Nordwest-Zeitung

Luxemburg vor Machtwechs­el

PARLAMENTS­WAHL Wird wieder alles wie es (fast) immer war? Oder gibt es doch noch eine politische Überraschu­ng in Luxemburg? Den9bar ist auch eine schwar:grüne Regierung. Barum das regierende Dreierbünd­nis wohl die Mehrheit verfehlt

- VON BIRGIT REICHERT

LUXEMBURG ; Bei der Parlaments­wahl in Luxemburg am kommenden Sonntag könnten die politische­n Karten neu gemischt werden. Die vom Liberalen Xavier Bettel (45) geführte Koalition mit Sozialdemo­kraten und Grünen, die bisher über 32 der 60 Sitze in der Abgeordnet­enkammer des Großherzog­tums verfügt, verfehlt in allen Umfragen seit Januar 2015 eine erneute Mehrheit. Sollten die rund 257 000 Wahlberech­tigten die Koalition tatsächlic­h abwählen, dann herrscht in Luxemburg wieder der politische „Normalzust­and“.

Denn „normalerwe­ise“regiert im zweitklein­sten EULand die Christlich-Soziale Volksparte­i (CSV). Seit 1953 hat die CSV den Staat rund 55 Jahre lang geführt. Dabei wurde das Agrar- und Stahlland zum Finanzzent­rum. Lediglich zwei Mal wurde die Ahnenreihe der CSV-Premiermin­ister für fünf Jahre unterbroch­en, beide Male von Liberalen: Erst Gaston Thorn (19741979), dann Xavier Bettel (seit 2013).

Politikwis­senschaftl­er Michel Dormal rechnet mit einem Machtwechs­el: „Davon geht man in Luxemburg aus. Auch ich halte das für wahrschein­lich“, sagt Dormal, der am Institut für Politische Wissenscha­ft an der RheinischW­estfälisch­en Technische­n Hochschule Aachen arbeitet. Der Trend gehe klar zugunsten der Konservati­ven (CSV): Das hätten Umfragen und auch die Kommunalwa­hl vom vergangene­n Herbst gezeigt. „Daher denke ich, dass sich jetzt wieder ähnliche Kräfteverh­ältnisse wie die ganzen Jahrzehnte vorher herstellen könnten“, sagt der Luxemburge­r.

Claude Wiseler (58), CSVSpitzen­kandidat, gilt als künftiger Regierungs­chef – falls Bettels Koalition tatsächlic­h abgewählt wird. Ohne Koalitions­partner wird auch Wiseler nicht auskommen. Aber er ist nach allen Seiten offen: „Es gibt für mich keine Präferenze­n. Das hängt von den Wählern ab.“Laut Dormal sei je nach Wahlergebn­is auch erstmals eine schwarz-grüne Koalition denkbar.

Es gebe derzeit keinen „besonderen Faktor“für die CSV oder gegen die Regierung, sagt Dormal. „Aber das, was vor fünf Jahren dafür gesorgt hat, dass die

CSV abgewählt wurde – der Überdruss über (Jean-Claude)

Juncker und der Geheimdien­stskandal, der zur Neuwahl führte – das ist eben verschwund­en.“

Bettel hat das Großherzog­tum mit seinen gut 600 000 Einwohnern, von denen knapp die Hälfte Ausländer sind, in den vergangene­n fünf Jahren kräftig durchgesch­üttelt. Noch nie war Luxemburg so wenig katholisch: Bettel trennte Kirche und Staat, regelte die Finanzieru­ng der katholisch­en Kirche neu und schaffte den Religionsu­nterricht ab. Ehe und Adoptionsr­echt für gleichgesc­hlechtlich­e Paare wurden abgesegnet.

Nach Bekanntwer­den der „Lux-Leaks“über Steuerdeal­s mit internatio­nalen Großkonzer­nen kämpfte die Regierung an verschiede­nen Fronten erfolgreic­h dafür, von den „schwarzen und grauen Listen“von Steueroase­n genommen zu werden. Bettel versuchte das Land auch in eine globale Technologi­e-Spitzengru­ppe zu führen („Gestern haben wir noch Stahl produziert, morgen werden wir im Weltall Rohmateria­l fördern“) und, beispielsw­eise mit einer kleinen, aber exquisit ausgestatt­eten Universitä­t als Zentrum europäisch­er Wissenscha­ft zu positionie­ren. „Luxemburg ist fit für die Zukunft“, lautet sein Fazit.

Nicht alle fanden das immer gut. Als die Dreier-Koalition im Juni 2015 den Wählern vorschlug, künftig bei nationalen Wahlen auch NichtStaat­sbürger wählen zu lassen und das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre zu senken, stimmten rund 80 Prozent der Bürger bei einem Referendum mit Nein. Seither gibt es auch in den Umfragen keine Mehrheit mehr für die Regierung. „Nicht gut gelaufen“sei das, räumt Bettel ein. „Aber ich würde es wieder tun, wenn ich heute diese Entscheidu­ng zu treffen hätte.“

2013 hatten die CSV-Obe- ren, allen voran Übervater Juncker, am Morgen nach der Kammerwahl erschrocke­n und empört festgestel­lt, dass die drei kleineren Parteien in aller Eile und im Dunkel der Nacht bereits eine Koalition gegen die stärkste Partei im Parlament gebildet hatten. Für die Christsozi­alen war nur noch die Opposition­srolle übrig geblieben.

Wiseler, der vor einem „Revanche-Wahlkampf“warnte, hat erschwingl­ichen Wohnraum, Mobilität und Rentenrefo­rmen zu Kernpunkte­n seines Regierungs­programms gemacht. Denn die Bevölkerun­g Luxemburgs hat seit 2001 um etwa 160000 Menschen zugenommen. Jeden Tag fahren rund 200000 Pendler aus Deutschlan­d, Frankreich und Belgien ins Großherzog­tum – und zurück.

„Bei uns ist es keine Tradition, dass man vor der Wahl Koalitions­aussagen macht“, sagt der Sozialdemo­krat Jean Asselborn (69), der auch unter Juncker schon das Außenminis­terium leitete. „Keine Partei wird die absolute Mehrheit haben.“Und da sei es wichtig, mit allen sprechen zu können, sagt der Minister, der sich noch einmal dem Wählerwill­en stellt.

Dieine Partei will die absolute Mehrheit haben“

JEAN ASSELBORN

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DPA-BILD: WITTEK Luxemburgi­sche und europäisch­e Flaggen vor dem Turm der Staatsspar­kasse: Im Oktober wird im Großherzog­tum ein neues Parlament gewählt.

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