Kimpf um Europa geht weiter
Ein Jahr nach der Sorbonne/Rede: Macron fordert mehr Reformergebnisse
Ein einsames Schiff auf dem Meer – bei Sturm und bei Sonnenschein. Das ist auf einem großen Wandteppich im Wintergarten des Pariser Élyséepalastes zu sehen. Manche interpretieren das Werk des zeitgenössischen Künstlers Pierre Alechinsky als eine Anspielung auf die schwierige Lage von Hausherr Emmanuel Macron. An diesem Mittwoch jährt sich der Tag, an dem der französische Präsident in der SorbonneUniversität seinen flammenden Appell zur „Neugründung eines souveränen, vereinten und demokratischen Europas“lancierte.
Er forderte einen europäischen Finanzminister und einen Haushalt für die Eurozone, der auf längere Sicht mit Steuereinnahmen finanziert werden könnte. Auch in der gemeinsamen Verteidigungspolitik machte der frühere Investmentbanker Druck – und schlug eine Interventionstruppe vor.
Das Bild hat sich dramatisch gewandelt: Italien hat eine Populisten-Regierung, in Österreich regiert die FPÖ mit. Europa streitet über die Migration und den Brexit, also den bevorstehenden britischen EU-Ausstieg. Eine umfassende Eurozonen-Reform lässt auf sich warten, auch wenn Experten diese als notwendig erachten.
Macron steht seit der Affäre um seinen früheren Sicherheitsmann Alexandre Benalla unter Druck. Die Beliebtheitswerte sinken. Auch der Staatschef selbst räumt ein, dass der „Kontext schwierig“sei. Aber gerade weil Europa in Gefahr sei, müsse man „vorschlagen, sich unablässig engagieren und alles umgestalten“, meinte er unlängst beim EU-Gipfel in Salzburg. Vieles sei bisher erreicht worden. „Und dieser Kampf wird weitergehen“, lautet sein Credo.
Macron lässt in der Tat nicht locker, tourt durch die europäischen Hauptstädte, um Verbündete für seinen Reformkurs zu finden. Beim Amtsantritt vor 16 Monaten war der Ex-Wirtschaftsminister noch sehr stark auf Deutschland und Kanzlerin Angela Merkel konzentriert. Auch dieses Bild hat sich gewandelt. Nach der Rede gab es in Berlin viel Wohlwollen, aber wenig Konkretes.
Dass nach der Bundestagswahl und der absehbar schwierigen Regierungsbildung einige Zeit vergehen würde, war allen klar. Sorgen machte man sich in Paris vor allem wegen der FDP, die im Wahlkampf eher EU-kritische Töne angeschlagen hatte. Als dann endlich im März die neue große Koalition in Berlin stand, und der damalige SPDChef Martin Schulz ein feierliches Bekenntnis zu Europa in den Koalitionsvertrag schreiben ließ, schien es geschafft.
Es dauerte aber noch einmal drei Monate, bis die deutsch-französische Erklärung von Meseberg den Kurs der beiden EU-Schwergewichte festlegte. Macron verbuchte es als einen großen Erfolg, dass Deutschland „sein“Eurozonen-Budget unterstützt, auch wenn dieses in bisherige Haushaltsstrukturen eingebettet werden soll.
Besonders gut laufe die Initiative im Hinblick auf die Verteidigung, heißt es mit gewissem Stolz in Paris. Vor drei Monaten vereinbarten neun EU-Staaten, darunter Großbritannien, den Aufbau einer neuen Militärkooperation, um bei Krisen schneller reagieren zu können.
Frankreichs Staatschef hat die Europawahl in acht Monaten fest im Blick. Sein Lieblingsgegner: der rechtskonservative ungarische Regierungschef Orban. Macron lässt keine Gelegenheit aus, gegen den Kontrahenten aus Budapest auszuteilen. Das Votum des Europaparlaments für ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn wurde in der französischen Machtzentrale auch deshalb als Erfolg gewertet.
Macron wolle vor der Wahl die europäische Rechte spalten, meinen Experten. Das kann der deutschen Kanzlerin kaum gelegen kommen – denn Orban gehört wie sie mit ihrer CDU der konservativen Europäischen Volkspartei an.