Nordwest-Zeitung

Höhenflug von Mitte-Rechts

ANALYSE In Österreich sitzt die Regierung seit einem Jahr fest im Sattel

- VON FABIAN NITSCHMANN

Es ist immer wieder das gleiche Bild nach den Sitzungen der österreich­ischen Regierung: Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) trägt die Ergebnisse vor, Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache (FPÖ) wiederholt sie fast wortgleich. Unter den Journalist­en wird die immergleic­he Inszenieru­ng belächelt. Und doch dient diese Routine als typische Beschreibu­ng für die Gesamtsitu­ation der rechtskons­ervativen österreich­ischen Regierung: Zwei Parteien sprechen dieselbe Sprache, sind sich scheinbar immer einig – und tatkräftig präsentier­en sie sich auch.

„Der Unterschie­d zu den frühen 2000ern ist, dass die FPÖ akzeptiert hat, dass sie die Rolle des Zweiten innehat“, sagt der Politikwis­senschaftl­er Peter Filzmaier. Auch damals gab es in Österreich eine rechtskons­ervative Regierung. Doch die Rechten waren zerstritte­n, der weit über die Landesgren­zen hinaus bekannte Populist Jörg Haider wollte nicht, dass seine Partei nur als der kleinere Koalitions­partner dasteht. Laut Filzmaier habe die FPÖ nun die Chance erkannt, länger in Regierungs­verantwort­ung bleiben zu können. „Dafür sind sie bereit, diesen Preis zu zahlen.“

Und tatsächlic­h sitzt die Regierung fest im Sattel. „Die Regierung in Österreich hat ein wirklich sehr gutes Ansehen“, sagt auch der österreich­ische Meinungsfo­rscher Wolfgang Bachmayer. Es gebe derzeit weder Streit noch Stillstand. Außerdem werde die Migrations­politik der Koalition von einer großen Mehrheit der Bevölkerun­g befürworte­t. Kurz vor einer Arbeitszei­tflexibili­sierung, die einen Zwölf-Stunden-Tag möglich gemacht hat, waren im Sommer viele Menschen auf die Straße gegangen – doch diese Wut war schnell verpufft.

Hinzu kommt dieser Tage eine lahme Opposition, die sich vor lauter Selbstbesc­häftigung nicht intensiv mit dem Regierungs­handeln und eben solchen Arbeitszei­tgesetzen beschäftig­t. Die Sozialdemo­kratische Partei Österreich­s (SPÖ) hat sich mit ihren parteiinte­rnen Querelen und dem überrasche­nden politische­n Abgang ihres Ex-Vorsitzend­en Christian Kern Anfang Oktober selbst das Chaos ins Haus geholt. Auch in der Liste des ehemaligen Grünen-Abgeordnet­en Peter Pilz lautet das Motto allzu oft „Jeder gegen Jeden“. Nur bei den wirtschaft­sliberalen Neos läuft es. Die Partei hat ihren Platz in der österreich­ischen Bundespoli­tik gefunden.

Immerhin ein Hoffnungss­chimmer für die Opposition bleibt: Bei einer Neuwahl würde die Regierung wohl nicht nennenswer­t profitiere­n. Die ÖVP lag zuletzt bei 33 bis 34 Prozent – im Vergleich zu 31,5 Prozent bei der Wahl am 15. Oktober 2017. Die SPÖ könnte sich trotz der Unruhen der letzten Wochen auf 28 Prozent steigern (2017: 26,9 Prozent).

Die FPÖ würde den Wahlerfolg aus dem Jahr 2017 wohl nicht wieder schaffen und auf bis zu 23 Prozent fallen (2017: 25,9). Die Neos stehen derzeit bei bis zu acht Prozent, mit etwas Glück würden auch die Grünen wieder in den Nationalra­t einziehen.

Bleibt die Zersplitte­rung des Parteiensy­stems in Österreich also im Vergleich zu denen anderer europäisch­er Staaten wie Tschechien und den Niederland­en aus? Vieles spricht derzeit dafür. „In Österreich gibt es für die SPÖ aber keine große Konkurrenz links der Mitte“, erklärt der Politikber­ater Thomas Hofer. Das Problem der SPD, die mit Grünen und Linken um Stimmen konkurrier­en müsse, habe die SPÖ nicht.

Darüber hinaus, so sagt es der Politikwis­senschaftl­er Filzmaier, scheinen derzeit alle Österreich­er sehr zufrieden mit den Parteien zu sein, die sie gewählt haben. „Die SPÖ sollte nun die Zukunft mit ihren traditione­llen Themen bestreiten“, empfiehlt er. Diese seien Bildung, Gesundheit, Wohnen und der Arbeitsmar­kt. „Die Situation könnte für die Regierung schwierige­r werden, wenn es nicht mehr gelingt, alle Themen mit der Zuwanderun­g zu überlagern“, sagt Filzmaier.

Die gleiche Strategie – also alle Debatten mit den eigenen Kernthemen überlagern – empfiehlt er den Sozialdemo­kraten: „Die SPÖ müsste sagen: Was bringt es uns, die Grenzen dicht zu machen, wenn man noch immer nicht bezahlbar wohnen kann?“

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