Man sieht nur, was man weiß
Historischer Reiseführer Ostsee erinnert an Zeit des Nationalsozialismus
Die Ostseeküste ist eines der beliebtesten deutschen Reiseziele. Millionen Menschen zieht es sommers wie winters dorthin, um Urlaub zu machen. Nicht wenige von ihnen interessieren sich für die oft rätselhaften Hinterlassenschaften aus der Zeit des Nationalsozialismus – die Raketenversuchsanlage in Peenemünde etwa oder den gigantischen Urlaubskomplex Prora auf der Insel Rügen zählen zu den viel besuchten, geschichtsträchtigen Tourismusorten.
Die beiden Komplexe zählen sicherlich zu den bekanntesten Bauwerken, die von nationalsozialistischem Größenwahn berichten, den Besucher die Gewalt empfinden lassen, die von diesen Bauwerken ausgeht. Martin Kaule ist Vorstandsmitglied des Vereins „Orte der Geschichte“ und Herausgeber der gleichnamigen Reihe im Christoph Links Verlag. In nunmehr fünfter und erweiterte Auflage ist dort der historische Reiseführer „Ostseeküste 19331945“erschienen. Im handlichen (und reisetauglichen) Hochformat informiert der Reiseführer auf 156 Seiten über eine Vielzahl von Bauten und Erinnerungsmalen. Das Spektrum der erläuterten Denkmale reicht vom Polizeigefängnis in Padborg (Dänemark) bis zur Festung Kronstadt und dem Blockademu- seum in St. Petersburg (Russland).
Allein für Deutschland liegen 125 Erläuterungen vor, von der Marineschule in Mürwik über diverse Zwangsarbeitslager bis zu Torpedoversuchsanstalten, vom jüdischen Friedhof Grevesmühlen bis zur Gedenkstätte für die Opfer des untergegangenen Häftlingsschiffs „Cap Arcona“. Alle Erläuterungen geben einen guten Überblick, ordnen die Bauwerke oder Erinnerungsmale historisch ein und enthalten auch Angaben über Zufahrtsmöglichkeiten und Öffnungszeiten.
Ein Verdienst des Autors ist es, dass nicht nur Erinnerungsorte aus Deutschland verzeichnet sind, sondern auch Erinnerungsorte aus Polen und dem Baltikum bis hin nach St. Petersburg in Russland. Die Fülle macht deutlich, wie groß das Herrschaftsnetz der Nationalsozialisten war und dass es auch 73 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs überall im Ostseeraum museale Einrichtungen dazu gibt. Zum Beispiel das Sommerhaus von Thomas Mann auf der Haffseite der Kurischen Nehrung in Nida (früher Nidden), das nach der Emigration Manns von den Nazis beschlagnahmt und vom „Reichsmarschall“Hermann Göring vereinnahmt wurde. Heute ist es ein kleines Museum. Getreu dem Goethe-Wort „Man sieht nur, was man weiß“haben Martin Kaule und seine Mitstreiter Fleißarbeit geleistet.
Martin Kaule: „Ostseeküste 1933 1945. Der historische Reiseführer“, Verlag Christoph Links, 156 Seiten, zahlreiche Abbildungen und Karten; 18 Euro.