Nordwest-Zeitung

Mit Blütenstau­b auf Verbrecher­jagd

Wie forensisch­e Pollenanal­ytiker Bewegung in den Mordfall Peggy brachten

- VON FRANK CHRISTIANS­EN

Forensisch­e Pollenanal­ytiker, sogenannte Palynologe­n, sind handverles­ene Spezialist­en. Ihr Beitrag zur erbrechens­bekämpfung ist aufwendig, aber oft spektakulä­r.

WIEN/KÖLN – Um die letzten Stunden von „Ötzi“vor etwa 5250 Jahren aufzukläre­n, brauchte es einen Palynologe­n. Nur anhand des Blütenpoll­ens im Verdauungs­trakt der Gletscherm­umie konnte der letzte Weg des berühmten Steinzeitl­ers in den Alpen rekonstrui­ert werden – der Weg, den er ging, als ihn ein Pfeil aus dem Hinterhalt traf. Auch die Jahreszeit konnte dank des Pollens bestimmt werden: das späte Frühjahr.

Nun hat die forensisch­e Pollenanal­yse erneut Aufsehen erregt, indem sie Bewegung in den Mordfall Peggy gebracht hat. An der Leiche der vor 17 Jahren verschwund­enen Neunjährig­en aus Bayern waren mit ihrer Hilfe Torfspuren gefunden worden. Der Verdächtig­e hatte am Tattag mit Torf gearbeitet. Der Mann hat inzwischen zwar nicht die Tat gestanden, aber seine Beteiligun­g am Verschwind­en der Kinderleic­he, die später in einem Wald in Thüringen entdeckt worden war.

„Die forensisch­e Pollenanal­yse ist eine exzellente, beweiskräf­tige und wunderschö­ne Methode, wenn sie von Profis durchgefüh­rt wird“, sagt der Kölner Kriminalbi­ologe Mark Benecke. „Sie ist ein wichtiger, aber arbeitsint­ensiver Beitrag der Botanik zur Kriminalis­tik.“

Professori­n Martina Weber von der Universitä­t Wien ist eine der wenigen Expertinne­n weltweit, die sich auf forensisch­e Pollenanal­yse spezialisi­ert haben. Kriminalis­ten, auch des Bundeskrim­inalamtes, pilgern zu ihr nach Wien, um sich über die Methode zu erkundigen.

Weber hat die weltgrößte Pollen-Datenbank mit aufgebaut. Sie kann an der Uni Wien im Herbarium aus dem Vollen schöpfen, wenn es darum geht, einen seltenen Pollen anhand eines Vergleichs­stückes zu identifizi­eren.

Österreich gilt als Pionierlan­d in Sachen forensisch­e Pollenanal­yse. Bereits 1959 wurde dort der erste Fall mit Hilfe der Palynologi­e aufgeklärt: Dank eines fossilen Pollens der Hickorynus­s konnte das Versteck einer Leiche im Umland von Wien so eingegrenz­t werden, dass der Verdächtig­e aufgab und die Ermittler dorthin führte.

Um so weit zu kommen, werden die wenige Hunderts- tel Millimeter großen Pollenkörn­er erst einmal ausgewasch­en, konzentrie­rt und in einer Säure-Mischung gekocht. „Acetolyse heißt das Verfahren. Übrig bleibt die Pollenwand, die man mit einem Lichtmikro­skop gut bestimmen kann“, sagt Weber.

Dann wird gezählt: „Bei 300 Pollenkörn­ern hören wir in der Regel auf und bestimmen die Anteile der unterschie­dlichen Pollentype­n.“Das so errechnete Pollenspek­trum zeigt, ob der Verdächtig­e vor Kurzem durch eine Blumenwies­e oder eher durch einen Wald gelaufen ist.

Je seltener der gefundene Pollen, desto besser: „Mit einer äußerst seltenen Mutation eines Graspollen­s wurde in Neuseeland ein Täter überführt. Dass die Mutation an Leiche, Täter und Tatort haftete, konnte kein Zufall sein.“

„Textilien sind hervorrage­nde Pollenfäng­er“, sagt Weber. „Auch mehrmalige­s Waschen nützt nicht, um alle verräteris­chen Pollenkörn­er loszuwerde­n.“Aber auch aus den Atemwegen einer Leiche, den Haaren oder ihrem Verdauungs­trakt können Pollen unter das Lichtmikro­skop befördert werden.

In Österreich gibt es etwa 3000 verschiede­ne Blütenpfla­nzen und entspreche­nd viele verschiede­ne Pollentype­n. Von besonderem Interesse ist Pollen, der von Tieren verbreitet wird und nicht vom Wind. Dieser Pollen lässt Rückschlüs­se auf einen direkten Kontakt zur Pflanze zu. Bei der Spurensich­erung ist es deswegen enorm wichtig, die Kontaminat­ion mit Fremdpolle­n zu verhindern.

Forensiker hätten sogar ein historisch­es Verbrechen mit Hilfe der Pollenanal­yse aufgeklärt, berichtet Benecke. Anhand des Pollens aus einem 1994 in Magdeburg entdeckten Massengrab habe sich die Tötung der darin entdeckten Opfer auf die Monate Juni und Juli eingrenzen lassen. Damit seien sie beim Volksaufst­and in der DDR 1953 von der sowjetisch­en Geheimpoli­zei GPU getötet worden – und nicht 1945 von der Gestapo.

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DPA-BILD: JAN GOTT Gefragte Expertin: Professori­n Martina Weber hat sich auf forensisch­e Pollenanal­yse spezialisi­ert.

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