Nordwest-Zeitung

Watsch’n aus München schmerzt auch in Berlin

Merkels Koalition am Scheideweg – Altparteie­n gehen massiv geschwächt aus A:stimmung

- VON JÖRG BLANK UND GEORG ISMAR

BERLIN – Es ist nicht nur eine Abrechnung mit der CSU und der SPD in Bayern, es ist auch eine Watsch’n für die schwarz-rote Koalition von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel in Berlin. Vor allem für SPD-Chefin Andrea Nahles könnte es nach der Halbierung des Ergebnisse­s im Freistaat eng werden. Die Kräfte, die einen Ausstieg aus der Koalition wollen, dürften Auftrieb bekommen.

So gibt es am Sonntag bei der SPD eine Szene mit Symbolchar­akter. Leere Wassergläs­er, keine Mitglieder, zwei Fernseher, auf denen das Geschehen übertragen wird. Ein stilles Drama, wie ein Requiem für eine Volksparte­i. Die Wahlparty im WillyBrand­t-Haus hatte die SPD vorher bereits abgesagt, offiziell aus Kostengrün­den.

Nahles tritt vor die Presse – sie steht im leeren Atrium, im Schatten der Willy-BrandtSkul­ptur. Sie beschönigt nichts, gibt vor allem der schlechten Darstellun­g der Regierung – und besonders der CSU – die Schuld. Aber wie das alles besser werden soll, sagt sie nicht. Was Brandt über diese Koalition denken würde? „Willy würde sagen: Es fällt auseinande­r, was auseinande­rfallen muss“, meint ein SPD-Beobachter süffisant.

Es ist Nahles erste Landtagswa­hl als Parteichef­in, auch im Bund geht es unter ihrer Führung bisher nur bergab. Wenn auch die Hessenwahl in zwei Wochen schiefgeht, wird der Druck enorm wachsen, die Koalition zu verlassen.

Unterm Strich bekommen die Parteien der Großen Koalition in Bayern, die CSU und die SPD, zusammen rund minus 23 Prozent. Was für ein Misstrauen­svotum. Im Gegenzug ziehen die Rechtspopu­listen von der AfD zweistelli­g in den 16. von 17 Landtagen ein. Und dass die Grünen fast doppelt so viel wie die SPD holen, ist auch ein Signal – mit ihrer Doppelspit­ze Robert Habeck und Annalena Baerbock wirken sie frischer.

Debatten über einen SPDKanzler­kandidaten könnten sich bei solchen Verhältnis­sen im Bund bald erübrigen. Die SPD schafft es nicht zu begeistern, neue Ideen und Visionen zu entwickeln – vor allem fehlen neue Köpfe. Wie groß die Sehnsucht danach ist und was dann auch an Trendwende möglich ist, zeigte der kurze Höhenflug des letzten Kanzlerkan­didaten Martin Schulz.

Nur sieben Monate nach ihrer Wahl zur Kanzlerin stehen Merkel und die Koalition nach den Regierungs­krisen des Sommers vor der nächsten Belastungs­probe. Selbst wenn das erwartete „Gemetzel“in der CSU vorerst ausbleiben sollte und Seehofer nicht direkt aus dem Amt gejagt wird: Die Zeitenwend­e in Bayern bedeutet auch Sprengpote­nzial für Berlin.

In der CDU-Zentrale reichen sie am Abend aus Solidaritä­t bayerische LeberkäsSe­mmeln. Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r lässt aber trotzdem keine Zweifel, wo die CDU die Verantwort­ung für den Absturz der Schwester sieht: vor allem bei der CSU. Nun richte die CDU den Fokus voll auf Hessen, damit Ministerpr­äsident Volker Bouffier seine Arbeit fortsetzen könne, Kramp-Karrenbaue­r deutlich.

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