So sieht der typische Preisträger aus
Alt, weiß, amerikanisch, männlich – Liste der Gewinner entspricht diesen Klischees
Mit dieser Wette kann man nicht viel falsch machen. Auch in diesem Jahr wird die renommierte Auszeichnung wohl an mindestens einen Amerikaner gehen.
STOCKHOLM/OSLO – Ein alter, weißer, amerikanischer Mann im schwarzen Anzug. Den typischen Nobelpreisträger kann man mit wenigen Worten beschreiben. Auch im vergangenen Jahr waren acht der elf Preisträger US-amerikanische Staatsbürger, keine einzige Frau bekam diese Auszeichnung. Wird das wieder so, wenn in der ersten Oktoberwoche mit großem Tamtam die Nobelpreisträger 2018 verkündet werden? Zumindest die Dominanz der USA könnte schwinden, meint ein deutscher Wissenschaftler.
Dabei scheinen die absoluten Zahlen bemerkenswert eindeutig: Die schlauesten Köpfe der Welt sitzen demnach in Amerika. Sie forschen an den mit Abstand besten Universitäten. Seit 1901 haben Wissenschaftler von 127 US-amerikanischen Forschungsinstituten in den Kategorien Physik, Chemie, Medizin und Wirtschaft 369 Nobelpreise abgeräumt. Das ist mehr als die Hälfte aller vergebenen Auszeichnungen. Zum Vergleich: In derselben Zeit brachten Forscher von 54 deutschen Instituten 72 Nobelpreise mit nach Hause.
Doch diese Zahlen, meint der Frankfurter Physiker Claudius Gros, täuschten darüber hinweg, dass die Zeit der großen US-amerikanischen Erfindungen zumindest in den Nobeldisziplinen langsam zu Ende gehe. Er hat die erlangten Nobelpreise ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl der Länder gesetzt, deren Staatsangehörigkeit die Gewinner zur Zeit der Preisvergabe hatten. Die Kurve der USA zeigt klar nach unten, schon seit 1972.
„Davor standen die USA wissenschaftlich in voller Blüte“, sagt Gros – die Zeit der ersten Mondlandung und großer Entdeckungen. Noch immer sei die „Produktivität“der US-Wissenschaftler zwar relativ hoch. „Deutlich höher als die von Deutschland. Aber
nach der Vorhersage wird sich das in zehn Jahren ändern“, sagt der Physiker. 2025 hätten deutsche Wissenschaftler demnach bessere Chancen auf einen Nobelpreis als amerikanische. Mit Blick auf die Einwohnerzahl hätte Großbritannien die beste Quote.
Heißt das, dass die US-Forschung schlechter geworden ist? Nicht unbedingt. Die Wissenschaftler dort konzentrieren sich allerdings inzwischen weniger auf Physik, Chemie oder Medizin, wo wissenschaftlicher Fortschritt immer schwieriger wird. „Sie machen lieber Informatik und künstliche Intelligenz, wo die Post
noch richtig abgeht. Wo auch mehr Geld zu verdienen ist“, sagt Gros. Bloß gibt es dafür eben keine Nobelpreise.
Für Deutschland kam das Erbe von Alfred Nobel der Statistik zufolge ein paar Jahre zu spät. Die produktivste Zeit der deutschen Wissenschaft sei die Gründerzeit gewesen, sagt Gros. Schon bevor 1901 der erste Nobelpreis vergeben worden sei, gehe es abwärts. Dann flohen ab 1933 zudem zahlreiche hervorragende Wissenschaftler vor der NaziHerrschaft aus Deutschland.
„Ich vermute, dass die Produktivität ohne die Auswanderung größer wäre, als sie heute ist“, sagt Gros. Mit anderen Worten: Die Nazi-Zeit brachte Deutschland um Nobelpreise. Mindestens 25 in Deutschland geborene Preisträger hatten zum Zeitpunkt der Preisverleihung eine andere Staatsangehörigkeit.
Nimmt man die Nobelpreise für Literatur und Frieden mit in die Rechnung, ist die Dominanz übrigens nicht mehr ganz so erdrückend. Beim Literaturnobelpreis hat Frankreich mit 16 ausgezeichneten Autoren die Nase vorn. Die USA und Großbritannien teilen sich mit je 11 den zweiten Rang, Deutschland folgt mit acht Nobelpreisträgern gleichauf mit Schweden.
Ihren Landsleuten scheinen die skandinavischen Jurys ungern Preise zu geben. Und Frauen auch nicht. Nur 48 der fast 900 Nobelpreisträger waren weiblich. Marie Curie hatte zwei erhalten – für Physik und für Chemie.
Im vergangenen Jahr äußerte die Königliche Wissenschaftsakademie ihre Sorge: „Ich vermute, dass es viel mehr Frauen gibt, die es verdienen, für den Preis berücksichtigt zu werden“, sagte der Vorsitzende Göran Hansson.