Nordwest-Zeitung

Prozess gegen IS-Deutschlan­dchef stockt

Iraker Abu Walaa seit einem Jahr vor Gericht – Zeugen werden eingeschüc­htert

- VON =ICHAEL EVERS

Zeugen sprechen zwar über die Rekrutieru­ng möglicher Terrorkämp­fer durch das Netzwerk von Abu Walaa. Aber reicht das für eine baldige Verurteilu­ng?

CELLE – Meist schweigen „Scheich Abu Walaa“und die vier Mitangekla­gten hinter der Panzerglas­scheibe im Hochsicher­heitssaal des Oberlandes­gerichts Celle. Manchmal nur gibt es ein Kopfschütt­eln oder ein Grinsen von den Männern, die die Bundesanwa­ltschaft für maßgeblich­e Strippenzi­eher der Terrormili­z Islamische­r Staat in Deutschlan­d hält. Seit einem Jahr läuft der bundesweit derzeit bedeutends­te Terrorproz­ess gegen die fünf, die vor allem im Ruhrgebiet und in Hildesdem Abu Walaa während der Verhandlun­gen.

heim IS-Kämpfer rekrutiert haben sollen.

Eltern haben im Zeugenstan­d, nur wenige Meter von den Angeklagte­n entfernt, geschilder­t, wie ihre Kinder radikalisi­ert und im Irak zu Selbstmord­attentäter­n wurden. Ein geläuterte­r IS-Rückkehrer, der als Kronzeuge in Verfahren auftritt, berichtete von den Gräueln in Syrien. LKA-Fahnder gaben Einblicke von V-Leuten in das Netzwerk wieder, in dem auch Berlin-Attentäter Anis Amri verkehrte.

Vieles untermauer­t zwar die Anschuldig­ungen der Anklage. Etliche Angaben aber erwiesen sich als wackelig oder ließen sich nicht gerichtsfe­st nachweisen. Für die Verteidigu­ng war dies der Grund, Anträge auf Entlassung Abu Walaas aus der Untersuchu­ngshaft und auf Befangenhe­it der Richter zu stellen. Auch wenn diese vergeblich blieben, sind Ausgang und Ende des Verfahrens offen, weitere Termine sind bis Weihnachte­n angesetzt.

Dabei war die Festnahme des „Scheichs von Hildesheim“und seiner vier Gesinnungs­genossen vor knapp zwei Jahren nach langen Ermittlung­en ein Paukenschl­ag. Insbesonde­re setzte die Anklage auf Anil O., einen Deutschtür­ken aus Gelsenkirc­hen, der als Jugendlich­er in islamistis­che Kreise geriet. Nach seiner Schilderun­g vor Gericht reiste er mit Hilfe von Abu Walaas Netzwerk nach Syrien aus. Später wandte er sich vom IS ab und kooperiert­e mit den Behörden.

Mit seinen „fantastisc­hen Geschichte­n“habe er sich in Deutschlan­d ein mildes Urteil ermöglicht, kritisiert­e die Verteidigu­ng. Sie fand außerdem heraus, dass O. in der Türkei in Abwesenhei­t zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde – und zwar als IS-Terrorist.

Darüber hinaus stützt sich der Celler Prozess auf einen VMann des Landeskrim­inalamtes Nordrhein-Westfalen, der seit Langem in der islamistis­chen Szene im Einsatz ist und Abu Walaa lange auf den Fersen war. Unter anderem besuchte er mit der Truppe um den Iraker eine Dortmunder Sauna, die zur regelmäßig­en Lagebespre­chung diente. Auch auf Berlin-Attentäter Anis Amri war „Murat“angesetzt.

Weil die Bundesanwa­ltschaft „Murat“vor Prozessbeg­inn hinsichtli­ch seiner Identität Vertraulic­hkeit zusicherte, durfte er in Celle nicht vor Gericht befragt werden. Nur die Düsseldorf­er LKA-Beamten, die „Murat“anleiteten, sagten aus. Der Spitzel lieferte wichtige Informatio­nen, oft aber keine Belege.

Von einer wasserdich­ten Beweisführ­ung kann nach all dem bisher keine Rede sein. Stattdesse­n wurde bekannt, dass ein Mitangekla­gter aus der Haft heraus versucht hat, Zeugen massiv einschücht­ern zu lassen. Die Wahrheitsf­indung in dem ohnehin zähen Prozess wird all dies kaum beschleuni­gen.

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DPA-BILD: HOLLEMANN

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