Wie sollen unsere Lebensmittel wachsen?
Universität Oldenburg untersucht Bedeutung der nachhaltigen Ernährungswirtschaft
Beispiele sind Gemeinschaftsgärten und solidarische Landwirtschaft. Positiv sei, dass die Veränderung aus der Gesellschaft kommt.
OLDENBURG – Überdüngte Böden, Nitrat im Grundwasser, Großkonzerne, die die Preise diktieren, riesige Monokulturen, Insektensterben – die aktuelle Ernährungswirtschaft bringt viele Probleme mit sich. Aber welche Alternativen gibt es? Dieser Frage ist die Arbeitsgruppe des inzwischen im Ruhestand befindlichen Professors Dr. Reinhard Pfriem von der Universität Oldenburg in Kooperation mit der Uni Stuttgart und der Anstiftung München nachgegangen. Auf vielversprechende Ansätze sind sie zusammen mit 27 Partnern aus der Praxis in dem dreijährigen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt „nascent – Neue Chancen für eine nachhaltige Ernährungswirtschaft durch transformative Wirtschaftsformen“gestoßen.
Wissen um Wachstum
Diese reichen von Abo-Kisten bei regionalen Produzenten, über urbanen Gartenbau und solidarischer Landwirtschaft bis hin zu Mietäckern. „Es hat uns begeistert, mit wie viel Engagement, Mut und Spaß sich vor allem junge Menschen mit Ernährungswirtschaft beschäftigen“, berichtet Projektkoordinatorin Dr. Irene Antoni-Komar von der Universität Oldenburg.
Da steuert zum Beispiel bei der solidarischen Landwirtschaft eine Familie neben dem Beitrag, den sie bezahlt, auch noch Arbeitskraft bei. „Ein Hofbesitzer bei Osnabrück erzählte uns, dass viele der Beteiligten ihr jeweiliges Können einbringen. Ein ITFachmann kümmert sich um die EDV und ein Maschinenbau-Ingenieur darum, dass die alten Trecker laufen“, sagt Antoni-Komar.
Dabei habe der Einsatz älterer Maschinen nichts mit Nostalgie zu tun, so die Wissenschaftlerin. Vielmehr gehe es darum, wegzukommen von der kapitalintensiven Wirtschaftsweise, und Probleme zu lösen. „Die alten Maschinen sind leichter. Sie verdichten den Boden weniger. Andererseits ist die Arbeit mit ihnen natürlich personenintensiver. Dies passt aber zum Ansatz alternativer Formen der Ernährungswirtschaft. Denn diese wollen weg vom reinen Konsumenten, hin zu einem Prosumenten – also einem Verbraucher, der an der Produktion beteiligt ist.“
Diese Mitarbeit bringt auch Wissen über die Produktion von Nahrungsmitteln in die Gesellschaft zurück, das in weiten Teilen nicht mehr vorhanden ist. „Die Höfe der solidarischen Landwirtschaft sehen sich nicht als reine Produktionsstätten, sie leisten auch Bildungsarbeit“, hat Antoni-Komar beobachtet.
Aber können solch kleine Initiativen die Probleme der Welternährung lösen? Ein erster Schritt dahin ist, dass die Gruppen inzwischen gut vernetzt sind und sich gegenseitig unterstützen. Außerdem gebe es sie in allen demokratischen Industrienationen von Europa über Amerika bis Japan, sagt Antoni-Komar.
Ernährungssouveränität
„Entscheidend ist aber, dass die Menschen in einer Region wieder ernährungssouverän sein sollten. Heute haben vor allem die Menschen im globalen Süden häufig selbst kein Land mehr. Sie sind von Großkonzernen abhängig, können selbst kein Saatgut mehr produzieren, weil sich Hybridsorten nicht vermehren lassen und so weiter.“Ein gerechter Zugang zu Land und Wasser, der den Menschen eine selbstbestimmte Versorgung ermöglicht, sei ein wichtiger Lösungsschritt.
„Dies mindert finanzielle Abhängigkeiten und macht die Versorgungssysteme widerstandsfähiger. Denn heute geht man davon aus, dass die Supermärkte innerhalb von zwei bis fünf Tagen leer sind, wenn die Stromversorgung und die Transporte zum Erliegen kommen“, erläutert die Projektkoordinatorin.
Noch sei es keine Riesenbewegung, die sich für alternative Ernährungswirtschaft einsetzt, aber sie sei durchaus sichtbar, etwa bei der Demo „Wir haben es satt“, die sich vor allem gegen Massentierhaltung richtet und zu der jährlich Zehntausende nach Berlin kommen. „Es stimmt uns positiv, dass die Veränderung von unten, aus der Zivilgesellschaft kommt. Es ist ein evolutionärer Prozess, der von Experimentierfreude und Gemeinschaft gekennzeichnet ist“, so Antoni-Komar.
„Die Politik beobachtet das Geschehen aufmerksam und ist durchaus interessiert, es zu fördern. Das könnte zum Beispiel durch steuerliche Vorteile für solidarische Höfe oder andere Projekte geschehen. Oder durch die Unterstützung von Netzwerken. Das größte Problem vieler Initiativen ist aber der Zugang zu Land. Landwirte, die Energiepflanzen anbauen, können Pachtpreise zahlen, die sich die Initiativen nicht leisten können. Auch hier könnte die Politik eingreifen.“