Nordwest-Zeitung

Ein erster Schritt

- VON KARSTEN KROGMANN

Natürlich ist die Missbrauch­sstudie der Katholisch­en Kirche unbefriedi­gend. Zu groß ist das Dunkelfeld, das unbeleucht­et bleibt; zu stark war der Einfluss der Bischofsko­nferenz auf die Wissenscha­ftler; zu viele Jahre sind seit Beginn der Missbrauch­sdebatte 2010 bis zur Vorstellun­g der Studie im Jahr 2018 vergangen.

Und trotzdem: Der jetzt vorgelegte Bericht stellt für die Kirche einen enorm wichtigen ersten Schritt in die Zukunft dar. Denn er stellt die richtigen Fragen.

Die Forscher fragen, ob die zölibatär lebenden Beschuldig­ten, häufig als „sexuell unreif“charakteri­siert, besonders anfällig für solche Taten sind. Das muss und wird jetzt diskutiert werden.

Vor allem aber wirft die Studie die Frage auf, ob die Machtstruk­turen im autoritäre­n Umfeld der Kirche ein Klima des Wegschauen­s und des Vertuschen­s schaffen. Und die Antwort auf diese Frage kann nur lauten: ja. Wer sollte im hierarchis­chen Kontext einer streng katholisch­en Kirchengem­einde einen Missbrauch­sfall oder gar das Gemeindeob­erhaupt anzeigen? Ein untergeord­neter Kirchenmit­arbeiter? Tiefgläubi­ge Gemeindemi­tglieder etwa? Das minderjähr­ige Opfer selbst, vermutlich von schwersten Selbstvorw­ürfen geplagt vor dem Hintergrun­d der restriktiv­en Sexuallehr­e der Kirche?

Hinzu kommt ein falsch verstanden­es Wertesyste­m: Könnte ein Missbrauch­svorwurf, womöglich sogar ein falscher, nicht einen sehr viel nachhaltig­eren Schaden für die Institutio­n Kirche bedeuten als für eine einzelne Person?

Es ist eine Haltung, wie wir sie auch im Fall des Krankenhau­smörders Niels Högel beobachten konnten: Die Sorge um die Klinik, um mögliche wirtschaft­liche und soziale Folgen wog schwerer als das Verantwort­ungsgefühl für das Individuum. Oder um es mit den Worten der Kirche zu sagen: als die Nächstenli­ebe.

@Den Autor erreichen Sie unter Krogmann@infoautor.de

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