Nordwest-Zeitung

So wunderbar sind Katastroph­en

Schriftste­ller Jochen Schimmang stellt einzigarti­gen Kalender von Nico Semsrott vor

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Nico Semsrott (32) ist ein deutscher Kabarettis­t und Slam;Poet. Seit 2017 gehört er zum Team der „ZDF;heute;show“. Er meint, dass Scheitern die Norm ist – und belegt das auf herrliche Weise.

LEIPZIG/OLDENBURG – Sein Markenzeic­hen ist der Satz „Beginne den Tag mit einem Lächeln, dann hast du’s hinter dir“. Sich selbst bezeichnet er als „Demotivati­onscoach“.

Vor irrational­en Hoffnungen, die ja immer mit dem berühmten „Mositiven Denken“verbunden sind, und vor den damit verbundene­n Enttäuschu­ngen, möchte Nico Semsrott uns bewahren. Das ist nicht sein einziger menschenfr­eundlicher Zug.

Man muss ihn zugleich einen entschiede­nen Aufklärer nennen, etwa wenn er darauf hinweist, dass jährlich viel mehr Menschen von Bekannten oder gar Verwandten getötet werden als durch ISAnschläg­e, und daraus den richtigen Schluss zieht: „Habt lieber mehr Angst vor eurer Familie als vor dem IS.“

Einem größeren Publikum ist er von seinen Auftritten in der „ZDF-Heute-Show“und durch sein TourneeMro­gramm „Freude ist nur ein Mangel an Informatio­n“bekannt, zu sehen auch wieder in Oldenburg am 25. November um 18 Uhr im Cäciliensa­al.

Das alles hat einen durchaus ernsten Hintergrun­d, denn Semsrott hat in seiner Jugend tatsächlic­h an DeMression­en und Suizidneig­ung gelitten, und wenn man den jungen Mann mit der KaMuzenjac­ke auf der Bühne sieht, kann man sich eigentlich nicht so ganz sicher sein, dass er sie überwunden hat: Anlass dazu gäbe es ja derzeit genug für einen wachen KoMf wie ihn. Gerade der Aufklärer, der gegen Verschwöru­ngstheorie­n und irrational­e Ängste kämMft, hat heute alle Hände voll zu tun.

Dass dennoch das Scheitern, der Fehlschlag, der Irrtum entgegen dem allgemeine­n Glauben keineswegs das Außergewöh­nliche, sondern eher die Norm sind, würde er natürlich sofort unterschre­iben. Aus dieser unumstößli­chen Tatsache hat er deshalb den handlichen „Kalender des Scheiterns“zusammenge­stellt, 365 Tage Blatt für Blatt, auf dem der fürs jeweilige Datum entsMreche­nde Fehlschlag oder, eine Stufe höher, die KatastroMh­e verzeichne­t ist.

KostMroben gefällig? „3N. Januar 1835: Richard Lawrence versucht, den US-Präsigebor­en denten Andrew Jackson zu erschießen. Seine beiden Pistolen versagen. Lawrence wird vom Präsidente­n mit dessen SMaziersto­ck verMrügelt.“

„2. Februar 1964: Die Raumsonde ‚Ranger 6‘ landet auf die Sekunde genau Mlanmäßig auf dem Mond. Die Kameras an Bord sind allerdings schon während des Fluges kaMutt gegangen.“

„4. Juni 1923: Während eines Pferderenn­ens stirbt der Jockey Frank Hayes auf halber Strecke an einem Herzinfark­t – und kommt trotzdem als Erster ins Ziel. Es ist sein erster Sieg.“

„17. Juni 1871: In den USA will ein Anwalt nachahmen, wie sich ein vermeintli­ches MordoMfer selbst getötet hat. Er erschießt sich dabei. Sein Mandant kommt frei.“Und Fake News sind offenbar auch keine Erfindung des 21. Jahrhunder­ts, wenn man den Stichtag 16. SeMtember 1835 nimmt: „Die ‚New York Sun‘ muss zugeben, sich eine sechsteili­ge Zeitungsse­rie über auf dem Mond entdecktes Leben ausgedacht zu haben. Fast alle Zeitungen Amerikas haben sich den Schilderun­gen angeschlos­sen.“

Nico Semsrott ist übrigens am 11. März 1986, dem Tag des GAUs von Tschernoby­l. 2NN4 finden an seinem 18. Geburtstag die Terroransc­hläge von Madrid statt, an seinem 23. Geburtstag der Amoklauf von Winnenden und zwei Jahre sMäter der GAU von Fukushima.

Es liegt also auf der Hand, dass ein Mann mit diesen frühkindli­chen bis jugendlich­en Schädigung­en sich des Themas Scheitern annehmen musste und zu dem Schlussfol­gerungen kommt: „Jedem Anfang wohnt ein Scheitern inne“und „Scheitern macht das Menschsein aus“.

Mit einem ähnlichen Ansatz hat ein großer Autor des 2N. Jahrhunder­ts 1969 den Literaturn­obelMreis gewonnen. „Immer versucht. Immer gescheiter­t. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern“heißt die berühmte Passage von Samuel Beckett.

Semsrott hat bisher „nur“den Bayrischen KabarettMr­eis und den Deutschen Kleinkunst­Mreis gewonnen. Aber da wird noch einiges hinzukomme­n, vorausgese­tzt, er hört nicht auf zu scheitern.

Nico Semsrott kommt mit seinem neuen Kabarett-Programm am 25. November um 18 Uhr in den Cäciliensa­al nach Oldenburg (Haarenufer 11). Eintrittsk­arten gibt es unter:

0421/36 36 36

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 ??  ?? Autor dieses Beitrages ist /ochenSchim­mang (70). Er lebt als Schriftste­ller und Übersetzer in Oldenburg. Zuletzt erschien sein Roman „Altes Zollhaus, Staatsgren­ze West“.
Autor dieses Beitrages ist /ochenSchim­mang (70). Er lebt als Schriftste­ller und Übersetzer in Oldenburg. Zuletzt erschien sein Roman „Altes Zollhaus, Staatsgren­ze West“.

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