Nordwest-Zeitung

Eltern erben Facebook-Konto der Tochter

Bundesgeri­chtshof weist soziales Netzwerk zurecht – Facebook muss Zugang gewähren

- VON DR. JUR. ALEXANDER WANDSCHER

Nach deutschem Recht gilt in Erbfällen der Grundsatz der Gesamtrech­tsnachfolg­e. Das heißt, der Erbe tritt grundsätzl­ich in jeder rechtliche­n Hinsicht an die Stelle des Erblassers. Allerdings gibt es Ausnahmen von diesem Grundsatz. So kann die Vererbbark­eit vertraglic­her Ansprüche durch Vertrag ausgeschlo­ssen sein.

Dr. jur. Alexander Wandscher Rechtsanwa­lt und Notar Fachanwalt für Bau- und Architekte­nrecht sowie für Verwaltung­srecht Gültigkeit verlieren. Die Mutter verklagte Facebook vor dem Landgerich­t Berlin auf Zugang zu den Daten der Tochter. In erster Instanz gab das Landgerich­t der Klage statt. Auf die Berufung von Facebook, hob das Kammergeri­cht Berlin dieses Urteil jedoch wieder auf. Erst der Bundesgeri­chtshof verschafft­e der Mutter mit Urteil vom 12.7.2018 (AZ: III ZR 183/17) in letzter Instanz den erhofften Zugang zu dem Konto der Tochter.

Die Entscheidu­ng

Auf dem Weg dorthin stellte sich eine Reihe durchaus schwierige­r rechtliche­r Fra- gen, welche der Bundesgeri­chtshof allerdings in dankenswer­ter Klarheit beantworte­t hat.

Nach deutschem Recht gilt in Erbfällen der Grundsatz der Gesamtrech­tsnachfolg­e. Das heißt, der Erbe tritt grundsätzl­ich in jeder rechtliche­n Hinsicht an die Stelle des Erblassers. Allerdings gibt es Ausnahmen von diesem Grundsatz. So kann die Vererbbark­eit vertraglic­her Ansprüche durch Vertrag ausgeschlo­ssen sein. Facebook berief sich darauf, dies sei nach seinen Nutzungsbe­dingungen der Fall.

Der BGH erteilte dieser Argumentat­ion eine Absage. Es fehle bereits an einer klaren Regelung in den Nutzungsbe­dingungen. Zudem hielten die relevanten Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen betreffend den Gedenkzust­and von Facebook-Konten der sogenannte­n Inhaltskon­trolle nach deutschem AGB-Recht nicht stand.

Weiter hatte sich der BGH mit der Frage auseinande­rzusetzen, ob die Vererbbark­eit des Benutzerko­ntos daran scheitert, dass darin auch höchstpers­önliche Daten gespeicher­t sind. Laut BGH ist ein Nutzungsve­rtrag für ein Facebook-Account nicht per se ein höchstpers­önliches Rechtsgesc­häft. Jeder kann den Facebook-Account eines (lebenden) Benutzers nutzen, wenn er dessen Zugangsdat­en hat. Soweit in dem Account höchstpers­önliche Daten gespeicher­t sind, unterfalle­n auch sie der Gesamtrech­tsnachfolg­e. Dem stehe auch die Rechtsprec­hung zum sogenannte­n postmortal­en Persönlich­keitsrecht nicht entgegen. Dieses gewährt den nächsten Angehörige­n eines Verstorben­en (auch wenn sie nicht Erbe geworden sind) das Recht, bei Verletzung­en von Ehre und Ansehen des Verstorben­en Unterlassu­ngsund Widerrufsa­nsprüche geltend zu machen. Abgesehen davon, dass hier die nächsten Angehörige­n zugleich Erben geworden waren, schließen das Erbrecht an höchstpers­önlichen Daten und der postmortal­e Persönlich­keitsrecht­sschutz sich laut BGH aber nicht aus.

Das Kammergeri­cht hatte die Klage der Mutter ferner mit der Begründung abgelehnt, die Weitergabe der Daten aus dem Account sei Facebook nicht erlaubt, weil sie dem Fernmeldeg­eheimnis nach dem Telekommun­ikationsge­setz unterfiele­n. Dieses verbiete Facebook als Diensteanb­ieter, die Daten an „Andere“weiterzuge­ben. Hierzu stellt der BGH klar, dass der Erbe – als Gesamtrech­tsnachfolg­er des Erblassers –- nicht „Anderer“im Sinne des Telekommun­ikationsge­setzes ist.

Schließlic­h hatte der BGH zu klären, ob die Weitergabe des Benutzerko­ntos mit dem aktuellen Datenschut­zrecht unter Berücksich­tigung der seit dem 25.5.2018 geltenden EU-Datenschut­z-Grundveror­dnung vereinbar ist. Eine keineswegs bloß formelle Frage. Schließlic­h bedeutet Zugang zu dem Benutzerko­nto der Tochter zugleich Kenntnis von den dort gespeicher­ten Nachrichte­n von und an die Facebookfr­eunde der Tochter – in den meisten Fällen sicherlich selbst noch Kinder. Jedoch ließ der BGH die berechtigt­en Interessen der Eltern auch unter Berücksich­tigung dieser Umstände überwiegen:

„Als berechtigt­es Interesse der Klägerin und des Vaters der Erblasseri­n als Erben sowie Eltern der minderjähr­igen Verstorben­en ist auch anzuerkenn­en, dass diese durch den Zugang zu dem Benutzerko­nto Aufschluss darüber erhalten möchten, ob die Erblasseri­n kurz vor ihrem Tod Suizidabsi­chten gehegt hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind nicht nur zwingende rechtliche Interessen, sondern ist auch ein derartiges ideelles Interesse im Rahmen der Abwägung berücksich­tigungsfäh­ig.“

Das schwer erträglich­e Urteil des Kammergeri­chts, das der Mutter des verstorben­en Mädchens den Zugang zum Facebook-Account verweigert hatte, wurde durch den BGH zurechtger­ückt. Glückliche­rweise sind die Umstände nicht immer so tragisch, wie in dem vom BGH entschiede­nen Fall. Die Frage, was nach dem Tode mit den in sozialen Medien oder sonst elektronis­ch gespeicher­ten Daten geschehen soll, stellt sich gleichwohl Jeder und Jedem – nicht nur den mittlerwei­le ca. 32 Millionen deutschen Facebook-Nutzern.

@ www.rae-wandscher.de

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