Mehr Praxistage für Schüler
So will Minister Tonne die Berufsorientierung stärken
HANNOVER – Knapp 330 Ausbildungsberufe und mehr als 6000 Studienoptionen haben junge Menschen dem niedersächsischen Kultusminister Grant Hendrik Tonne zufolge aktuell. Der 42-jährige SPDPolitiker und Vater von vier Kindern möchte, dass Jugendliche sich stärker darüber im Klaren werden, welche vielfältigen Möglichkeiten der Berufsausbildung sie haben und welche Angebote die Unis und Hochschulen ihnen machen. „Wir wollen Frustrationserlebnisse minimieren“, sagte Tonne gegenüber der Ð. Daher hat das Kultusministerium als oberste Schulbehörde in Niedersachsen einen Erlass auf den Weg gebracht, der vor allem die Praxisanteile an den Gymnasien und Integrierten Gesamtschulen deutlich erhöht.
So sieht der neue Erlass mindestens 25 Praxistage an Gymnasien und Integrierten Gesamtschulen vor, bisher waren es zehn. In der gymnasialen Oberstufe und an Gesamtschulen findet das Betriebspraktikum künftig verpflichtend im elften Schuljahrgang statt. An Gymnasien kann die Schule im neunten oder zehnten Schuljahrgang ein weiteres Praktikum einführen – beispielsweise nur für die Schüler, die das Gymnasium nach der zehnten Klasse verlassen wollen. Im Sekundarbereich II kann ein zusätzliches Hochschulpraktikum absolviert werden.
Neu ist zudem, dass Schüler ab dem zweiten Halbjahr der siebten Klasse eine Potenzialanalyse durchlaufen können, die ihnen ihre Stärken und Schwächen aufzeigt. Minister Tonne sieht seinen Erlass auch als einen Baustein, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.
Freie Stellen können nicht besetzt werden. Manche Unternehmen müssen sogar die Produktion drosseln, weil es nicht genügend Arbeitskräfte gibt.
HANNOVER – Der Fachkräftemangel nimmt weiter dramatisch zu. Die Problematik, gut ausgebildetes Personal zu finden, erstreckt sich mittlerweile über alle Branchen. Seit Jahren führt der Fachkräftemangel die Rangliste der Risiken für die Wirtschaft an – und baut seinen Vorsprung immer noch weiter aus.
Laut der aktuellen Konjunkturumfrage der Industrieund Handelskammer Niedersachsen (IHKN) liegen die Sorgen der Betriebe und Unternehmen um gute Arbeitskräfte derzeit mit 62 Prozent (2017: 54 Prozent, 2016: 44 Prozent) an der Spitze und damit mit großem Abten stand vor allen anderen Risikofaktoren.
Das hat auch die Landesregierung erkannt und jetzt einen Plan zur Fachkräftesicherung in Niedersachsen vorgestellt. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD): „Der Mangel an Fachkräften zeigt sich schneller und umfassender als anfangs angenommen. Das ist auch eine Folge der außergewöhnlich guten wirtschaftlichen Entwicklung und der wachsenden Beschäftigung.“Das Land setze einerseits darauf, die Potenziale an Erwerbspersonen und Bildungsmöglichkeiten im Inland auszuschöpfen. „Ein wesentlicher Fokus der zukünftigen Aktivitäten des Landes wird aber auf der Gewinnung von ausländischen Fachkräften für die niedersächsische Wirtschaft liegen“, betont der Ministerpräsident. Dies gelte in einem ersten Schritt vorrangig für IT-Fachkräfte sowie für Erziehungs- und Gesundheitsberufe.
Angesichts der Dringlichkeit des Themas werde die Landesregierung Unternehmen bei der Rekrutierung im Ausland unterstützen. „Es ist nötig, dass qualifizierte Fachkräfte im Ausland noch einfacher von Erwerbschancen und beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten in Niedersachsen erfahren. Aufsei- der heimischen Unternehmen sollte es leichter vorstellbar werden, auch Stellen mit Personen aus dem Ausland zu besetzen“, findet Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU).
Rückenwind für ihre Bemühungen erhält die Landesregierung aus der Wirtschaft. „Der Aktionsplan zur Fachkräftesicherung ist dringend notwendig, das zeigt ein Blick auf die Zahlen: 71 Prozent unserer Industriebetriebe haben mittlerweile Probleme, frei werdende Stellen nachzubesetzen. Über 30 Prozent der Unternehmen geben an, bereits Produktionseinschränkungen aufgrund von fehlenden Arbeitskräften zu spüren“, erläutert Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbandes Niedersachsen-Metall.
Die IHKN lobt vor allem das Bekenntnis zur Stärkung der Dualen Berufsausbildung. Die Verbesserung einer frühzeitigen Berufsorientierung – speziell an Gymnasien – sei ein wichtiger Schritt.