiben. Dies belegen auch noch einmal die negativen Erfahrunge­n aus Mecklenbur­g-Vorpommern. Hier wurde gut die Hälfte aller Amtsgerich­te geschlosse­n. Die versproche­nen Einsparung­en ließen sich aber eben nicht erzielen, der Bürger muss nun teilweise mehr als 50 Kilometer fahren, um sein nächstes Amtsgerich­t zu erreichen und Besuche von Gerichtsve­rhandlunge­n durch Schulklass­en sind so kaum noch möglich. So wie es Mecklenbur­g-Vorpommern gemacht hat, ist das ein abschrecke­ndes Beispiel – wie ich finde.

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BILD: PIET MEYER Anke van Hove, die Präsidenti­n des Oberlandes­gerichts begrüßte am Mittwoch den Vorsitzend­er des Deutschen Richterbun­des, Jens Gnisa, in Oldenburg.

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