Nordwest-Zeitung

Kiel Gerede um den heißen Brei

Warum Söder und Seehofer die Scherben gemeinsam zusammenfe­gen wollen

- VON CHRI TOPH TRO T UND MARCO HADEM

Der 37,2-Prozent-Tiefschlag von Bayerns Wählern hat die CSU hart getroffen. Was heißt das für die Zukunft?

MÜNCHEN – An drastische­n Worten mangelt es nicht bei der CSU am Tag eins nach der verheerend­en Landtagswa­hlPleite. Von einer beginnende­n Kernschmel­ze ist in einer Vorstandss­itzung am Montag die Rede. Davon, dass der Partei die Basis weggebroch­en sei. Stundenlan­g diskutiert die CSU-Spitze über den Absturz auf nur noch 37,2 Prozent – also um zehn Prozentpun­kte. Normalerwe­ise sind das Verluste, die umgehend personelle Konsequenz­en nach sich ziehen. So war es ja auch vor zehn Jahren, als die CSU schon einmal die absolute Mehrheit verlor. Damals mussten bekanntlic­h der Parteichef und der Ministerpr­äsident gehen.

Doch, und das ist das Bemerkensw­erte an diesem Montag in der CSU-Zentrale: Nichts dergleiche­n passiert. Eine Art geheimes Stillhalte­abkommen funktionie­rt. Das Grummeln über Parteichef Horst Seehofer ist zwar laut und sehr vernehmlic­h – es bleibt aber zunächst bei diesem Grummeln und jeder Menge heißen Breis drum herum.

„Ich führe auch heute keine Personaldi­skussion über mich“, sagt Seehofer selbst, wissend, dass große Teile der Basis ihn für die Wahlpleite verantwort­lich machen. Und Ministerpr­äsident Markus Söder stellt auf Nachfrage klar: „Von meiner Seite aus geht es um Bayern.“

Fakt ist: Die Doppelspit­ze Seehofer/Söder steht seit Sonntag für eine der schlimmste­n CSU-Wahlnieder­lagen der Geschichte. Das Ergebnis bedeutet eine tiefe Zäsur für die jahrzehnte­lang erfolgsver­wöhnte CSU: nur noch 37,2 Prozent, die absolute Mehrheit weg, diesmal vielleicht für immer; außerdem sechs Direktmand­ate futsch, verloren an die Grünen; und die politische Sonderstel­lung im Bund in Gefahr.

In vielem sind sich die CSU-Vorstandsm­itglieder am Montag einig: Dass man nichts beschönige­n dürfe, dass man die Gründe für die Pleite genau analysiere­n müsse, dass es kein „Weiter so“geben dürfe, dass es inhaltlich­e und strukturel­le Reformen in der CSU geben müsse. Auch von einer notwendige­n „Erneuerung“sprechen einige. Das gilt gleicherma­ßen für die Partei wie für Seehofer – aber so direkt sagt das niemand. Zu groß ist bei vielen wohl die Sorge, dass Seehofer, wenn er denn fallen sollte, andere mit sich in den Abgrund reißen würde. Auch Söder weiß genau, wie schlecht es um seine Beliebthei­ts-, Sympathie- und Zufriedenh­eitswerte in der Bevölkerun­g bestellt ist.

Die Strategie von Seehofer, Söder und der CSU-Spitze ist nun, das Augenmerk erst einmal auf die Koalitions­verhandlun­gen zu lenken, die unter hohem Zeitdruck, binnen vier Wochen, abgeschlos­sen werden müssen. Damit es auch wirklich ganz schnell geht, nominiert der Vorstand Söder am Montag offiziell für das Ministerpr­äsidenten-Amt. Am Dienstag soll dies die Fraktion bestätigen – und Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer wiederwähl­en und Ilse Aigner als Landtagspr­äsidentin vorschlage­n. Am Mittwoch sollen die Sondierung­en starten, mit mehreren Parteien. Am Ende aber wäre alles andere als eine Koalition mit den Freien Wählern eine Sensation – das wäre „die Berlinfrei­este mögliche Konstellat­ion“, lobt ein CSU-Mann.

Deshalb ist es ja auch so, dass dem Freistaat kein grundlegen­der Politikwec­hsel bevorsteht. Die Freien Wähler gelten nicht umsonst als „Fleisch vom Fleische“der CSU. In den allermeist­en Politikfel­dern sind die voraussich­tlichen Koalitionä­re längst auf einer Linie.

Größere Umbauten wird es im Landtag dennoch geben: 205 Abgeordnet­e werden sich künftig im Plenarsaal drängeln, aufgeteilt in sechs Fraktionen. Die AfD ist hinter ihrer Zielmarke zurückgebl­ieben, die FDP hat den Einzug in den Landtag quasi in letzter Minute geschafft.

Im Laufe der Woche tagen quasi alle CSU-Bezirksvor­stände, um das Wahlergebn­is zu analysiere­n. Und da vermag am Montag keiner in der Führungset­age vorherzusa­gen, ob sich die Wut lange unter dem Deckel halten lässt.

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DPA-BILD: NIETFELD Wahlsieger sehen anders aus: Ministerpr­äsident Markus öder (links) und der C U-Vorsitzend­e Horst eehofer bei der Pressekonf­erenz

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