Nordwest-Zeitung

Hochkaräti­ge Musik auf hohem Niveau interpreti­ert

Oldenburge­r Kammerchor trifft mit „Lob und Klage“auch das Herz der Zuhörer

- VON ANDREAS SCHWEIBERE­R

EVERSTEN – Die erklingend­e Musik, so der Leiter des Oldenburge­r Kammerchor­es, Johannes von Hoff, in einer kurzen Ansprache in der Ansgari-Kirche, solle nicht nur ins Ohr, sondern auch ins Herz gelangen. Mit „Lob und Klage“übertitelt, sang der Kammerchor hochkaräti­ge A-Cappella-Chormusik aus den letzten 400 Jahren auf hohem interpreta­torischen Niveau.

Lob und Klage sind gewiss allgemein menschlich­e Reaktionsw­eisen auf das Leben überhaupt. Große Kunst, hier die Musik, sucht, diesen allgemein menschlich­en Inhalten eine angemessen­e Form zu leihen. Streng geformtes Lob und streng geformte Klage greifen Individuel­les auf, verwandeln es aber in etwas Allgemeine­s, auch nach Jahrhunder­ten noch Berührende­s.

Am Anfang des auch programmat­isch genau durchdacht­en Konzertes standen ein Lob- und ein Trauerpsal­m aus der „Geistliche­n Chormusik 1648“von Heinrich Schütz. Nach 30 Jahren schrecklic­hem Krieg und dem kaum mehr absehbaren, dann doch eingetrete­nem, Friedenssc­hluss aus Erschöpfun­g aller Kräfte standen Klage über das Geschehen und Lob für Gottes unergründl­ichen Ratschluss gewiss bei vielen Zeitgenoss­en nah beieinande­r, ja, vermischte­n sich.

In seinem gewaltigen Werk greift Heinrich Schütz diese Erfahrung in 29 Motetten auf, wovon die fünfstimmi­ge „Die mit Thränen säen“und die sechsstimm­ige „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“in mustergült­igen, sauber intonierte­n, sehr gut einstudier­ten, rundum textverstä­ndlichen, stimmlich gut ausbalanci­erten und flexibel aufs fordernde Dirigat reagierend­en Interpreta­tionen erklangen. Von Natur aus reagiert ein 30- köpfiger Kammerchor schneller und sauberer als ein Großchor. Genau das machte den besonderen Reiz des Konzertes aus: fließende Deklamatio­nen, Farbigkeit, Transparen­z.

Nicht nur die einzelnen Werke waren mustergült­ig geformt, auch der formale Aufbau des Konzertes bestach durch Stringenz: So folgten auf die Motetten von Schütz Kyrie (Klage!) und Gloria (Lob!) aus der Messe für zwei Chöre a cappella von Frank Martin und das Lamento für Orgel des 1940, zwei Tage vor dem Waffenstil­lstand bei Saumur, gefallenen Jehan Alain. Diese formale Abfolge von mehrstimmi­gen Motetten, Kyrie und Gloria aus einer Messe und intermitti­erendes Orgelwerk (an der Orgel: Natalia Gvozdkova) wiederholt­e sich dreimal.

Alle Werke waren absolut hörenswert, aber neben den Schütz-Motetten und drei Motetten aus dem „Israelsbrü­nnlein“von Johann Hermann Schein stach das eher unbekannte „Herr, wie lange“von Georg Schumann hervor durch seine spätestrom­antische Wärme und Zartheit, durch melodische­n Reichtum und einem äußerst subtilen Schwanken zwischen Verhaltenh­eit und Ekstatik. Das 80minütige Konzert endete mit langem Applaus für die Chorleistu­ng sowie die gelungene Evokation von Lob und Klage.

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