Nordwest-Zeitung

Feinfühlig­e Geschichte eines Haudraufs

Richard Wagners „Siegfried“im Großen Haus des Oldenburgi­schen Staatsthea­ters

- VON HORST HOLLMANN

Tenor Zoltán Nyári wird als Titelheld gefeiert. Das Ensemble und das Staatsorch­ester unter Hendrik Vestmann präsentier­en sich über fünf Stunden in Hochform.

OLDENBURG – Lustig ist so ein Haudrauf-Leben, faria, fariaho! Da murkst Siegfried erst einmal dank lockerer Führung seines Schwertes Nothung den Riesen Fafner ab, den Schatzhüte­r. Er bringt Zwerg Mime um die Ecke, seinen Ziehvater. Den Stab Wotans, der dem Gott die Unantastba­rkeit sichert, schlägt er zu Kleinholz. Doch dann kreuzt ihm Brünnhilde den Weg. Die aufgeweckt­e Walküre erweckt im bisher instinktsi­cher naiven Helden den Mann. Da bekommt er es mit der Angst zu tun.

Es ist viel los in den fünf Stunden des dritten Teils beim „Ring des Nibelungen” im Staatsthea­ter. „Siegfried” gilt in der Tetralogie als technisch und psychologi­sch am meisten herausford­ernde Oper. Die Halbzeit ist gerade rum, das Finale noch weit weg. Doch im ausverkauf­ten Großen Haus in Oldenburg spürt niemand ein Nachlassen der Intensität. Auch dieser Teil rückt dem Publikum mit seiner stringente­n Erzählweis­e dicht auf die Pelle.

Da ist zuerst die Regie. Paul Esterhazy irrt nicht auf Seitenwege ab. Sein „Ring” folgt dicht den Menschen in einem abgelegene­n Bergdorf, ihren Antrieben und Verknotung­en. Diese Gesellscha­ft erneuert sich nicht mehr aus sich selbst heraus oder durch fremde Anstöße. Das marode alte Göttersyst­em hat seine Führungskr­aft verloren. Der Regisseur bleibt so konsequent auf die- ser Linie, dass er nicht einmal Fafner in den bekannten Drachen verwandelt. Schade ist das trotzdem.

Die Drehbühne verstärkt dabei das Gefühl, dass in dieser Enge die Erde als Scheibe wahrgenomm­en wird, dass der Horizont der Bewohner nur bis an ihren Rand reicht. Genau darüber aber entwickelt sich das Fasziniere­nde dieser Inszenieru­ng. Sie zeigt, dass Wagners Werk sich über die Grenzen der Innenwelt in universell­e Größe entwickelt. Der Nibelungen-Schatz beschreibt keinen griffigen Mammon, sondern einen ideellen Wert. Doch der „Ring” und die Menschheit enden in einer Tragödie, weil das Streben nach Macht alles Gemeinsame zerstört, sogar die Liebe.

Ja, die Drehbühne – Mathis Neidhardt fügt den bekannten Zimmern und Innenhöfen dynamisier­end neue Räume hinzu: herbstlich­e Naturfläch­en, dazu Labyrinthe mit Wänden und Schlafzimm­ern, durch die Siegfried seinen Weg finden muss. Es gibt lange Grundlinie­nduelle: Mime gegen seinen Zögling; der als Wanderer auftretend­e Wotan gegen den Rest der Welt; zwischen dem Helden und Brünnhilde. Doch immer findet die Bühne den auflockern­den Dreh.

Und da sind vor allem die Sänger. Zoltán Nyáris Siegfried strotzt vor Kraft, kommt wirklich heldisch daher. Sein bezwingend­er Tenor entwickelt fast italienisc­hes Belcan- to, wenn er inmitten vieler rezitativi­scher Abläufe in Melodien eintauchen darf. Der Ungar, ebenso fest im Oldenburge­r Ensemble wie die meisten anderen, gewinnt auch dem Piano viele Nuancen ab.

Der pfiffig gedoubelte Zwerg Mime (Timothy Oliver) changiert mit seinem Tenor treffend zwischen Selbstmitl­eid und List. Mit-Zwerg und Gegenpart Alberich (Kihun Yoon) trifft mit seinem Hohn bis ins Mark. Thomas Hall als Wanderer/Wotan kultiviert die Bitterkeit über den Verlust der Hoffnung in seinem voluminöse­n Bariton. Ill-Hoon Choung (Fafner), Marta Swiderska (Erda), Nancy Weißbach (Brünnhilde) und Sooyeon Lee (Waldvogel) runden den mitreißend­en Eindruck eines Ensembles ab, in dem jeder seine Rolle persönlich plastisch charakteri­siert.

Feuer lodert nicht nur auf der Bühne. Hendrik Vestmann erzielt mit einem Staatsorch­ester in Hochform Sogwirkung. Bei aller Wucht setzt der Generalmus­ikdirektor die gliedernde­n Zäsuren und Atempausen, feilt die fragenden Motive zu, splittert den Klang vielfältig auf. Inmitten dramatisch­er Impulse weben etwa Joaquim Palet mit Siegfrieds Hornruf, oder Ruth Ellendorff mit dem BasstubaSo­lo feine Muster ein.

Nein, ein Haudrauf-Stück ist dieser Siegfried nun gerade nicht.

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BILD: STEPHAN WALZL Mit aller Wucht dabei: Sänger Zoltán Nyári als Siegfried

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