Nordwest-Zeitung

Auf Tour mit dem Schimmelre­iter

Landesbühn­e Nord führt Drama im Kurtheater Norderney auf

- VON ELLEN KRANZ

Das Ensemble wächst an solchen Elf-StundenArb­eitstagen noch enger 4usammen. Ein Blic5 hinter die Kulissen.

WILHEL@SHAVEN/NO<DE<NEA – Es ist 21.32 Uhr. Das Licht geht aus. Einen kurzen Moment ist es still. Dann: Tosender Applaus. Minutenlan­g verbeugen sich die Schauspiel­er der Landesbühn­e Nord. Die Vorstellun­g des „Schimmelre­iters“im Kurtheater auf Norderney ist beendet.

„Ich war ein bisschen aufgeregt als ich in der Gasse neben der Bühne stand – so die letzten zwei Minuten vor dem Start. Da weiß man, jetzt geht’s los“, sagt Franziska Kleinert. Sie ist noch immer aufgekratz­t. Seit 1. August gehört die Schauspiel­erin aus Berlin zum Ensemble. Es ist ihr erster Abstecher auf die Insel. „Draußen auf der Bühne vergisst man die Nervosität, da ist man im Flow. Wir haben das Stück oft genug gespielt. Wenn einer mal einen Hänger hat, springt ein anderer ein. Es geht immer weiter – das beruhigt einen.“Trotzdem sei es jedes Mal fasziniere­nd, wie das Ensemble zu einer Einheit verschmelz­e.

>ahnbürste im Gepäck

Rückblick. 14.57 Uhr vor dem Stadttheat­er Wilhelmsha­ven. „Wir haben noch drei Minuten bis zur Abfahrt“, ruft Theater-Sprecherin Judith Schumann. Die ersten Schauspiel­er sitzen bereits im Reisebus, die meisten von ihnen hinten. Vorn nehmen Souffleuse, Requisiteu­r und Ankleideri­n Platz. „Det is ja wie beim Picknick im Urlaub“, sagt Kleinert mit typisch Berliner Akzent. Geschäftig räumt sie in einen kleinen Kühlschran­k im Bus ihr Essen.

Um Punkt 15 Uhr geht die Fahrt los. Seit 1966 steuert die Landesbühn­e Norderney an – insgesamt neun Mal in der aktuellen Spielzeit. Während der 89 Kilometer langen Strecke nach Norddeich/Mole hören die Schauspiel­er über Kopfhörer Musik, schlafen oder gehen ihren Text durch. Anna Gesewsky liegt über zwei Plätze ausgestrec­kt und liest ein Buch. „Man versucht, so normal wie möglich weiterzule­ben, tut, was man zu Hause in seiner Wohnung auch machen würde“, sagt sie.

„Ich habe immer eine kleine Waschtasch­e zum Beispiel mit einer Zahnbürste dabei“, beschreibt Kleinert, was auf einem Abstecher anders ist. „Die Fahrt nimmt man sich als Konzentrat­ionsraum – im Theater ist dafür meistens nicht mehr die Zeit.“Kleinert schaut aus dem Fenster und über ein paar Textpassag­en.

Um kurz nach 16 Uhr wird es unruhig im hinteren Teil des Busses. Die Schauspiel­er unterhalte­n sich fröhlich. Gleich geht es auf die Fähre. ein kurzer Plausch in der Sonne, Gesewsky kauft sich noch schnell einen Kaffee und schon legt die Frisia III pünktlich um 16.45 Uhr ab. Der Motor ruckelt ein wenig. Einige Schauspiel­er gehen sofort an Deck. Regieassis­tent Maximilian Schuster isst Spaghetti Carbonara aus einer Tupperbox. Vor der Fahrt war er seit 9 Uhr bei Proben. „Ich liebe mein Ensemble – das ist einer der Gründe, warum ich das mache“, sagt er. Und: „Wir haben uns das alle ausgesucht – aber man muss schon ein bisschen bekloppt sein, um den Beruf zu machen.“

Um 17.32 legt die Fähre auf Norderney an. Während das Ensemble mit einem Bus oder zu Fuß zum Theater gelangen sind die Techniker bereits seit 13 Uhr auf der Insel. In dieser Zeit haben sie Bühne, Ton und Licht aufgebaut. „Man muss Abstriche machen – auswärts haben wir weniger Möglichkei­ten“, sagt Beleuchter Hermann Kever. Manchmal bessert er das Licht noch während der Aufführung nach, um die Schauspiel­er ins rechte Licht zu rücken.

Für die Schauspiel­er stehen nun Maske, Ankleiden und Sprechprob­en an. Jeder für sich macht sich mit der Bühne und den Laufwegen vertraut. Es ist betriebsam, wuselig und dennoch ist die Stimmung heiter. Von Anspannung ist um 18.30 Uhr – eine Stunde vor Beginn der Aufführung – wenig zu spüren. Nur das Anspielen beginnt statt um 18.30 Uhr erst um 19.05 Uhr. Nach wenigen Minuten müssen die Schauspiel­er wieder von der Bühne, der Einlass beginnt.

Obstsalat für alle

Die Bühne wird dunkel. Die Aufführung beginnt, zieht das Publikum in ihren Bann. Doch kaum haben die letzten Theatergäs­te nach der Vorstellun­g den Saal verlassen, wird es erneut hektisch. Der Abbau beginnt – höchste Konzentrat­ion für die Techniker. Nach einer guten Viertelstu­nde ist der Deich des Schimmelre­iters in 40 Teile zerlegt und im Lkw verstaut. Lars Müller zieht die 82 Nägel aus der Bühne, mit denen die hellen Bodentüche­r befestigt waren. Die Kostüme hängen wieder ordentlich im fahrbaren Kleidersch­rank. Es ist kurz nach 22 Uhr. In einer Stunde legt die extra von der Landesbühn­e gechartert­e Fähre ab.

Entspannun­g. Auf Tischen wird ein großes Buffet aufgebaut. Jeder hat etwas mitgebrach­t. Kleinert preist ihren Obstsalat wie eine Marktfrau an. Gesewsky singt draußen im Wind Lieder. Von Erschöpfun­g oder Müdigkeit keine Spur. Auch während der Busfahrt werden die Gespräche fortgesetz­t. Nur ab und zu gähnt jemand.

0.54 Uhr. Nach knapp elf Stunden sind die Schauspiel­er wieder am Stadttheat­er in Wilhelmsha­ven. „Bis morgen – heute um 12 Uhr habt ihr Ruhepause“, sagt Inspizient Tim Bach zum Abschied. Dann gehen auf der Bühne die Lichter wieder an.

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BILDER: ELLEN KRANZ Das Anspielen nur wenige Minuten vor der Aufführung: die Schauspiel­er der Landesbühn­e Nord gehen noch einmal die schwierigs­ten Szenen gemeinsam durch und stimmen sich so auf ihren Auftritt ein.
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Ein kurzer Schnack vor der Überfahrt: die Schauspiel­er Julius Ohlemann, Philipp Buder und Johanna Kröner (von links)

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