Der gute Fish bringt alte Sachen rau und frisch
Ex-Marillion-Sänger begeistert treue Fangemeinde in der Kulturetage
OLDENBURG – Ja, das waren noch Zeiten. Beim HamburgKonzert der „Fugazi“-Tour zeigte Fish einem Kumpel den Stinkefinger, weil der ihm allzu exaltiert und affig vor der Bühne herumtanzte. Im Mai 1984 war das. Und so ein Stinkefinger von Fish galt als Ritterschlag. Der Mann war cool, er war geheimnisumwittert mit all der Schminke auf seinem Gesicht. Und er war mit einer Stimme gesegnet, mit der er in vier Minuten komplette Theaterstücke, meist Dramen, erzählen konnte.
34 Jahre später ist Fish all das nicht mehr. Statt Schminke trägt er eine Brille. Das Hemd, das mit viel Fantasie ein klein wenig an den Tarnanzug aus „Forgotten Sons“Zeiten erinnern mag, spannt. Bei den hohen Passagen hilft eine Background-Sängerin. Aber, hey, wir sind alle nicht jünger geworden. Und der Mann da oben hat mit Marillion Musikgeschichte geschrieben, ist nichts weniger als eine Legende. Als genau solche feiert ihn am Freitagabend in der Kulturetage die treue Fangemeinde.
Den Support im nicht ausverkauften, aber gut gefüllten Saal besorgt Doris Brendel mit ihrer Band. Später wird sie noch bei Fish im Background singen. Nun hat sie erstmal 40 Minuten Zeit, das Publikum von ihren eigenen Stücken zu überzeugen. Die sind gut und proggig genug, dass die Mischung gebührend beklatscht werden kann. Irgendwann wünscht man sich dann aber doch, dass nun Fish loslegen möge. Und der steht nach kurzer Umbaupause auch tatsächlich auf der Bühne – bestens gelaunt und flankiert von einer exzellenten Band.
1981 machen sich Marillion auf, den gerade erst vom Punk in Grund und Boden geknüppelten Progressive-Rock wiederzubeleben. Nur sechs Jahre später greifen die Briten – mit ihrem Sänger hoffnungslos vor allem über die künftig einzuschlagende Musikrichtung zerstritten – nach dem letzten Strohhalm. Das gleichnamige Album „Clutching at Straws“markiert das Ende der Fish-Ära.
Dass gerade dieses Album, nicht eben ein Favorit für manche der alten Fans, den Schwerpunkt der aktuellen Tour bildet, mag Symbolcharakter haben: 2020 will Fish ganz aufhören. Vielleicht hat er aber auch einfach Lust, diese Songs live zu spielen; vielleicht, um den Fans zu beweisen, dass sie zu den besten gehören, die Marillion geschrieben haben. Dieses Unterfangen gelingt vortrefflich.
Die Band spielt die Titel ein wenig rauer als auf der glatt produzierten Platte. Das steht den Songs hervorragend, lässt sie 30 Jahre nach ihrer Veröffentlichung frisch klingen. Hinzu kommen Titel der aktuellen EP „A parley with Angels“und ein Vorgeschmack auf „Weltschmerz“, das neue Album, das im März erscheinen und Fishs letztes sein soll.
Der Mann, der bürgerlich Derek William Dick heißt, präsentiert all das munter wie ein Fisch im Wasser. Das Publikum feiert ihn, und es feiert ein wenig auch sich selbst. Hurra, wir leben noch!