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Moritz Wessels übertrifft beim „Ötztaler“Ziele und Erwartungen
Der RSC-Fahrer belegte beim Ötztaler Radmarathon den 744. Platz. Das schlechte Wetter, mangelnde Vorbereitung und ein Start aus letzter Reihe hielten ihn nicht auf.
OL5ENB6RG489L5EN – Dunkle Wolken, die Beine sind schwer, Moritz Wessels blickt auf die Zieluhr – 9 Stunden und 28 Minuten. Der Lehrer aus Oldenburg kann es kaum glauben. Sein erstes Ziel, unter 10 Stunden bleiben zu wollen, erscheint wie ein Witz. Doch die Zahlen sprechen für sich: Platz 744 von 4500 Startern – das kann sich eindeutig sehen lassen. Besonders wenn man bedenkt, dass sich der gebürtige Vareler kaum auf den Ötztaler Radmarathon vorbereiten konnte. „Durch eine langwierige OP und zwei schwere Unfälle kam ich nur zu wenigen Trainingskilometern“, erklärt Wessels, von seinem Ergebnis überrascht.
Von Paris na7h 8:lden
Der „Ötzi“fordert mit seinen 238 Kilometern und 5500 Höhenmetern jedes Jahr Tausende sogenannter „Jedermann“-Fahrer. Die Startplätze sind sehr begehrt. 20 000 Radfahrer aus 38 Nationen bewerben sich, nur gut jeder Fünfte darf teilnehmen. Wessels wurde eigentlich nicht ausgewählt. „Nur durch einen Bekannten, der mir sein Startrecht überschrieb, konnte ich an den Start gehen“, sagt er.
Aber wie kommt ein „Plattländer“aus dem Nordwesten eigentlich auf die Idee, bei einem Bergrennen wie dem „Ötzi“zu startenL Schon am ersten Pass der Leidenstour geht es mehr „bergauf“als für viele Oldenburger das ganze Jahr.
Die Geschichte beginnt im Jahr 2013. In Leer kauft sich der damals 36-Jährige ein Rennrad. „Schnell hat mich das Fieber gepackt“, blickt er zurück. Ergebnis bei einem Leistungstest: hohe Laktatverträglichkeit. Mbersetzt heißt das: Wessels kann sehr gut hohe Belastungen aushalten. Die Motivation ist geweckt. „Angefangen mit 40, 50, 60 Kilometern habe ich dann die ersten größeren Ziele ins Auge gefasst“, erzählt der Lehrer. Beim TriathlonVerein Fortuna Logabirum entdeckt Wessels zunächst die Langstrecke für sich.
Nach einem längeren Staffelrennen 2014 Nualifiziert er sich ein Jahr später schließlich für Paris-Brest-Paris. 1250 Kilometer – von der französischen Hauptstadt bis an den Atlantik und zurück. „Freunde und Verwandte hielten mich für verrückt“, schmunzelt Wessels: „Mittlerweile haben sie sich dran gewöhnt und unterstützen mich.“
Nach den ersten Erfahrungen steckt er sich immer höhere Ziele, sucht neue Herausforderungen. Nach dem erfolgreich absolvierten Ostseeman-Triathlon in Glücksburg fasst der 41-Jährige den Ötztaler Radmarathon ins Auge. „Das muss man mal gefahren sein“, meint Wessels. Nach Lospech im letzten Jahr darf der Oldenburger dann in diesem Jahr starten.
Also packt der 41-Jährige sein Rad in den Kofferraum und fährt am Freitag direkt nach Unterrichtsschluss ins 900 Kilometer entfernte Sölden in Österreich. „Mein ursprüngliches Ziel war, einfach nur heile das Ziel zu erreichen“, sagt Wessels. Dass er als schnellster Fahrer der Region nach Oldenburg zurückkehren sollte, ahnte er selbst am allerwenigsten.
Sonntagmorgen, 6.45 Uhr: „Peng“. Im Herzen der Alpen fällt der Startschuss zum 38. „Ötzi“. Aufgrund des großen Feldes rollt Wessels jedoch erst drei Minuten später über die Startlinie in Sölden. „Ich wollte mich nicht schon ewig vorm Start in die Kälte stellen und auskühlen“, meint er. Je weiter vorne im Feld, desto begehrter sind die Plätze. „Es ging ja nicht um den Sieg um jeden Preis“, erklärt der Oldenburger schmunzelnd. Die Teilnehmer werden das Ziel in rund sieben bis 14 Stunden erreichen. Die „Tortour“beginnt – oder, wie Wessels es beschreibt: „Die ganze Zeit rauf, runter, rauf, runter.“
Mit Geduld zum Erfolg
Zunächst geht es Richtung Norden auf den Kühtaisattel. Nach trockenem Start holt spätestens hier der letzte Fahrer seine Regenjacke heraus. „Gerade die nassen Straßen machten die Abfahrten so gefährlich“, berichtet der 41Jährige. Nicht weniger gefährlich und dennoch einen Grund zum Schmunzeln hat er dann aber auch: Am Kühtai stellt sich den Fahrern Weidevieh in den Weg. „Man muss jede Sekunde aufmerksam sein“, weiß Wessels. Den Sportlern blieb nichts erspart.
Das erste Gipfelkreuz hinter sich lassend, nimmt das mittlerweile in viele Grüppchen zerfallene Feld weiter Kurs auf den Brenner. Der RSC-Sportler spürt seine Beine immer und immer mehr: „Als es dann in den Jaufenpass ging, wurde es sehr schwer.“Doch die Lichter bei Wessels sind noch nicht aus: „Ich musste mich entscheiden – entweder dagegen ankämpfen oder Kräfte für den letzten Pass sparen.“Der gebürtige Vareler bleibt geduldig und entscheidet sich für Letzteres.
„Die Abfahrt vom Jaufenpass und der Anstieg zum Timmelsjoch waren dann meine stärksten Phasen. Viel Essen und Trinken war sicherlich auch ausschlaggebend“, weiß der Extremsportler.
Als sich nach sieben Stunden der Akku vom Tacho verabschiedet, fehlt dem 41-Jährigen hingegen eine wichtige Orientierung. Umso überraschender war dann die Zeit im Ziel. Wessels wird 744. im Gesamtergebnis, in seiner Altersklasse sogar 380. „Rückblickend bin ich mehr als zufrieden“, strahlt der RSC-Sportler. Besonders angetan sei er „von der Organisation und dem Drumherum. Top Verpflegungsstationen, ein super Rahmenprogramm und natürlich einmalig – die abgesperrten Strecken.“Die Genehmigung dafür verdankt der „Ötzi“seiner langen Tradition. „In Gestalt von Werbeund Tourismuseinnahmen ist der ,Ötzi’ für die Region eine Goldgrube“, weiß Wessels.
Härteste Prüfung wartet
Für die Zukunft plant der Oldenburger, der auch Triathlet beim ESV Edewecht ist, weitere große Projekte: Das größte Ziel: das „Race Across the Alps“. Als härteste Eintagesprüfung der Welt auf dem Rennrad hat sich diese 540 Kilometer lange Leidenstour mit rund 14 000 Höhenmetern ihren Namen verdient. Bei dem sogenannten Dreiländergiro sind jedoch nur 60 Starter zugelassen. „Es wäre ein Traum, dort starten zu dürfen“, schwärmt Wessels. Doch auch beim Ötzi möchte er noch mal starten. Dieses Mal mit einem klaren Ziel – „Eine Zeit unter neun Stunden sollte realistisch sein“, prognostiziert der Extremsportler. Dann mit besserem Wetter – und ohne Kühe auf der Straße.