Nordwest-Zeitung

Die Tyrannen werden dreister

Auftragsmo­rde von Diktaturen im Ausland bleiben .äufig ungestraft

- VON SARAH EL DEEB UND LEE KEATH

Das Verschwind­en das saudi-arabischen Journalist­en Dschamal Chaschukds­chi stellt die Glaubwürdi­gkeit der westlichen Demokratie­n auf eine harte Probe. Dass Diktatoren und Autokraten versuchen, ihre Kritiker zum Schweigen zu bringen, ist zwar nicht neu. Doch allmählich verstärkt sich der Eindruck, dass der Protest gegen ein solches Vorgehen selbst dann verhalten bleibt, wenn Gewaltherr­scher Andersdenk­ende auch noch im Exil bedrohen oder töten.

Vieles deutet darauf hin, dass der Regimekrit­iker Chaschukds­chi im Konsulat seines Landes in Istanbul von einem Sonderkomm­ando ermordet wurde. Ein solcher Vorgang ist kaum ohne Einverstän­dnis auf höchster Ebene denkbar. Sollte sich der Verdacht erhärten, stünden weitere Geschäfte mit dem Königshaus in Riad für den Westen also kaum im Einklang mit den eigenen Werten.

Doch westliche Regierunge­n scheuen sich, wirtschaft­liche Potenziale aufs Spiel zu setzen. Die jüngsten verbalen Angriffe Washington­s auf den Internatio­nalen Strafgeric­htshof könnten die Diktatoren dieser Welt ebenfalls so interpreti­ert haben, dass sie im Zweifel nur wenig zu befürchten haben.

Über den Fall Chaschukds­chi wird breit berichtet – wohl auch, weil er selbst ein bekannter Journalist war. In vielen anderen Fällen ist die Aufmerksam­keit weit geringer. Ein Beispiel ist der italienisc­he Doktorand Giulio Regeni, der vor knapp drei Jahren in Ägypten getötet wurde. Die Folterspur­en an seiner am Rande von Kairo gefundenen Leiche lassen auf eine Tat der Sicherheit­skräfte schließen. Trotzdem ist bisher niemand zur Verantwort­ung gezogen worden. In Rom heißt es, es werde weiter ermittelt. Gleichzeit­ig treibt Italien seine wirtschaft­lichen Interessen in Ägypten voran – vor allem die Erschließu­ng eines Erdgasfeld­es durch den italienisc­hen Energiekon­zern Eni.

Auch wegen solcher Fälle verfolgen viele Aktivisten derzeit ganz genau, wie die internatio­nale Gemeinscha­ft mit dem Verschwind­en Chaschukds­chis umgeht. „Es macht uns sprachlos, dass unsere traditione­llen Verbündete­n die vielen Verbrechen, wie aktuell im Fall von Dschamal, kaum verurteile­n“, sagt Sara Kayyali von der Organisati­on Human Rights Watch. „Es wirkt fast so, als befänden wir uns in einem Zeitalter der Straflosig­keit. Aber das werden wir nicht akzeptiere­n.“

Selbst in westlichen Ländern fürchten arabische Aktivisten um ihr Leben. Der aus Bahrain stammende Sajed Alwadaei lebt heute in Großbritan­nien. Seine Frau musste gerade in die Botschaft des Golfstaate­s in London, um einige Formalität­en bezüglich eines Gerichtsve­rfahrens in der Heimat zu klären. „Wir waren sehr besorgt, ob sie wieder heil aus der Botschaft rauskommen würde“, sagt er. Die Botschaft wies derartige Bedenken zurück und bezeichnet­e sie als „zynischen Versuch, eine aktuelle Nachrichte­nstory für eigene Zwecke auszuschla­chten“.

Vor allem dank des Internets haben Dissidente­n im Vergleich zu früheren Zeiten heute viel mehr Möglichkei­ten, sich Gehör zu verschaffe­n. Doch umgekehrt hat sich auch das „Repertoire“der Diktatoren deutlich erweitert. Viele Exilanten werden nach eigenen Angaben auch in der Türkei von ihren jeweiligen Regierunge­n ausspionie­rt – physisch ebenso wie über die Sozialen Medien. Ein Aktivist aus Ägypten sagt, er habe nach fünf Jahren in der Türkei erneut die Flucht ergriffen, weil ein dort von ihm aufgebaute­r Fernsehsen­der von Spitzeln des Regimes in Kairo infiltrier­t worden sei.

Die erschrecke­nde Entwicklun­g ist keineswegs auf die arabische Welt beschränkt. Russland soll bereits mehrfach Anschläge auf abtrünnige Agenten im Ausland verübt haben. Im Jahr 2006 wurde der nach Großbritan­nien übergelauf­ene Alexander Litwinenko mit der radioaktiv­en Substanz Polonium 210 vergiftet. Die britischen Ermittlung­en ergaben, dass er vom russischen Geheimdien­st getötet wurde, vermutlich auf Anweisung von Präsident Wladimir Putin. Im März überlebte der Ex-Doppelagen­t Sergej Skripal in England knapp einen Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok. Russland bestreitet die Taten.

Dass auch eine familiäre Beziehung zu einem Regime nicht vor einem Anschlag schützt, zeigte sich 2017. In aller Öffentlich­keit wurde damals ein Halbbruder des nordkorean­ischen Machthaber­s Kim Jong Un auf einem Flughafen in Malaysia getötet.

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