Nordwest-Zeitung

FOKUS AUF DIE ZUGVÖGEL IM WATTENMEER

Vareler Vogelturm 7ietet 7esondere <erspektive auf Naturschau­spiel

- VON ANNA LORENZEN

Die Zugvogelta­ge im Nationalpa­rk Niedersäch­sisches Wattenmeer feiern ihr zehnjährig­es Bestehen. Besucher in Varel können die Tiere jetzt aus noch größerer 6öhe 7eo7achten.

VAREL 8 Die Oktoberson­ne strahlt warm auf die Vareler Salzwiesen. Der sonst so schneidend­e Seewind weht weich über die Landschaft und verbreitet einen angenehm salzigen Duft. Direkt hinter dem Deich der Schleusena­nlage beginnt der Nationalpa­rk mit seiner Ruhezone. Jetzt sind es noch ein paar Hundert Meter durch die Wiese Richtung Wattkante. Schon aus weiter Ferne erblickt man das noch nackte Gerüst des Vogelturms. Im Hintergrun­d zieht ein Schwarm Alpenstran­dläufer in wolkenarti­ger Flugformat­ion vorbei.

Plattform hinzugefüg­t

„Da haben Sie Glück, jetzt ist eine gute Tidenzeit, um die Tiere zu beobachten“, sagt Gundolf Reichert. Der Landschaft­sökologe arbeitet als Vogelkundl­er (Ornitholog­e) für den Nationalpa­rk und betreut seit Beginn der Zugvogelta­ge vor zehn Jahren die Aussichtsp­lattform, die alljährlic­h für die Dauer der Veranstalt­ung errichtet wird. „Drei Stunden vor Hochwasser schiebt die Flut viele Vogelarten an die Küste, die sich vorher weit verstreut im Watt aufhielten,“erklärt Reichert und fügt hinzu: „Grundsätzl­ich ist der Standort Varel besonders gut geeignet, um im Herbst viele verschiede­ne Zugvogelar­ten anzutreffe­n.“

Ermöglicht­e der Vogelturm seinen Gästen bereits in den vergangene­n Jahren eine außergewöh­nliche Perspektiv­e, so wird pünktlich zum zehnten Jubiläum aufgerüste­t. „Wir haben aber nicht nur eine weitere Plattform hinzugefüg­t, sondern auch in die Breite gebaut und somit viel mehr Platz geschaffen“, sagt Reichert. Keine schlechte Idee, denn im Laufe sonniger Tage strömen bis zu 400 Besucher heran. Auch für weniger sonnige Tage ist nun vorgesorgt: Ein neuer Anbau schützt vor Wind und Regen.

Die Zugvogelta­ge wurden 2008 initiiert und werden seitdem jedes Jahr zum Vogelzug im Herbst von der Nationalpa­rkverwaltu­ng und den Nationalpa­rkhäusern ausgericht­et. Hauptmotiv­ation der Veranstalt­ung ist laut Nationalpa­rkleiter Peter Südbeck die Bedeutung des deutschen Wattenmeer­es für den Vogelzug: „Jedes Jahr aufs Neue sind im Frühling und Herbst zehn Millionen Zugvögel auf das Wattenmeer als Rast- und Futterplat­z angewiesen. Somit ist dieses Ökosystem hochgradig schützensw­ert. Wir wollen mit den Zugvogelta­gen die Öffentlich­keit für dieses Anliegen sensibilis­ieren.“

Das norddeutsc­he Wattenmeer wird auch als Drehscheib­e des Ostatlanti­schen Zugweges bezeichnet. Im Herbst ziehen die Vögel von ihren Brutgebiet­en in arktischen Regionen zur Überwinter­ung bis nach Westafrika. Das extrem nahrungsre­iche Wattenmeer dient ihnen als Zwischenst­opp, um zu ruhen, sich zu mausern und Fettreserv­en anzufresse­n. Aufgrund seiner großen Bedeutung wurde das deutsch-niederländ­ische Wattenmeer 2009 zum UNESCO Weltnature­rbe ernannt.

Der Pfuhlschne­pfe wird in diesem Jubiläumsj­ahr eine besondere Ehre zuteil: Sie ist das Titeltier der Zugvogelta­ge 2018. Eines ihrer wichtigste­n Überwinter­ungsgebiet­e ist das westafrika­nische GuineaBiss­au, das auch das diesjährig­e Partnerlan­d der Veranstalt­ung ist.

Von ganz oben

Nun geht es das Gerüst des Vogelturms hinauf. Es lohnt sich, eventuell die Höhenangst zu überwinden: Der Ausblick über die Salzwiesen und den Jadebusen ist eindrucksv­oll. Durch das Fernrohr sind auf Anhieb zahlreiche Brandgänse zu erblicken, aber auch Schwärme von Alpenstran­dläufern und tatsächlic­h – ein Seeadler. „Das sind für mich die schönsten Momente“, schwärmt Gundolf Reichert, „wenn Besucher besondere Tiere wie Greifvögel oder Eulen entdecken und dann vom Entdeckung­sfieber gepackt, völlig aus dem Häuschen geraten“.

Die Alpenstran­dläufer sind die häufigsten Zugvögel im Nationalpa­rk Wattenmeer. Von den sechs Möwenarten, die an der niedersäch­sischen Küste brüten, verlässt nur die Heringsmöw­e als Langstreck­enzieher das Wattenmeer, um in südlichen Regionen zu überwinter­n. Sie wird im Oktober aber noch zu sehen sein. Selbst Sperlingsv­ögel und Finken tummeln sich in den Salzwiesen, um sich am reichhalti­gen Angebot an Samen, Insekten und Spinnen zu laben. Aber ausgerechn­et das diesjährig­e Titeltier ist am Jadebusen weniger zu finden, erklärt Reichert: „Die Pfuhlschne­pfe liebt das Mischwatt, das hier vorherrsch­ende Schlickwat­t bietet nicht genug Nahrung für sie.“

Natur erleben

Während der Zugvogelta­ge werden täglich von 10 bis 18 Uhr mehrere Mitarbeite­r der Nationalpa­rkverwaltu­ng und externe Ornitholog­en den Vogelturm betreuen. Ihnen ist wichtig, dass die Gäste die Natur direkt erleben, sie verstehen und ein Bewusstsei­n für ihren Erhalt entwickeln. „Wir wollen nachhaltig vermitteln: Woher kommen die Tiere und wohin reisen sie? Wovon ernähren sie sich im Watt und wie leben sie?“Schmunzeln­d fügt Reichert hinzu: „Aber natürlich kann auch jeder Gast einfach nur durch das Fernglas schauen und in Ruhe die Natur genießen.“Hierzu werden mehrere Ferngläser und Fernrohre mit Stativ bereitgest­ellt.

Wie viel Vorwissen die Gäste mitbringen ist nicht relevant. „Alle sind willkommen: Vom Stadtmensc­hen, der nicht weiß, dass es verschiede­ne Möwenarten gibt, bis hin zum versierten Ornitholog­en“, betont Gundolf Reichert. Außerdem habe die Veranstalt­ung mittlerwei­le eine bundesweit­e Reichweite: „Die meisten Besucher kommen aus der Region, aber wir haben sogar einige Stammgäste aus der Schweiz und Süddeutsch­land.“

Für jeden etwas dabei

Neben dem Vogelturm gibt es während der Zugvogelta­ge natürlich noch vieles mehr zu entdecken. Zum zehnten Jubiläum wird sogar ein besonders abwechslun­gsreiches Programm geboten. Auf rund 300 Veranstalt­ungen am Festland und auf den Ostfriesis­chen Inseln wird sich dem Thema auch künstleris­ch genähert.

So wird es Theaterauf­führungen, Musik und Kunstausst­ellungen rund um den Vogelzug geben. Zudem können die Besucher den Ostatlanti­kZugweg auch kulinarisc­h entdecken: Zum Beispiel beim landestypi­schen Kochen der Gästen aus Guinea-Bissau in Wilhelmsha­ven oder bei einem Frühstück in der Seefelder Mühle.

Endspurt

Für Gundolf Reichert und seinen technische­n Unterstütz­er Rainer Gamberg heißt es nun Endspurt. Das nackte und bisher wenig ansehnlich­e Turmgerüst muss bis zur Eröffnung mit seiner Außenverkl­eidung und Infotafeln ausgestatt­et werden. Ab Samstag wird dann der Symbolvoge­l des Turms, der Säbelschnä­bler, auf der Außenseite der Plattform prangen. Der Watvogel ist nicht nur eines der Charaktert­iere des Wattenmeer­es, sondern außerdem Lieblingsv­ogel von Gundolf Reichert: „Er ist mit seinem langen Schnabel, dem schwarzwei­ßen Gefieder und dem stimmgewal­tigen Ruf sehr eindrucksv­oll.“

Gundolf Reicherts Begeisteru­ng ist ansteckend. Und somit fällt der Rückweg durch die Salzwiesen zur Schleuse und über den Deich tatsächlic­h sehr schwer.

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Ein Schwarm Alpenstran­dläufer erhebt sich über den Salzwiesen­E Drei Viertel ihre Lebens verbringen sie auf dem ZugE
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BILDER: ANNA LORENZEN (2)JARNHIV Vogelkundl­er Gundolf Reichert nutzt sein Leleskop zur Beobachtun­g der ZugvögelE

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