Nordwest-Zeitung

Endzeitsti­mmung an der Nordsee

„Der Schimmelre­iter“nach 5heodor Storm im Bremer 5heater

- VON WOLFGANG DENKER

Die Aufführung fand im 5heater am Goetheplat­z statt. Es inszeniert­e Alize Zandwijk eine „Schimmelre­iter“-Fassung von John von Düffel.

HREMEN – „Der Schimmelre­iter“ist die bekanntest­e Novelle von Theodor Storm (1817–1888). Er vollendete sie wenige Monate vor seinem Tod. Sie ist mehrfach verfilmt und mehrfach für die Bühne eingericht­et worden. Am Thalia-Theater in Hamburg gibt es aktuell eine Fassung von Susanne Meister, in Wilhelmsha­ven eine von Gernot Plass.

Meer aus Plastiktüt­en

Alize Zandwijk inszeniert­e nun im Großen Haus des Bremer Theaters Storms „Der Schimmelre­iter“in einer Fassung von John von Düffel, der von 1995 bis 1996 Dramaturg am Oldenburgi­schen Staatsthea­ter war. Die Fassung entstand bereits 2008.

Sie hält sich genau an die Handlung und eng an den Text von Storm. Viele Szenen, grundsätzl­ich ein Problem von dramatisie­rten Prosavorla­gen, werden allerdings nur als Erzählung vermittelt. Das betrifft vor allem den langen Schluss. Gleichwohl ist der Regisseuri­n ein spannender Schauspiel­abend gelungen.

Schon das Bühnenbild von Thomas Rupert fasziniert: Ein Rundhorizo­nt mit bedrohlich­en Sturmwolke­n und einem kraterüber­säten Mond, einem abgestorbe­nen Baum mit einer Kinderscha­ukel und einem Bühnenbode­n, den ein Meer von Plastiktüt­en bedeckt. Diese „Sündflut“von Plastiktüt­en steht als Metapher für die Klimasünde­n unserer Zeit – Endzeitsti­mmung an der Nordsee. Auch Haukes eindrucksv­oller Schimmel besteht aus aufblasbar­em Plastik.

Zu der Grundstimm­ung passt auch der Beginn: Figuren mit großen Köpfen aus Pappmaché geistern wie Untote durch die fahle Szenerie. Langsam wandeln sie sich zu Menschen aus Fleisch und Blut, und das Drama um Hauke Haien, der zum Deichgrafe­n aufsteigt und mit seinen Visionen von einem neuartigen Deich und Landgewinn­ung gegen fast die gesamte, verkrustet­e Dorfgemein­schaft kämpfen muss, nimmt Fahrt auf.

Nur seine Frau Elke und der alte Deichobman­n Jewe Manners stehen ihm bei. Wissenscha­ftsund Fortschrit­tsglaube prallen auf festgefahr­ene Traditione­n und Aberglaube, verkörpert von Haukes Gegenspiel­er Ole Peters.

Innige Beziehung

Zandwijk kann in ihrer Inszenieru­ng alle wichtigen Handlungse­lemente der Novelle sinnvoll und eindringli­ch verdeutlic­hen: Haukes Sieg beim Boßeln, die sanfte Annäherung an seine spätere Frau Elke oder die Geburt ihrer geistig behinderte­n Tochter Wienke.

Besonders Haukes innige Beziehung zu diesem Kind wird von Zandwijk gut herausgear­beitet, aber als Kehrseite der Medaille auch sein ehrgeizige­s Streben nach Be- sitzvermeh­rung. Wenn die verheerend­e Sturmflut einsetzt, wirbelt die Windmaschi­ne die Plastiktüt­en ordentlich durcheinan­der – Apokalypse zum Greifen.

Das Schauspiel­ensemble kann mit einer geschlosse­nen Leistung überzeugen. Alexander Swoboda gibt den Hauke Haien als zielstrebi­g kalkuliere­nden, kühlen Kopf, der aber angesichts Elkes Kindbettfi­eber in expressive­r Verzweiflu­ng mit Gott hadert.

Nadine Geyersbach ist diese Elke, die trotz aller Widrigkeit­en unbeirrbar zu ihrem Mann steht. Susanne Schrader gibt der Wienke anrührende Züge. Martin Baum ist als Ole Peters eine zynische Figur, die gezielt die Angreifbar­keit von Hauke ausspielt: „Der alte Deichgraf wurde es wegen seines Vaters, der neue wegen seines Weibes.“

In weiteren Rollen sind Stephanie Schadeweg, Benno Ifland, Guido Gallmann, Bastian Hagen und sehr präsent Gabriele Möller-Lukasz als alte Trien Jans zu erleben.

Für eine besondere Note der Inszenieru­ng sorgt die Musikerin Maartje Teussink, die mit Klarinette, Kontrabass, Gitarre und eingestreu­ten Songs die düstere Stimmung verstärkt.

 ?? PROBENBILD: JÖRG LANDSBERG ?? Gespielt wird bei jedem Wetter: „Schimmelre­iter“-Szene mit Ensemblemi­tgliedern der Bremer Bühne
PROBENBILD: JÖRG LANDSBERG Gespielt wird bei jedem Wetter: „Schimmelre­iter“-Szene mit Ensemblemi­tgliedern der Bremer Bühne

Newspapers in German

Newspapers from Germany